Von: Andreas Macat
„Das ist für mich 100 % Mülheim“. Folgt man einer Online-Umfrage des Senders 92.9 radio mülheim, so ist es nicht der Rathausturm, es sind auch nicht die Ruhrauen. „100 % Mülheim“ ist das Aquarius Wassermuseum, für das mehr als die Hälfte der über 500 Befragten votierte. Auch wenn die Umfrage per Mausklick keinen Anspruch auf Repräsentativität erheben kann: Aquarius hat in den letzten Jahren Erfolgsgeschichte geschrieben. Das mit Abstand besucherstärkste Museum in Mülheim ist über die Stadtgrenzen und die Region hinaus bekannt. Für manche Mülheimer mag „der Turm“ schon so etwas wie ein Wahrzeichen sein.
Weit mehr als eine halbe Million Besucher haben Aquarius besucht, seit das Museumskonzept 1992 anlässlich des „3ème Salon International des Musées et des Expositions“ im Grand Palais in Paris vorgestellt wurde. Auf internationalem Parkett waren die Deutschen damals mit neuen Museumsprojekten vertreten: Dem Museum für Kommunikation, dem Bonner Haus der Geschichte und dem Aquarius Wassermuseum, das kurz vor seiner mit Spannung erwarteten Eröffnung stand.
Initiatorin der Museumsgründung war die Rheinisch-Westfälische Wasserwerksgesellschaft (RWW), die den Aquarius, wie übrigens auch das Haus Ruhrnatur auf der Mülheimer Schleuseninsel, seither in Eigenregie betreibt. Was bewegte ein Wasserversorgungsunternehmen, das rund eine Million Menschen mit Trinkwasser beliefert, zur Gründung eines Museums? Die Idee basierte auf einer einfachen Erkenntnis: Je unbelasteter der „Rohstoff“ ist, desto weniger aufwändig und kostenintensiv gestaltet sich die Trinkwasseraufbereitung. Es gilt, die Ursachen der Gewässerverschmutzung zu bekämpfen. Dazu gehört auch: Aufklärung betreiben, Bildungsarbeit leisten. Erklärtes Ziel des Aquarius wie auch des Hauses Ruhrnatur war es daher von Anfang an, das Bewusstsein für den Umwelt- und Gewässerschutz zu schärfen und die Bereitschaft zu stärken, sich für ökologische Belange im Zusammenhang mit Wasser einzusetzen.
Bei Gründung des Aquarius Wassermuseums spielte noch ein weiterer Aspekt eine Rolle. Seit Anfang der 1980er Jahre war die Frage offen, was mit dem hundert Jahre alten Styrumer Wasserturm, der nicht mehr gebraucht wurde, geschehen solle. Bis zu seiner Stilllegung hatte der von RWW betriebene Turm vorwiegend Betriebswasser geliefert, zunächst an Thyssen, später an Mannesmann. Anders als unzählige andere ausgediente Wassertürme fiel das Bauwerk jedoch nicht der Abrissbirne zum Opfer. Nachdem es unter Denkmalschutz gestellt worden war, entschloss sich RWW zum Erhalt des Industriedenkmals, das für die Entwicklung der zentralen Wasserversorgung in Mülheim Symbolcharakter hat.
Gebaut worden war der Styrumer Wasserturm jedoch nicht von der RWW, sondern von August Thyssen, dem Gründer des Stahlkonzerns. Wie war es dazu gekommen? Um diese Frage zu beantworten, ist ein Blick auf die Anfänge der Wasserversorgung aufschlussreich.
