Von: Erich Bocklenberg
Die Anfänge des Solbads
Wurden durch den Ausbau historischer Badeorte in den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts vor allem der Adel und ein gutsituiertes Bürgertum bedient, so legte gegen Ende des Jahrhunderts die Gesetzgebung zur Sozialversicherung im Deutschen Kaiserreich den Grundstein für die heutige Form der Krankenversorgung. Nun konnten auch besondere Heilmittel, z.B. Trink- und Badekuren, einem größeren Bevölkerungskreis zugänglich gemacht werden.
Insbesondere in von Bergbau und Schwerindustrie geprägten Gegenden wie dem Ruhrgebiet verschlechterten sich im Laufe des 19. Jahrhunderts die Lebensbedingungen vieler Menschen deutlich. Ein harter Alltag an oft gesundheitsgefährdenden Arbeitsplätzen, ungesunde Wohnverhältnisse und zunehmende Verpestung der Luft durch Abgase der Industrie führten in der Bevölkerung – vor allem unter den Kindern – immer häufiger zu gravierenden gesundheitlichen Schäden. Für die steigende Zahl zu versorgender Menschen waren neue Einrichtungen möglichst in der Nähe der Ballungszentren zu schaffen. Das Solbad Raffelberg ist ein konkretes Beispiel für diese Entwicklung.
Schon 1855 hatte man eine Solequelle auf der Zeche Alstaden entdeckt, deren chemische Zusammensetzung medizinisch vorteilhaft war. Um diese Quelle zu nutzen, wurde 1888 in Alstaden eine Kinderheilanstalt mit Soleanwendungen eingerichtet. Sie erwies sich aber bald als zu klein und zu ungünstig gelegen. Zur Schaffung einer verbesserten Heilstätte für Kinder bildete sich zunächst in Mülheim ein Verein mit Persönlichkeiten aus Verwaltung und Wirtschaft, um die erforderlichen Mittel zu akquirieren. Es erschien inzwischen auch ökonomisch interessant, Kureinrichtungen für den allgemeinen Bedarf zu erstellen. So gründete man im Jahre 1907, noch bevor es zum Bau einer neuen Kinderheilanstalt gekommen war, eine Aktiengesellschaft zur Errichtung eines Solebades.
Verein und Aktiengesellschaft blieben zwar offiziell voneinander unabhängig, kooperierten aber planerisch. Als gemeinsamen, ca. 8,5 ha großen Bauplatz erwarb die Aktiengesellschaft die Ländereien des alten Hofguts Raffelberg, dem das Solbad seinen Namen verdankt.
Das in die ausgedehnten, alten Buchenwälder zwischen Mülheim und Duisburg eingebundene, auf einer Geländekante nahe den Ruhrauen gelegene Areal bot landschaftliche Reize, die es für die beabsichtigten Erholungseinrichtungen geradezu ideal erschienen ließen. Die Einbeziehung der natürlichen Gegebenheiten und der landschaftlichen Schönheit spielte folglich auch in den Entwürfen der Anlage eine wesentliche Rolle.
Für die Gesamtplanung war der damalige Stadtbaumeister und Beigeordnete von Mülheim, Karl Helbing, maßgeblich verantwortlich. Seine Aufgabe war es, neben dem Kindersolbad ein Badehaus sowie ein Kurhaus mit Hotelbetrieb zu errichten, die mit einem Wandelgang zu verbinden waren. Dies entsprach dem Grundmuster klassischer Badeanlagen, wie sie im 19.Jahrhundert entwickelt worden waren.
Die bauliche Gestaltung
Die Urheberschaft der Hochbauentwürfe ist bislang nicht eindeutig geklärt. Während Karl Helbing die Entwurfzeichnungen für das Kindersolbad persönlich unterschrieben hat, findet man unter den Plänen der Solbadanlagen den Namenszug des Duisburger Baugewerksmeisters Carl Hitzbleck. Es ist aber davon auszugehen, dass Helbing auf die Gestaltung der gesamten Solbadanlage Einfluss nahm, zu deutlich spürt man an beiden Gebäuden seine entwerferische Handschrift.
In dem Gebäude für die Kinderheilanstalt sollten mindestens 100 Kinder für eine vierwöchige Kur untergebracht werden können. Die kleinen Kurgäste waren Kinder armer Eltern, die meist an tuberkulösen Haut- und Lympherkrankungen sowie unter Rachitis litten. Helbing entwarf ein dreigeschossiges Gebäude auf rechteckigem Grundriss, das er symmetrisch in zwei Seitenflügel und einen Mittelbau gliederte. Das ganze Bauwerk wurde mit einem mächtigen, gegliederten Walmdach versehen, das die schlossartige Gebäudeform betonte. Seitlich waren gedeckte, nach außen abschließbare Terrassen angeordnet, da man auch an Winterkuren dachte.
