Von: Rolf Schaberg
Mülheims ältestes und größtes Kreditinstitut
Sozialpolitische Überlegungen und Maßnahmen führten zu Beginn des 19. Jahrhunderts in Deutschland zur Bildung von Sparkassen. Damit sollten die ärmeren Teile der Bevölkerung die Möglichkeit erhalten, ihre Ersparnisse sicher und verzinslich anzulegen. Die Sparkasse Mülheim an der Ruhr wurde am 19. Februar 1842 gegründet. Ursprünglich eine unselbständige städtische Einrichtung, ist sie seit dem Jahre 1932 eine Anstalt des öffentlichen Rechts mit eigener Rechtsfähigkeit.
Entsprechend der wechselvollen Geschichte in Deutschland hat dieses älteste Kreditinstitut in unserer Stadt wirtschaftliche Höhen und Tiefen erlebt. Vor allem Kriege (1870-71, 1914-18, 1939-45) und die große Depression zu Beginn der 1930er Jahre verhinderten eine kontinuierliche Geschäftstätigkeit. Dennoch hat es sich zum größten örtlichen Bankunternehmen entwickelt mit einer dominanten Zentrale auf dem Berliner Platz und 14 weiteren Niederlassungen im Stadtgebiet sowie zahlreichen Ein- und Auszahlungsautomaten.
1909: Ein eigenes Gebäude auf dem Viktoriaplatz
Viele Jahre vollzogen sich die Geschäfte in bescheidenen, gemieteten Räumen: zunächst in der Wohnung des Rendanten und Armensekretärs Bernhard Dupin auf der Eppinghofer Straße, später in einem durch Zwangsversteigerung erworbenen Objekt in der Wertgasse und dann im Postgebäude am Notweg, wo sich heute das Rathaus erhebt.
Auslöser für den Bau eines eigenen, repräsentativen Geschäftshauses war die kommunale Neugliederung zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Danach umfasste die Stadt Mülheim an der Ruhr nahezu 100.000 Einwohner. Diese Entscheidung ließ auch die Sparkasse expandieren, da mit den Eingemeindungen von Broich, Speldorf, Styrum, Heißen und Dümpten die dort tätigen Geldeinrichtungen integriert wurden. Veränderungen in der Organisation und eine Erweiterung der Raumverhältnisse waren somit unumgänglich.
1907 beschloss die Stadtverordnetenversammlung, an der Viktoriastraße zwei Grundstücke für den Bau einer neuen Sparkassenzentrale anzukaufen. Mit dem Entwurf wurde der städtische Baudezernent Karl Helbing beauftragt, der später zu seinem Konzept vermerkte:
„Im künstlerischen Interesse war es sehr zu wünschen, dass die Lücke zwischen Synagoge und Lesehalle in einwandfreier Weise geschlossen wurde, um einen weiteren Schritt zur Schaffung eines fertigen Platzbildes an dieser Stelle zu tun (…). Von der Anwendung ausgesprochen historischer Formen ist Abstand genommen, vielmehr Wert darauf gelegt worden, dass der Charakter des Verwaltungs- und Kassengebäudes klar zum Ausdruck kommt.“
Diese Grundgedanken zeigten sich vor allem im Giebelaufbau und in der straffen Pfeilergliederung entlang der gesamten Platzfassade. Sockel, Pfeiler und andere architektonische Gestaltungselemente bestanden aus Hausteinen, die Zwischenfelder aus Putz. Das Dach war mit Schiefer und der Dachreiter mit Kupfer bedeckt. In dieser Ausführung stellte das wilhelminische Geschäftshaus mit neobarocken Stilbezügen eine gelungene Abgrenzung zur neoromanischen Synagoge und der Reichspost im Stil der Neorenaissance dar. Diese beiden benachbarten Gebäude waren bereits einige Jahre vorher an der Nordseite des Viktoriaplatzes errichtet worden. Nach einem zügigen Bauverlauf fand am 19. April 1909 die Eröffnung statt, und die „Vaterstädtischen Blätter“ berichteten darüber voll des Lobes.