Von der Brunnengemeinschaft zur zentralen Wasserversorgung
Wassermangel und die bedrohliche Wasserqualität der Brunnen waren die zentralen Gründe, die zum Bau der ersten Wasserwerke führten. In Mülheim war die Situation bis ins 19. Jahrhundert hinein durch vergleichsweise günstige Bedingungen gekennzeichnet. Die Ruhr und zahlreiche Bäche standen zur Wasserentnahme zur Verfügung. In den hochwassersicheren Gebieten gab es Brunnen zur Grundwasserentnahme, in den höher gelegenen grundwasserarmen Gebieten, in Heißen und Dümpten, nutzte man auch Zisternen zur Regenwassersammlung. Es gab Brunnengemeinschaften, ein eigener Brunnen oder eine Pumpe waren Zeichen von Wohlstand.
1831 brach in London, wo auch die Schattenseiten der Industrialisierung früher als in anderen Städten erkennbar wurden, die erste Choleraepidemie aus: 50.000 Menschen starben. Im Verlauf des 19. Jahrhunderts verbreitete sich die Cholera in Europa. Verarmung und soziales Elend – die Kehrseite der Industrialisierung – bildeten den Nährboden für die um sich greifenden Epidemien. Seuchen grassierten in Paris, München und Hamburg. Zwar konnte der Nachweis erst Jahrzehnte später von Robert Koch, dem Begründer der Bakteriologie, erbracht werden. Viele vermuteten jedoch schon damals verunreinigtes Wasser als Ursache für die um sich greifenden Epidemien.
Als Reaktion auf verheerende Cholera- und Typhusepidemien begann man Konzepte zu entwickeln, in deren Mittelpunkt die Wasserversorgung sowie die Abfall- und Abwasserbeseitigung standen. Deren Umsetzung auf kommunaler Ebene zählt zu den wesentlichen kulturhistorischen Errungenschaften in jener Zeit. So wie wir uns heute mit Umweltproblemen auseinandersetzen, so bestimmte damals die Frage, wie Epidemien wirksam verhindert werden können, die Diskussion. Hygiene war das Stichwort.
Vor diesem Hintergrund wurden Mitte des 19. Jahrhunderts in Deutschland die ersten Wasserwerke gebaut: 1848 in Hamburg, 1856 in Berlin und 1864 in Essen. In Mülheim schien der Ruf nach einer zentralen Wasserversorgung zunächst aus einer anderen Richtung zu kommen. Nachdem 1854 die Stadtbeleuchtung auf Gas umgestellt worden war und es immer wieder zu Bränden gekommen war, die mangels Löschwassers nicht wirksam bekämpft werden konnten, zeigte sich, wie unzureichend der Brandschutz war. Die Situation verbesserte sich etwas, als ein kleines Dampfpumpwerk der Rheinischen Eisenbahngesellschaft in Nähe des Ruhrufers gebaut worden war.
Doch dann brach auch in Mülheim 1866 die Cholera aus. Die Ärzte waren weitgehend machtlos. Desinfektionsmaßnahmen wurden durchgeführt, ein Leichenhaus wurde gebaut, die Frage der Kanalisation erörtert. Von einer Überprüfung der Brunnen war zunächst noch nicht die Rede. Die These, wonach verseuchtes Wasser die Ursache für Infektionskrankheiten sei, war nicht unumstritten. Viele glaubten zum Beispiel an die so genannte Miasmen-Theorie, wonach faulige Ausdünstungen aus dem Boden die Atemluft verpesteten und Krankheiten hervorriefen. 1871 wurde in Mülheim zum ersten Mal ein Brunnen chemisch untersucht, mit alarmierendem Ergebnis. Mehrere Brunnen mussten geschlossen werden, die „nur eine trübe Flüssigkeit hergaben, die auf die Bezeichnung Trinkwasser keinen Anspruch machen konnte”, wie der mit der Untersuchung beauftragte Sachverständige, ein Apotheker, bemerkte. Trinkwasser war zum knappen Gut geworden.
Was war die Ursache für die Wasserverschmutzung? Neben der wachsenden Industrie und dem Anstieg der Bevölkerung spielten auch die hiesigen geologischen Gegebenheiten eine Rolle: Den wasserführenden Kiesschichten fehlt nämlich die schützende Bodendecke. So drangen Abwässer oft ungefiltert ins Grundwasser.