Die Gestaltung des Gebäudes war zweckentsprechend schlicht und äußerte sich beispielsweise in der sorgfältigen Proportionierung der Putzfassade oder im wohlüberlegten Wechsel von Fensterformaten und -gliederungen. Auch der Innenausbau entsprach der Schnörkellosigkeit des Äußeren. Laut Helbing sollte das Haus eine „heitere Behaglichkeit“ ausstrahlen. Neben den Schlaf-, Ess-, und Aufenthaltssälen für die Patienten war eine eigene umfangreiche Badeanlage vorgesehen.
Die Planungsphase für die allgemeinen Kuranlagen des Solbades Raffelberg hat sich offensichtlich als schwieriger erwiesen, wie uns verschiedene Entwürfe aus den Jahren 1907 und 1908 vermitteln. Anfang 1908 lagen Entwürfe vor, die weitgehend den heute verwirklichten Zustand zeigen.
Ausgangspunkt der allgemeinen Kuranlage war das Badehaus. Man hatte sich für die Errichtung eines Winkelbaus entschieden, mit der Absicht, bei einer künftigen Erweiterung einen Innenhof zu bilden, der als Atrium mit umlaufendem Laubengang gestaltet werden sollte. Das Herzstück des Badehauses war eine 21m hohe Kuppelhalle, die den zentralen Eingang markiert. Im Gegensatz zu den anschließenden, von zweckmäßigen und hygienischen Gesichtspunkten bestimmten Baderäumen sah Helbing in dieser Halle den gestalterischen Mittelpunkt der ganzen Anlage. Die künstlerische Ausgestaltung war von Anfang an Bestandteil der Entwurfsüberlegungen. Der Münchener Maler Wilhelm Köppen und der Stuttgarter Bildhauer Ulfert Janssen wurden mit der Gestaltung des Innenraumes beauftragt. In eine durch Pilaster, Kassettengewölbe und die Giebelverdachungen der Mosaikfelder klassizistisch wirkende Architektur brachten beide Künstler geschickt ihre der griechischen Mythologie entlehnten Motive ein. In ihrer Handschrift lassen sich jedoch ebenso Einflüsse des Jugendstils erkennen. Das beeindruckte die damalige Fachwelt. Die Brunnenfigur von Ulfert Janssen wurde 1909 auf der Internationalen Kunstausstellung in München preisgekrönt.
Zu der medizinischen Ausstattung des Badehauses zählten 40 Wannenbäder, zwei Inhalationsräume, ein Gurgelraum, drei Ruheräume und die erforderlichen Empfangsräume für die Badegäste. Qualität und Leistungsfähigkeit der Einrichtung waren oberstes Ziel, wenn auch die Gestaltung sachlich bleiben sollte. Betont wurde die Einrichtung einer Zentralheizung sowohl für die Kinderheilstätte als auch für das Solbad. So sollte der Wandelgang zwischen Badehaus und Kurhaus als heizbarer Raum auch im Winter Aufenthalt bieten können. Das unterscheidet ihn von Wandelhallen anderer Kurorte, die in der Regel offen oder nur halbseitig geschlossen errichtet wurden. Die meisten damals vorhandenen Kureinrichtungen waren Saisonbetriebe und nicht für die Winternutzung ausgelegt.
Der meist im Zentrum einer Wandelhalle angelegte Trinkbrunnen wurde hier in einen pavillonartigen, ursprünglich mit einer geschweiften Spitzhaube versehenen Baukörper in den Knickpunkt des Wandelgangs gesetzt, um die aufgelockerte Kontur der Anlage zu betonen. Hier stand eine weitere von Ulfert Janssen geschaffene Nymphenfigur, die sich heute an anderer Stelle im Solebad befindet.
Das Kurhaus sollte sowohl für Tagesgäste als auch für Logiergäste eine erstklassige Ausstattung bieten, allerdings laut Helbing ohne „Überhäufung und Prunk“. Wie am Badehaus war die Möglichkeit zur Erweiterung durch eine hofartige Umbauung auf der Südseite eingeplant. Die Gebäudehöhe, im Vorentwurf noch dreigeschossig, wurde zur besseren Einbindung in die Landschaft um ein Geschoss reduziert. Zum Ausgleich erhöhte man das Sockelgeschoss. In ihm waren die Wirtschaftsräume wie Küche und Wäscherei untergebracht. Das Erdgeschoss wurde von Süden erschlossen und führte im Norden auf eine Aussichtsterrasse, von der man über eine doppelläufige Treppe in den Park spazieren konnte. Weitere Terrassen fanden sich an den Stirnseiten. Das Gebäude betrat man über ein in der Querachse verlaufendes Entree, linkerhand erreichte man den Speisesaal und das Musikzimmer, rechterhand gelangte man in das Restaurant mit angegliedertem Schreib- und Leseraum und in einen Spielsalon. Über eine Treppe im Vestibül oder über einen in schmuckem Jugendstil gestalteten Aufzug gelangte man zu den Hotelzimmern im 1. Obergeschoss und zum Mansarddach.