In der jüdischen Gemeinde löste allerdings die Halbskulptur über dem Hauptportal, das unmittelbar mit der Synagoge verbunden war, Empörung aus. Das Sinnbild zeigte drei Putten mit einem Glücksschwein, das sein Hinterteil dem jüdischen Gotteshaus zuwandte. Diese Darstellung empfanden die jüdischen Bürger als eine nicht hinnehmbare Brüskierung, gilt doch in ihrem Glauben das Schwein als unrein. Nach heftigen Diskussionen wurde die Plastik ein halbes Jahr später entfernt und durch eine neue mit unverfänglichem Motiv ersetzt. Nach einer langen Odyssee hat das Glücksschwein samt Putten inzwischen eine Bleibe neben dem Eingang der Sparkassenfiliale an der Aktienstraße 78 gefunden.
Zerstörung, Wiederaufbau und Erweiterung
Vor Beginn des Zweiten Weltkrieges hatte sich die Grundstückslage auf dem Viktoriaplatz verändert. Bereits 1929 hatte die Sparkasse die frühere Lesehalle an der heutigen Ecke Schlossstraße/Viktoriaplatz von der Leonhard-Stinnes-Stiftung gekauft. Im Jahre 1938 erwarb sie die nördlich angrenzende Synagoge. Dort hatte der Vorstand der jüdischen Gemeinde wegen der steuerlichen Belastungen auf Grund neuer gesetzlicher Bestimmungen und des zahlenmäßigen Rückganges der Gemeindemitglieder am 20. Juli 1938 beschlossen, das Gotteshaus aufzugeben und der Sparkasse für deren Erweiterungsabsichten anzubieten. Der Rat der Stadt stimmte in seiner Sitzung am 3. Oktober auf Vorschlag des Sparkassenvorstandes dem Ankauf zu. Als Preis für das 772 qm große Grundstück wurden 56.000 Reichsmark vereinbart. Das aufstehende Gebäude, die Synagoge, blieb ohne Wertansatz, da es nach der Übernahme niedergelegt werden sollte. Die Eintragung des Eigentumsübergangs im Grundbuch datiert vom 10. Oktober. In der Nacht zum 10. November wurde das Gotteshaus, das zu den schönsten in Mülheim zählte, von der Feuerwehr gesprengt und in Brand gesetzt, nachdem bereits Tage vorher mit Vorbereitungen zum Abriss begonnen worden war.
Die geplante Erweiterung der Sparkassenzentrale wurde durch den Kriegsbeginn zunichte gemacht und das Geschäftsgebäude einschließlich der Lesehalle in der Bombennacht am 23. Juni 1943 zu einem großen Teil zerstört. Kurz vor Kriegsende musste der gesamte Geschäftsbetrieb nach einer Luftminenexplosion stillgelegt werden. Der Umzug in die Deutsche Bank an der Wallstraße ab März 1945 war selbstverständlich nur eine Übergangslösung. Bis November des Jahres wurden die Bombenschäden in der Hauptstelle weitgehend beseitigt und wichtige Abteilungen kehrten zurück. Auf dem Grundstück wäre in den folgenden Jahren ein Neubau möglich gewesen, doch der Vorstand entschied sich im Hinblick auf die schwache Eigenkapitalausstattung für die Restaurierung. Die Wiederaufnahme des Gesamtbetriebes erfolgte am 6. November 1950.
Der Aufbau der zerstörten Bundesrepublik in den 1950er Jahren verlief in schnellem Tempo und ging als das „Deutsche Wirtschaftswunder“ in die Geschichte ein. Das außerordentliche Wachstum spiegelte sich auch in den Geschäftsabschlüssen des Kreditgewerbes wider. Die Sparkasse Mülheim bildete keine Ausnahme, sodass sich die Hauptstelle bald als zu klein erwies.
Mit dem Entwurf für einen Um- und Erweiterungsbau wurde 1956 der bekannte Düsseldorfer Architekt Prof. Hanns Dustmann beauftragt. Bei der Planung galt es vor allem eine einheitliche Außenfront unter Einbeziehung des noch unbebauten Areals der früheren Synagoge zu schaffen. Bis März 1960 entstand das Bild einer gänzlich neuen und modernen Sparkasse. Ein großzügiger Eingang führte in zwei links und rechts gelegene geräumige Kassenhallen, in die sogenannte Bankabteilung für die Abwicklung des geschäftlichen und privaten Kontokorrentverkehrs sowie in die Spar- und Wertpapierabteilung. Die Stirnwand der letzteren schmückte eine groß dimensionierte Komposition mit silhouettenhaften Stadtbildmotiven des Mülheimer Malers Gustav Dahler. Die Büros des Vorstandes, der Kreditabteilung, der Verwaltung und Organisation sowie der Veranstaltungsraum in den oberen Geschossen waren über eine ausladende Wendeltreppe zu erreichen.