Die Mülheimer wollten zunächst kein Wasserwerk in städtischer Trägerschaft. Es erschien unrentabel. Da sich jedoch keine privaten Investoren fanden, musste die Stadt selbst initiativ werden. Sie erwarb Grundstücke auf der rechten Ruhrseite an der Uferstraße „Dohne“ und auf der “Großen Weide” (Dohneinsel), wo das Ruhrwasser über eine Sickergalerie geführt, mittels Brunnen gefördert und über einen Düker durch den Schleusenkanal zum Pumpwerk geleitet werden sollte.
Im Januar 1876 ging das erste Wasserwerk in der Geschichte Mülheims mit einem spektakulären Schauspritzen der Feuerwehr in Betrieb. Es verfügte über zwei dampfgetriebene Pumpen, die von der Friedrich-Wilhelms-Hütte gebaut worden waren. Das Wasser wurde in einen Behälter auf dem Kahlenberg gepumpt. Fürs erste wurden rund 15 Kilometer Versorgungsleitung verlegt. 1877 hatte man einen Versorgungsgrad von 15 Prozent erreicht.
Anders als in Mülheim, wo das Wasserwerk in kommunaler Trägerschaft geführt wurde, organisierten Großindustrielle die Wasserversorgung in Oberhausen privatwirtschaftlich. Die Aktiengesellschaft Oberhausener Wasserwerk versorgte bereits seit 1871 Industriebetriebe und Eisenbahnanlagen. Zwei Dampfpumpen auf dem heutigen Werksgelände der RWW an der Moritzstraße förderten anfangs rund 400.000 Kubikmeter Wasser im Jahr. Weniger die bedenkliche Wasserqualität als der andauernde Wassermangel gab hier den Anstoß: Viele Brunnen waren versiegt – eine Folge von Bergsenkungen, wodurch die grundwasserführenden Schichten zerstört worden waren. Die Versorgung von Privathaushalten hatten die Aktionäre zunächst nicht im Sinn. Nur auf Druck der Stadt Oberhausen verpflichteten sich die Betreiber, künftig auch allen Einwohnern einen Hausanschluss herzustellen.
Zwei Probleme machten dem Mülheimer Wasserwerk in den folgenden Jahren zu schaffen: Zum einen die unzureichenden Wassermengen, zum anderen der geringe Wasserdruck. Obwohl man die Zustände zu verbessern suchte, sprangen in den folgenden Jahren Großkunden ab so zum Beispiel die Gutehoffnungshütte, aber auch Thyssen.
Wasser für Thyssen – Vom Bau des Styrumer Wasserturms
So war der Mangel an Wasser auch der Grund für den Bau eines zweiten Wasserwerks in Styrum. Und das kam so: 1871 hatte August Thyssen sein erstes Bandeisenwalzwerk in Styrum errichtet. Das erforderliche Betriebswasser bezog er zunächst aus einem Brunnen am Heckhoff-Hof, einem aufgestauten Bach, dem Bruchbach, später auch von der Mülheimer Zeche Wiesche und dem Mülheimer Wasserwerk an der Dohne. Die Ausweitung der Produktion verlangte jedoch immer größere Mengen an Wasser. Als Thyssen Ende der 1880er Jahre die Versorgung seiner Werke nicht mehr gesichert wähnte und die Stadt Mülheim eine Steigerung der Wasserförderung ablehnte, entschloss er sich zum Bau eines eigenen Wasserwerks. In kurzer Zeit erwarb Thyssen Grundstücke am Ruhrufer, so auch Schloß Styrum mit den dazugehörigen Besitzungen. Gebaut wurde das Wasserwerk schließlich in Styrum, wo die Wasserqualität am besten war – direkt neben dem Oberhausener Wasserwerk, oberhalb versteht sich. Es erstaunt nicht, dass die Oberhausener mit diesen Plänen nicht einverstanden waren. Doch ihr Einspruch beim Regierungspräsidenten hatte keinen Erfolg. 1893 wurde das Werk samt Wasserturm wie geplant fertig gestellt.
