Die Stilllegung der Zeche Sellerbeck vor 120 Jahren

Die Schachtanlage „Hermann/Gertrud“ in einem Grubenplan von 1849 (Quelle: Archiv des Initiativkreises Bergbau und Kokereiwesen e.V.)
Die Schachtanlage „Hermann/Gertrud“ in einem Grubenplan von 1849 (Quelle: Archiv des Initiativkreises Bergbau und Kokereiwesen e.V.)

Von: Lars van den Berg

Der Bergbau im heutigen Mülheim an der Ruhr hatte im Laufe seiner langen Geschichte einige Besonderheiten und Höhepunkte zu bieten. So auch die Zeche Sellerbeck, die eine Zeit lang das größte Bergwerk im Ruhrgebiet war. Viel erinnert heute leider nicht mehr an die Zeche, nicht zuletzt, weil ihre Geschichte bereits vor 120 Jahren am 1. Mai 1905 mit der Stilllegung des Bergwerksbetriebes endete.

Dabei liefert Sellerbeck den bis dato ältesten urkundlichen Nachweis des Steinkohlenbergbaus im Mülheimer Stadtgebiet. Zwar gibt es die Sage von einem Bauern, der 1225 beim Pflügen eines Ackers in Eppinghofen die Steinkohle entdeckt haben soll, was geologisch und montanhistorisch auch durchaus der Fall gewesen sein kann. Urkundlich nachweisbar ist der Abbau von Steinkohle im heutigen Mülheim an der Ruhr jedoch erst ab dem 16. Jahrhundert. Im Jahr 1610 wird ein Stollen erwähnt, der bereits 1580 im Bereich der Sellerbecker Höfe (heutiger Bereich Mühlenstraße/Boverstraße) angelegt wurde und als ein Vorgänger der Zeche Sellerbeck gilt. Von den Höfen aus wurde der Stollen mehrere 100 Lachter (1 Lachter = 2,092 Meter) nach Osten aufgefahren, um mehrere Flöze zu erschließen und „trockenzulegen“. Nach gerade einmal sechs Jahren kam der Stollenbetrieb durch hohe Wasserzuflüsse und den Verbruch des Stollens zum Erliegen und wurde in den Folgejahren sporadisch wiederaufgenommen und eingestellt.

In den folgenden Jahren legte man weitere Stollen an, darunter einen fast zwei  Kilometer nach Osten aufgefahrenen Stollen von einem tiefer liegenden Punkt im Mellinghofer Wiesenthal. Für die damalige Zeit war ein solches Projekt eine technische Meisterleistung, die die Betreiber aufgrund der geologischen Bedingungen und der starken Wasserzuflüsse immer wieder vor Herausforderungen stellte. Der Abbau folgte untertage den Flözverläufen in annähernd ost-westlicher Richtung im Bereich rechts und links des Horbachtales.

Während man anfangs kleine Schächte auf die Stollen niederbrachte und die Kohle von der Stollensohle mit Handhaspeln zutage förderte, ging man später auch zum „Unterwerksbau“ über. Hierbei baute man die Kohle unterhalb des Stollens („unter dem Werk“) bis in für die damalige Zeit nicht übliche Tiefen von über 120 Meter ab. Da das Wasser, das dem untertägigen Grubenbereich zufloss, per Handpumpen auf das Niveau des Stollens gehoben werden musste, um es durch diesen abzuleiten, war die Abbaumethode im Unterwerk ausgesprochen aufwendig und mit großen Gefahren verbunden.

Bis etwa 1730 soll Sellerbeck einen gemeinschaftlichen Förderstollen mit den Zechen Kinderberg, Leybank und Wiesche betrieben haben, der seinen Anfang an der Ruhr hatte. Hier gibt es jedoch widersprüchliche Angaben in der Literatur und den erhaltenen Akten, sodass dieser Teil der Mülheimer Bergbaugeschichte noch weiterer montanhistorischer Forschung bedarf.

Während die frühe Geschichte der Zeche Sellerbeck im Bereich zwischen dem Zehntweg und der Boverstraße entlang des Horbachtales stattfand, wo die Flöze mit klingenden Namen wie „Steinkuhle“, „Radstube“ oder „Kiek“ bis an die Tagesoberfläche treten, entwickelte das Bergwerk auch weiter südlich rege Abbautätigkeiten. Dort, wo zwischen der Aktienstraße und dem Winkhauser Tal die gleichen Flöze bis an die Erdoberfläche reichen, wurden ebenfalls erste Stollen angelegt und der Abbau aufgenommen.