Auf dem Weg zum Berliner Platz
Die Raumprobleme schienen nun auf lange Zeit gelöst. Doch schon Mitte der 1960er Jahre wuchsen die Geschäfte der Sparkasse geradezu sprunghaft an. Die Einführung der von der Sparkassenorganisation besonders geförderten bargeldlosen Lohn- und Gehaltszahlungen intensivierte die Kontakte mit Privatkunden und ließ die Kontenbestände stark steigen. Die Sparkasse passte sich dieser Entwicklung konsequent an und richtete von 1965 bis 1976 weitere 15 Filialen im Stadtgebiet ein. Mit den Industrieansiedlungen im Rhein-Ruhr-Hafen erfuhr auch das Kreditgeschäft eine außerordentliche Belebung.
Zugleich war der Vorstand erneut besorgt über das zunehmende Missverhältnis zwischen der Ausdehnung des Geschäftsumfangs und der betrieblichen Nutzfläche in der Hauptstelle. Zur langfristigen Lösung dieses Problems zeichnete sich im Sommer 1978 eine unerwartete Perspektive auf dem Berliner Platz ab, dessen Geschichte mit der Zerstörung von Mülheims Innenstadt während des Zweiten Weltkrieges und dem sich anschließenden Wiederaufbau begann. Nachdem dieses einst eng bebaute und wenig ansehnliche Geviert zwischen Delle, Ruhr-, Leineweber- und Friedrichstraße im Zweiten Weltkrieg zerstört worden war, ließ die Neugestaltung lange auf sich warten.
Erst Anfang der 1960er Jahre bekundete mit dem Frankfurter Neckermann-Konzern ein damals bedeutendes deutsches Handelsunternehmen Interesse mit der Zusicherung einer Niederlassung im Stadtzentrum. Nach einem langwierigen Planverfahren sollte der Komplex mit 12 Stockwerken Mülheims Weg in die moderne Zeit verkörpern. Die Eröffnung am 19. November 1965 in Gegenwart des Konzernchefs und Reiteridols Josef Neckermann löste einen Käuferstrom ohnegleichen aus. Der Vorplatz erhielt den Namen „Berliner Platz“ in Anlehnung an die im gleichen Jahr begründete Städtepartnerschaft mit dem Berliner Bezirk „Tiergarten“. Doch schon ein Jahrzehnt später war die Euphorie verflogen und die Presse berichtete über erhebliche finanzielle Schwierigkeiten des Versand- und Kaufhauses. Diese konnten auch mit Hilfe einer Beteiligung der Karstadt AG nicht beseitigt werden. Zum Jahreswechsel 1977/78 wurde die Schließung der Mülheimer Filiale bekannt gegeben. Anfang 1979 erwarb die Sparkasse das Objekt und im Gegenzug kaufte die Stadt Mülheim die Sparkassenzentrale auf dem Viktoriaplatz, wo seit 2006 nur noch eine Selbstbedienungseinrichtung für Ein- und Auszahlungen unterhalten wurde. 2009 wurde dort die neue Stadtbibliothek eröffnet.
Ein mühsamer Standortwechsel
Im Sommer 1979 begann am Berliner Platz der Abriss des mächtigen und von vielen Bürgern inzwischen ungeliebten Bauriegels, der ursprünglich als westliches Eingangstor zur Innenstadt gedacht war. Der Sparkasse stand noch ein langer Vorlauf bis zum ersten Spatenstich für einen Neubau bevor, denn der für Neckermann geschaffene Bebauungsplan aus dem Jahre 1963 galt nicht mehr für das künftige Projekt. Die Sünden der Vergangenheit sollten sich mit dem neuen Gebäudeentwurf nicht wiederholen. So diente das Grundstück vorerst sechs Jahre lang als Parkplatz.