Wie funktioniert überhaupt ein Wasserturm? Wasser muss bekanntlich mit Druck aus der Leitung kommen. Den nötigen Druck erzeugen heute meistens Pumpen, die dank Elektronik präzise steuerbar sind. Im 19. Jahrhundert gab es diese Technik noch nicht. Um den erforderlichen Druck herzustellen, baute man Wassertürme oder nutzte natürliche Anhöhen für die Errichtung von Wasserbehältern. Der Druckausgleich funktioniert nach dem Prinzip der kommunizierenden Röhren. In Gefäßen oder Rohren, die miteinander verbunden sind, steigt eine Flüssigkeit in allen Teilen immer gleich hoch. Deshalb richtet sich die Höhe eines Wasserturms nach den höchsten Entnahmestellen im Versorgungsgebiet. Neben der Druckerzeugung spielte die Wasserspeicherung eine wichtige Rolle. Notwendig sind Wasserspeicher in einem Versorgungssystem, da der Bedarf starken Schwankungen unterliegt. So beträgt die Wasserabgabe in der Nacht häufig nur ein Bruchteil der Tagesmenge.
Der große Wasserbedarf der Eisenbahn, der Industrie und der Haushalte stellte hohe Anforderungen an die Konstrukteure der ersten Wassertürme des 19. Jahrhunderts. Das Problem bestand darin, technische Lösungen für den Bau möglichst großvolumiger Wasserbehälter zu finden. Frühe Konstruktionen waren aus Gußeisen gefertigt und hatten einen rechteckigen Grundriss, zeigten sich aber nur bedingt haltbar. Gusseisen wurde als Holzersatz betrachtet, und so fügte man in Unkenntnis der Materialeigenschaften die Eisenplatten wie Holzkästen zusammen. Eine Verbesserung brachten zylindrische Konstruktionen aus schmiedeeisernen Blechen, die so genannten Flachbodenbehälter. Diese Form erwies sich nicht nur als wesentlich haltbarer, sondern erlaubte auch eine wirtschaftlichere Bauweise, da weniger Material benötigt wurde. Der erste, für eine zentrale Wasserversorgung bestimmte Wasserturm in Deutschland, der 1853 bis 1855 von dem genialen englischen Ingenieur William H. Lindley in Hamburg errichtet wurde, war mit einem solchen Flachbodenbehälter ausgestattet.
Ein Nachteil des Flachbodenbehälters bestand darin, dass der ebene Boden eine Unterstützung durch ein massives Trägergerüst benötigte, um die auftretende Biegebeanspruchung aufnehmen zu können. Das brachte die Konstrukteure auf die Idee, den Boden kugelförmig auszubilden. Beim Hängebodenbehälter, für den sich auch die Baumeister des Styrumer Wasserturms entschieden, wird die ganze Last durch einen geschlossenen Auflagering auf das Mauerwerk übertragen. Eine Abstützung des Bodens, der hauptsächlich auf Zug beansprucht wird, ist nicht mehr erforderlich. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts setzte sich diese Behälterform weitgehend durch – nicht zuletzt wohl auch deshalb, weil sich durch den freitragenden Boden die Materialkosten um 25 Prozent reduzieren und für den Unterbau sogar halbieren ließen.
Thyssens Wasserturm lieferte Wasser nach Styrum und über eine 15 Kilometer lange Leitung über Dümpten, Borbeck und Gladbeck nach Bottrop. Die Gemeinden machten Thyssen zur Auflage, die angrenzenden Häuser und öffentlichen Gebäude ebenfalls an das Versorgungsnetz anzuschließen. 1896 erweiterte er das Versorgungsgebiet nach Westen: es wurde eine Versorgungsleitung bis zur Gewerkschaft Deutscher Kaiser bei Hamborn verlegt. Von Styrum aus wurden auch die AG Phönix für Bergbau und Hüttenbetrieb, die Arenbergsche Bergwerksgesellschaft und die Gewerkschaft Mathias Stinnes beliefert. So entwickelte sich Thyssens Wasserwerk bald zum größten Regionalversorger. Der größte Teil des Absatzes entfiel allerdings auf den Thyssen-Konzern selbst, die Belieferung von Privathaushalten spielte anfangs nur eine untergeordnete Rolle.