Das Hotel besaß 33 Betten. Alle Einrichtungen, so Helbing, sollten einfach, aber gediegen sein. Auf eine sorgfältige Auswahl der Farben und Formen legte er großer Wert. Ein wenig Stuck in den repräsentativen Erdgeschossräumen, zeitgemäße Einrichtungen der Hotelzimmer, Waschbecken mit kaltem und warmem Wasser, Doppeltüren und einheitliche Möblierung in Mahagoniholz sind die wesentlichen Merkmale der damaligen Innengestaltung. Die Fassadengestaltung beschreibt Helbing selbst:
Die Gebäude „sind sämtlich im Äußeren hell verputzt, haben Ziegeldächer erhalten und begleiten mit mäßig bewegten Umrisslinien den ruhigen Waldhintergrund. Hier ist keine Zierform verwandt, nur Fläche an Fläche bestimmt den Eindruck, da es nicht angezeigt erschien in der großen Natur mit kleinlichen Details zu prunken.“
Die Gartengestaltung
Mit der Planung des Außenbereichs hatte man den Düsseldorfer Gartenbaudirektor Freiherr von Engelhardt beauftragt, dem die gartenkünstlerische Aufgabe gestellt wurde, die Beziehungen zwischen Landschaft und Gebäuden herauszuarbeiten. In zwei Bauabschnitten entwickelte Engelhardt eine verschiedene Leitbilder der Gartenarchitektur geschickt vereinigende Parkanlage von hoher Qualität. Um 1908 entstand zunächst nördlich und südlich der Solbadgebäude ein teils geometrisch streng gegliederter, teils in der Art eines englischen Landschaftparks gestalteter Außenbereich. Die vorhandenen natürlichen Gegebenheiten – Wald, Wasserlauf und Geländeabstufung – nutzt Engelhardt zur Schaffung eines vielfältigen Szenariums aus geraden und geschwungenen Wegen, Treppenanlagen, Sitzbereichen, Pergolen und Wasserflächen, ergänzt durch eine sorgfältige Auswahl von Bäumen, Sträuchern und Zierpflanzen. Er ordnet alle diese Elemente zugleich in Bezug auf die Architektur der Gebäude an.
Auch die Einfriedung des früher nicht kostenlos zugänglichen Parks unterlag einer einheitlichen, architektonischen Betrachtung. Bewusst einfach als Betonmauer gestaltet, um der ganzen Anlage wie einem Bild einen festen Rahmen zu geben, sind die Eingänge mit kleinen Kassenhäuschen ganz im Stil der großen Gebäude gehalten. Darüber hinaus gab es im Park mehrere Pavillons und überdachte Sitzplätze, von denen allerdings nur noch Reste erhalten sind.
Im Zuge der Ausweitung des Parks am Nordrand um das Jahr 1928, deren Gestaltung auch Engelhardt zugeschrieben wird, wurde die axiale Ausrichtung des Parks auf das Kurhaus gestalterisch noch weiter herausgearbeitet und am nördlichen Eingang oberhalb einer geschwungenen Freitreppe durch einen vom Architekten Hans Großmann entworfenen Pavillon abgeschlossen. In den wenigen bekannten Darstellungen erscheint der nicht mehr vorhandene Pavillon als moderner, im Bauhausstil gestalteter Baukörper.
Die Bauten der Solbadgesellschaft wurden am 16. April 1908 in Angriff genommen und innerhalb von nur 13 Monaten bis zum Mai 1909 fertiggestellt. Mit der Errichtung des Kindersolbades begann der Verein erst im Juli 1908, aber auch hier wurde man Mitte 1909 fertig. Die Baukosten einschließlich des Inventars beliefen sich auf 1.000.000 Mark, wobei 180.000 Mark für die Kinderheilstätte, 820.000 Mark für Solbad und Park aufgewendet wurden.