Im März 1981 schrieb die Stadtverwaltung einen bundesweiten Ideenwettbewerb aus, auf den 80 Entwürfe eingingen. Den 1. Preis erhielt die Architektengruppe Prof. Kraemer, Sievers und Partner aus Braunschweig. Diese Entscheidung löste eine lebhafte öffentliche Resonanz aus. Es folgten zahlreiche durch die politischen Parteien initiierte Bürgerveranstaltungen, ohne dass sich letztlich nennenswerte zusätzliche Aspekte ergaben. Der wesentliche Gedanke des Entwurfes bestand in einer Kopfbebauung an der Friedrichstraße, einer weiten Öffnung von der Stadtmitte zur Delle und einer zusammenhängenden Bebauung der Leinweber- und Ruhrstraße. Nach Genehmigung durch den Regierungspräsidenten erlangte dieser Plan im Dezember 1983 Rechtskraft.
Anfang 1984 gab die Sparkasse den Startschuss für den Realisierungswettbewerb. Es wurden 65 Entwürfe eingereicht, die anonymisiert einer Jury vorgelegt wurden. Diese entschied sich einstimmig für den Vorschlag des Mülheimer Architektenteams Heinrich Pothmann und Werner Skornia, das im August mit der Gesamtplanung des Berliner Platzes beauftragt wurde. In der Begründung hieß es u. a.: „Im Gesamtkonzept wie auch im Detail zeigt die Arbeit eine eigenständige Weiterentwicklung der Architektur großer öffentlicher Bauten in Mülheim vom Anfang dieses Jahrhunderts.“ Zehn Jahre nach dem Kauf des Neckermann-Grundstücks wurde das neue Hauptgeschäftsgebäude der Sparkasse am 24. Januar 1989 in Anwesenheit von Prof. Dr. Jochimsen (Wirtschaftsminister von Nordrhein-Westfalen) und Dr. Geiger (Präsident des Deutschen Sparkassen- und Giroverbandes) feierlich eröffnet.
Äußere und innere Gestaltung des Hauses
Der Gedanke eines übergeordneten Gestaltungszusammenhanges zwischen den historischen Bauten wie Rathaus, Stadthalle, Rheinisch-Westfälisches Wasserwerk und dem neuen Projekt auf dem Berliner Platz wird schon äußerlich in der Verwendung von Natursteinmaterialien deutlich. Für die Fassade wurde ein feuergeflammter rötlicher Granit gewählt, der sich poliert und in Verbindung mit hellem Marmor in der Kundenhalle fortsetzt. Die Dachflächen, Gauben und Dachaufbauten sind mit Kupfer eingedeckt. Ein wichtiges Gestaltungselement der Kundenhalle ist das große Glasdach. Es macht den Wechsel der Jahreszeiten im Innenraum atmosphärisch erlebbar. Von der Galerie im ersten Obergeschoss bietet sich ein umfassender Blick über die gesamte Halle, die sich dank der hervorragenden Akustik auch bei musikalischen Veranstaltungen bewährt.
Künstlerische Akzente werden vor allem mit der Brunnenplastik unterhalb der Freitreppe, der Beleuchtung in Form einer „Lichtharfe“ und mit der breitflächigen Wandmalerei von Prof. Schubert aus Berlin gesetzt. Einen besonderen Anziehungspunkt bildet auch das beeindruckende Natursteinrelief von Prof. Marks aus Celle im Foyer zu den Sitzungs- und Vorstandsräumen. Außerdem schmückt ein beachtlicher Bestand an Arbeiten bekannter Mülheimer Künstler aus dem Besitz der Sparkasse die Geschäftsräume. Die Gestaltung der Freifläche des Berliner Platzes verdient ebenfalls Aufmerksamkeit, denn sie verbindet den Stadtkern mit dem Naherholungsgebiet an der Ruhr. Mittelpunkt ist eine ungewöhnliche Plastik von Prof. Almstadt aus Hildesheim. Die Skulptur symbolisiert eine beladene Tischfläche, verbunden mit einem Wagen und einer Zwillingsdeichsel. Sie erinnert an ein Stück Stadtgeschichte: den Siedlungsbeginn, den Hellweg und eine Furt durch die Ruhr.
Insgesamt stellt die Sparkasse auf dem Berliner Platz nicht nur das Zentrum des Bankgeschäfts dar, sondern auch eine für Mülheim wichtige kulturelle und bürgernahe Begegnungsstätte.
(Aus: Zeugen der Stadtgeschichte: Baudenkmäler und historische Orte in Mülheim an der Ruhr, hrsg. vom Geschichtsverein Mülheim an der Ruhr e.V., Klartext Verlag, Essen 2008)