RWW wird regionaler Wasserversorger
Nach der Jahrhundertwende begann Thyssen, den Schwerpunkt der Wassergewinnung an den Rhein zu verlagern. Nach Streitigkeiten mit der Stadt Mülheim wegen des von ihr geplanten Hafenausbaus verkaufte er 1912 alle Geschäftsanteile seines Styrumer Wasserwerks an die Stadt Mülheim, den Kreis Recklinghausen und die Rheinisch-Westfälische Elektrizitätswerks AG (RWE). Damit war der Weg frei für den von den Mülheimern angestrebten Zusammenschluss der Wasserwerke Thyssen, Mülheim und Oberhausen zur RWW, die am 1.1.1913 die geordnete Wasserversorgung von Industrie und Bevölkerung übernahm. Damit ging auch der Styrumer Wasserturm in den Besitz des nunmehr größten Wasserversorgers der Region über.
Bis zu seiner Stilllegung lieferte der Turm vorwiegend Betriebswasser, zunächst weiterhin an Thyssen, später an Mannesmann. 500 Kubikmeter Wasser fasste der aus sechs bis elf Millimeter starken Stahlplatten geformte Behälter, in den die Museumsbesucher heute mit dem Aufzug einfahren. Früher wurde das Wasser aus dem Styrumer Wasserwerk über eine Steigleitung in den Behälter gepumpt. Ein einfacher Regelmechanismus steuerte den Zufluss und sorgte dafür, dass der Wasserstand nicht unter ein bestimmtes Niveau absank. Eine zweite Rohrleitung im unteren Teil des Behälters war mit dem Leitungsnetz verbunden.
Neben seiner Funktion als Wasserspeicher diente der Wasserturm auch lange Zeit als Wohnung. Auf drei Etagen lebten Wasserwerker der RWW mit ihren Familien. „Sie fragten uns, ob wir die Wohnung im Turm haben wollten. Weil wir drei Kinder hatten“, erinnert sich eine ehemalige Bewohnerin. „Wir wohnten in der zweiten Etage. Die Außenwand war rund, in der Mitte war das dicke Wasserrohr. Küche, Wohnzimmer, Schlafzimmer. Wo die Rundung war, stand die Couch, die Möbel an den Zwischenwänden. Wir hatten einen Hundezwinger, Hühner, eine Vogelvoliere, Schweine und ein Schaf. Neben dem Stall war das Klo und auf der anderen Seite die Waschküche, wo im Sommer gebadet wurde. Jede Familie hatte auch ein kleines Gärtchen. Dort haben wir sonntags gesessen und ein Bier getrunken. Das war wirklich schön.“ Ende der 1960er Jahre erhielten die Bewohner moderne Werkswohnungen. Den Turm verließen sie mit einem lachenden und einem weinenden Auge. „Vor allen Dingen hat man hier Freiheit gehabt. Wir würden jetzt noch drin wohnen. Aber wir mussten raus wegen dem Plumpsklo, und auch der Kessel wurde undicht, alles wurde feucht.“
Nach der Elektrifizierung und Modernisierung der RWW-Wasserwerke in Styrum wurde der Turm 1982 stillgelegt. Erste Sanierungsmaßnahmen waren bereits 1964 getroffen worden. Das den Wasserbehälter umgebende Ziegelfachwerk hatte sich als brüchig erwiesen und war durch einen Betonmantel ersetzt worden. Doch auch dieser war inzwischen nicht mehr intakt. Überlegungen, das Gebäude abzureißen oder zu verkaufen, wurden verworfen. 1984 erfolgte der Eintrag in die Denkmalliste.
