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Mölmsche „Stimmarchäologie“ – Chird Hardering (1892 – 1967)

Chird Hardering 1892 - 1967, Portraitzeichnung F. Ginter, bearbeitet

Von: Franz Firla

Ein Karton im Keller

Als ich im März 2017, im 50. Todesjahr Harderings, mittels Google nach möglichen Mülheimer Familienmitgliedern suchte, erinnerte ich mich an den Kontakt mit Hannelore Hardering auf der Plattform „Lokalkompass“. Sie hatte mir in einem Kommentar zu einem von mir eingestellten Hardering-Gedicht geschrieben, sie sei die Großnichte von Chird Hardering, dem Dichter.

Jetzt vereinbarten wir ein Gespräch in ihrer Styrumer Änderungsschneiderei, wo sie sich an den Nachlass-Karton im Keller ihrer Mutter, der Nichte ihres kinderlos gebliebenen Großonkels Gerd, erinnerte. Und sie erzählte mir von besprochenen Tonbändern.

Hannelore hatte zwar noch das Original Phillipsgerät ihres Großonkels, aber es war defekt. Und meiner alten Revox-Maschine war auch nicht mehr zu trauen. Zum Glück versprach das Medienzentrum Hilfe.

Unter Partymusik begraben

Das erste Wort (et iäste Woat), das wir im Juni 2017 vom Tonband erhaschten, war: „Lesung“. Es kündigte den folgenden Vortrag seiner Gedichte an und ich dachte zunächst, dass das nicht Hardering selbst sei, sondern ein Rundfunksprecher. Zudem irritierte mich der leicht rheinische Akzent.

Nach dem Wort „Lesung“ ging das Audio-Selfie schnell in ein lautes Brummen über und es dauerte einige Zeit, bis es dem Mundart-Dichter dank der vordigitalen Medienkompetenz des Herrn Kummerfeld auf einem zweiten Band zwischen Geburtstags-Kinderchören und überspielter Partymusik der 60er vergönnt war, ein komplettes Gedicht auf Mölmsch Platt zu Gehör zu bringen. Abgesehen von den musikalischen Überlagerungen durch andere Spuren, widersetzten sich die Bänder schon einem einfachen Abspielen, indem sie falsch zusammengeklebt, mittendrin verdreht oder komplett verkehrt herum aufgespult waren. Vermutlich alles Ergebnisse aus Hannelores Jugendtagen in den 1970ern, wohl auf der Suche nach überspielbarem Tonbandmaterial.

Die Stimme ist freigelegt

Die von Herrn Kummerfeldt mir übergebene CD mit dem Titel: Lesungen aus eigenen Werken“ legte ich voller Erwartung in meinen CD Spieler. Statt der Stimme des Plattpoeten gab es ein monotones Geknatter. Welch eine Enttäuschung.!

Am nächsten Tag fragte ich bei Herrn Kummerfeldt an, ob er sich vielleicht einen Scherz erlaubt habe. Nein, er habe die CD überprüft, es sei alles drauf. Allerdings habe er sie auf dem Rechner gehört, nicht auf dem CD-Player! Jetzt fielen mir gleichzeitig Schuppen von den Ohren und ein Stein vom Herzen. Klar, es gibt Daten-CDs und Audio-CDs! Er hatte mir eine Daten-CD gegeben, was für eine weitere Bearbeitung in meinem Audioprogramm ja auch sinnvoller ist.

Nach ein bisschen Rauschminderung und Entfernung des Knackgeräusches konnte ich am 06.07.2017 gegen 10 Uhr endlich die säuberlich freigelegte Stimme meines Dichters genießen.

Es war wie Archäologie, nur lebendiger! Tatsächlich hatte seine Stimme ein leichtes rheinisches Timbre und klang heller als ich dachte. Zugleich aber war sie sehr modulationsfähig. Die Art seiner Plattstimme erinnerte mich an jemanden aus dem Bergischen oder auch an die von Josef Pütz bei „Aul Ssaan“. Einige Gedichte werden sehr stockend vorgetragen, so als habe er Schwierigkeiten mit dem Lesen.

Ein neuer Hardering

Mein Hardering-Bild musste ich korrigieren, mein „innerer“ Hardering war doch jünger gewesen. Dass er schon auf die 60 zuging, als er den Mölmschen Krink gründete, seine Plattaktivitäten begann, über 60, als er 1954 sein Buch herausgab, und vielleicht schon 70, als er die Tonbänder besprach, das wurde mir allmählich klar.

Trotzdem schien mir die Stimme so gar nicht zu der Portraitzeichnung zu passen, die bei mir seit kurzem gerahmt an der Wand hing. Der rheinische Einschlag, manchmal schnarrend nasal und spitz mit leichtem Singsang widersprach meiner Vorstellung, die beim Lesen seiner Gedichte entstanden war. Andererseits ist mancher Vortrag durchaus ausdrucksstark. Wie er „dän Aule“ im Sarg deklamierend darstellt! Mir war noch nie aufgefallen, dass es ja so im Text angelegt ist und man an dieser Stelle die Stimme sinnvollerweise entsprechend ändern müsste.

Dann ein Gänsehautmoment in Mölmsch Platt: „Mi‘ Moodersprook!“ DAS Gedicht von Hardering! Tausendmal bei Plattlesungen gehört und vorgetragen. Jetzt, nach einem halben Jahrhundert des Schweigens, sprach es Chird Hardering selbst.


[Anm. d. Red.: Wir empfehlen das Abspielen des eingebetteten Podcasts mit dem „Play“-Button ▶️ zu starten, und dann gleichzeitig die Übersetzung im vorliegenden Beitrag mitzulesen.
Viel Vergnügen!]

Meine Muttersprache

Das erste Wort, was ich je hörte,
das erste Lied, das mir gesungen,
das erste, was durch mein Ohr
tief in mein Herz (mir) ist gedrungen,
sich dort für immer festgesetzt (hat),
das war von Mutter auf Mölmsch Platt.

Wenn Mutter mich, auf ihrem Arm,
des Abends in mein Bettchen brachte,
ein Küsschen gab, dann weich und warm
mich in die bunten Kissen legte,
hat sie sich bei mir niedergesetzt
und sang ein Liedchen – auf Mölmsch Platt.

Wie könnte es sein, dass ich die Wörter,
die mir so süß im Ohr geklungen,
in denen meine Mutter, war ich müde,
mich abends in den Schlaf gesungen,
in denen sie auch mit mir gebetet hat,
dass ich die jemals vergesse.

Drum will ich es auch fest bekennen,
ich sage es immer wieder auf’s Neue:
Mit meinem Mölmsch Platt bin ich verbunden,
meiner Muttersprache bleibe ich stets treu.
Ich halte in Ehren meine Vaterstadt,
und lebe und sterbe für mein Mölmsch Platt.

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