Gebäude und Park: Eine wechselhafte Geschichte
Anfänglich entwickelte sich die Kinderheilstätte sehr positiv. Schon 1912 konnte der Vereinsvorstand mit einer Erweiterungsplanung beginnen. Aber erst 1921 wurde an der Westseite des vorhandenen Gebäudes ein weiterer niedriger Baukörper angefügt. Noch 1950 wurde der westliche Anbau anlässlich der Beseitigung verschiedener Schäden des Zweiten Weltkrieges um ein weiteres Geschoss erhöht. Dennoch war der Verein nach Ende des Krieges nicht mehr in der Lage, den Betrieb der Kinderheilstätte erfolgreich weiterzuführen. Sie musste 1955 geschlossen werden. Das Haus ist seither privater Büro- und Verwaltungssitz eines Mülheimer Unternehmens.
Der allgemeine Kurbetrieb entfaltete sich zunächst ebenfalls erfreulich. Das Solbad wurde schnell zu einem beliebten Ausflugsziel. Schon 1911 wurde ein Kursaal mit gewölbter Decke und Orchestermuschel für 800 Personen errichtet, der sowohl an den alten Speisesaal als auch im Süden an den Wandelgang angrenzte.
Wurde im Jahr 1927 noch die stolze Zahl von 75.000 Badanwendungen verabreicht, so geriet das Solbad Ende der 1920er Jahre in wirtschaftliche Schwierigkeiten, die 1936 schließlich zur Umwandlung der Aktiengesellschaft in einen Verein führten. Der Zweite Weltkrieg verursachte schwerwiegende Schäden an der Bausubstanz.
Die Gebäude wurden nach dem Krieg zur Unterbringung alliierter Streitkräfte zweckentfremdet. Während die Kriegsschäden am Kindersolbad und im Badehaus behoben wurden, stand das Kurhaus nach einer Reparatur des Daches leer. 1958 versuchte man, durch Modernisierung und Ausweitung des Kurangebotes im Badehaus die Besucherzahlen zu steigern. Die Erfolge waren jedoch leider nicht anhaltend. Das nicht renovierte Kurhaus verfiel zusehends, da Mittel zu seiner Erhaltung fehlten. 1959 erwog der Mülheimer Baudezernent Koenzen sogar den Abriss. Schließlich wurde der Bau teilweise als Wohn- und Gewerberaum vermietet. Aber die wirtschaftliche Situation des Solbadvereins besserte sich nicht. Als 1973 die Förderung der Natursole auf Alstaden eingestellt wurde, versuchte man zunächst, auf andere Solequellen und Badeangebote auszuweichen. Die Existenz der Anlage stand auf dem Spiel. Die Stadt beschloss jedoch eine erneute Renovierung des Solebades, die 1976/77 durchgeführt wurde. Doch auch diese Maßnahmen beendeten den Existenzkampf nicht, konnte eine tragfähige Wirtschaftlichkeit doch nicht erreicht werden. Neue Lösungen bis hin zur Errichtung eines modernen Thermalbades neben den alten Bauten wurden erwogen und letztlich wieder verworfen, zumal in der Bürgerschaft ein Verein entstand, der sich für die Erhaltung des Parks am Solbad Raffelberg einsetzte.
1981 bezog das „Theater an der Ruhr“ Räume im Kurhaus und nutzte zunächst den Kursaal als Aufführungsstätte. Der große Erfolg des Theaters führte schließlich 1993 zum Beschluss, das Kurhaus zur festen Spielstätte umzubauen. Mitte 1994 begannen die Baumaßnahmen nach dem Entwurf einer Arbeitsgemeinschaft der Mülheimer Architekten Münker, Schnatmann und Wüsthoff; im Herbst 1997 erfolgte schließlich die feierliche Einweihung des umgestalteten Hauses.
Das Aus für den zunächst noch verbliebenen Badebetrieb war indes nicht aufzuhalten. Ende 1992 schlossen sich die Pforten des Badehauses. Nach vergeblichen Versuchen, das Gebäude zu vermieten, entschloss sich die Stadt zum Verkauf.
Seit 1987 stehen die Gebäude des Solbades als bemerkenswertes Beispiel für Kur- und Badebauten des frühen 20.Jahrhunderts unter Denkmalschutz. Der Schutz wurde später auf den Park ausgedehnt. Für den Denkmalpfleger haben Gebäude und Park insbesondere Bedeutung als ein architektonisches Gesamtkunstwerk. Wirtschaftliche Schwierigkeiten haben nicht nur das Mülheimer Solebad gebeutelt. Andernorts wurden entsprechende Kuranlagen oft rigoros umgestaltet oder neu errichtet, um sich im Kurgeschäft zu behaupten. Der im Wesentlichen erhaltene Charakter des Solbadkomplexes erscheint auch in diesem Licht als seltenes und wertvolles Bauzeugnis.
(Aus: Zeugen der Stadtgeschichte – Baudenkmäler und historische Orte in Mülheim an der Ruhr. Hrsg. vom Geschichtsverein Mülheim an der Ruhr e.V., Klartext Verlag, Essen 2008)