Ein Meilenstein in der Entwicklung der Zeche Sellerbeck war das Jahr 1811, als die Mutung (Beantragung von Abbaurechten beim zuständigen Bergamt) für die bis dahin eigenständigen Bergwerke Vereinigte Steinkuhle und Cronenberger Adit, Voß, Radstube, Kiek, Kieksbänksgen und Oberhäuersbänksgen eingelegt wurde. Drei Jahre später erfolgte der rechtliche Zusammenschluss der Betriebe – mit Ausnahme von Oberhäuersbänksgen – zum Bergwerk „Vereinigte Sellerbeck“. Der Betrieb hatte zu dieser Zeit 36 Beschäftigte. Um den Abbau voranzutreiben und neue Vorräte zu erschließen, legte man ab 1811 an der oberen Boverstraße die neue Schachtanlage „Christian“ an, die acht Jahre später in Betrieb ging und anfänglich eine für die damalige Zeit beachtliche Tiefe von 115 Metern erreichte. Durch die Erfindung der Dampfmaschine war man nun in der Lage, mithilfe der Dampfkraft Wasserhaltungspumpen zu betreiben, mit denen das Wasser im Bergwerk beherrschbar wurde. Auf mehreren Sohlen (Etagen eines Bergwerks) konnte man nun den Abbau der Steinkohle an mehreren Abbaupunkten gleichzeitig vorantreiben und gab daher den Stollenbergbau weitestgehend auf. Ab diesem Zeitpunkt entwickelte sich die Zeche rasant weiter.

Bereits 1824 legte man im südlichen Bereich des Grubenfeldes nahe der heutigen Kuhlenstraße in Eppinghofen die Schachtanlage „Hermann/Gertrud“ an, um auch hier vom Stollenbergbau auf den Tiefbau überzugehen. Schon 1832 wurde die Schachtanlage durch einen rund einen Kilometer nordöstlich gelegenen Hilfsförderschacht ergänzt, um der stetig steigenden Fördermenge und den langen Förderwegen zu begegnen. Gerade einmal weitere zwei Jahre danach begannen die Arbeiten an der Schachtanlage „Müller/Humboldt“ am heutigen Steigerweg. Die Zahl der Beschäftigten hatte sich innerhalb von nur 15 Jahren von 36 Beschäftigten im Jahr 1819 auf 280 Mitarbeiter im Jahr 1834 erhöht und mit einer Förderung von jährlich rd. 45.000 Tonnen war „Vereinigte Sellerbeck“ von 1838 bis 1846 die größte Zeche im Ruhrrevier.

Inzwischen gehörten bekannte Industrielle wie Mathias Stinnes und Franz Haniel zu den Gewerken (Anteilseignern) der Zeche. Für den verbesserten Abtransport der Kohle wurde ab 1839 die „Sellerbecker Pferdebahn“ von den Häfen an der Ruhr im Bereich der Friedrich-Wilhelms-Hütte durch die heutige Bruchstraße und das Winkhauser Tal bis zu den Schachtanlagen betrieben und man strebte eine deutliche Steigerung der Förderung an. Waren 1838 noch rund 45.000 Tonnen mit 280 Beschäftigten gefördert worden, erhöhte sich die Belegschaft bis 1855 auf 500 Mitarbeiter und die Förderung stieg auf 64.642 Tonnen. Dieser Erfolg führte 1854 zur Anlage des neuen Förderschachtes „Carnall“ am oberen Ende des heutigen Zehntweges. Nachdem das Bergwerk 1886 an Louis von Kannengießer, Schiffseigner und Inhaber einer Kohlenhandelsgesellschaft, verkauft worden war, erreichte Sellerbeck 1901 mit 166.946 Tonnen und 716 Beschäftigten die höchste Förderung ihrer Geschichte. Bereits drei Jahre später brachte Kannengießer die Zeche Sellerbeck jedoch zusammen mit der benachbarten Zeche Roland in die „Harpener Bergbau AG“ ein und so begann das schnelle Ende von Sellerbeck.

Nachdem man das Bergwerk untertage mit der benachbarten Zeche Roland (an der heutigen Danziger Straße auf Oberhausener Stadtgebiet) verbunden hatte, stellte man die Kohleförderung auf der Zeche „Vereinigte Sellerbeck“ am 1. Mai 1905 offiziell ein. Als Begründung wurden die schwierigen Lagerstättenverhältnisse angeführt, allerdings dürfte die Übernahme der sogenannten „Förderquote“, die den meisten Bergwerken im Ruhrgebiet durch das „Rheinisch-Westfälische Kohlen-Syndikat“ vorgegeben wurde, die größere Rolle gespielt haben. Durch die Übernahme des rund sieben Quadratkilometer großen Sellerbecker Grubenfeldes durch die Zeche Roland ging auch die Förderquote von Sellerbeck auf die Nachbarzeche über, bevor 1909 die Zeche „Wiesche“ in Heißen einen Großteil des Grubenfeldes übernahm. Bis auf den Wetterschacht „Christian“, der noch bis Ende der 1940er-Jahre als Wetterschacht für die Zeche Wiesche in Betrieb blieb, wurden die noch bestehenden Betriebsanlagen von Sellerbeck nicht mehr benötigt. Die Schächte wurden abgedeckt oder verfüllt, die Tagesanlagen weitestgehend abgebrochen. Lediglich die Förderanlage am Schacht Carnall blieb zunächst stehen und wurde erst 1920 abgebrochen, nachdem sie durch einen Brand zerstört worden war und nur noch als Ruine bestand.

Heute erinnert nicht mehr viel an das einst größte Bergwerk des Ruhrreviers. Lediglich die Kontrollöffnungen über einzelnen Schächten, auffällige Landschaftsreliefs, ein Denkmal in Form eines Förderwagens und einzelne Stellen, an denen heute noch Kohle zu finden ist, zeugen von der regen und teils chaotischen Bergbautätigkeit im Bereich der ehemaligen Zeche Sellerbeck, die vor 120 Jahren stillgelegt wurde.

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