Vom Wasserspeicher zum multimedialen Museum
Wassertürme haben oft eine prägnante Architektur. Manche erinnern an mittelalterliche Wehrtürme, andere hingegen sind einfach gestaltete Zweckbauten. Der Styrumer Wasserturm war zwar vorrangig ein funktionales Industriebauwerk. Wer aber genau hinsieht, entdeckt Verspieltes, Gauben und Windrosen im Mauerwerk, typische Zeichen damaliger Industriearchitektur. Im Gutachten der Unteren Denkmalbehörde (1989) heißt es: „Der Styrumer Wasserturm lässt eine am Vorbild eines Wehrturms orientierte Architektur erkennen, die typisch für die frühe Industriearchitektur ist. Es handelt sich um einen dreigeschossigen Backsteinbau mit achteckigem, sich nach oben verjüngendem Sockel, der durch mehrere waagerechte Mauerwerksbänder sowie durch ein abgestuftes Kranzgesims gegliedert wird. Darüber erhebt sich ein Turmschaft in Zylinderform mit 8 Fensterachsen. Der Turmschaft ist durch waagerechte Zick-Zack-Bänder in gelbem Klinker aufgeteilt. Das Spitzdach trägt mehrere Spitzgauben und eine Windrose.“
Ende der 1980er Jahre beschloss die RWW, den denkmalgeschützten Wasserturm zu einem Museum auszubauen. Keine leichte Aufgabe: Altes zu bewahren, aber an neuen Nutzungsansprüchen auszurichten. Die Eigenwilligkeit des geschützten Bauwerks zu erhalten und zugleich ein besuchertaugliches Museum zu schaffen. So wurde neben dem Wasserturm ein zweiter Turm errichtet. Auf diese Weise konnte das Denkmal in seiner Substanz erhalten und der baurechtlich erforderliche Fluchtweg hergestellt werden. Das gab dem Bauwerk ein unverwechselbares Äußeres, dem seine ursprüngliche Funktion ebenso anzusehen ist wie sein Wandel. Ergänzt wurde das Ensemble durch ein neu errichtetes Eingangsbauwerk (Foyer) und ein bereits bestehendes Nebengebäude, die ehemalige Kapelle des Schlosses Styrum aus dem 17. Jahrhundert, in der heute die Verwaltung und ein Versammlungsraum untergebracht sind. Die Planung erfolgte in engster Abstimmung mit den Denkmalbehörden, die das architektonische Konzept uneingeschränkt unterstützten.
Eine von der RWW geleitete Projektgruppe, bestehend aus Architekten, Künstlern, Ausstellungs- und Medienfachleuten, nahm ihre Arbeit auf. Aus einem Reservoir für Wasser sollte ein Reservoir des Wissens über Wasser werden. Mehr als eine schöne Allegorie: Geplant war ein multimediales Museum, ein Ort, der vielfältige Erlebnismöglichkeiten bietet, Spaß macht, Lernen ermöglicht und zu eigener Aktivität ermuntert.
Im April 1992 war es soweit: Zeitgleich zur Landesgartenschau MüGa öffnete das Aquarius Wassermuseum seine Türen. Über eine halbe Million Menschen aller Alters- und Bildungsstufen haben das interaktive Museum im alten Turm seither besucht. Natürlich bietet das Museum auch ein museumspädagogisches Programm, das Tag für Tag von Schulen aus der Region in Anspruch genommen wird. Über 8000 Gruppen machten sich bislang auf den Weg in die Welt des Wassers. Und viele von ihnen kommen wieder – allein, mit Freunden oder der Familie. Jeder vierte Aquarius-Besucher ist Mehrfachbesucher. Angesichts des wachsenden Interesses an Industriekultur und sanftem Tourismus konnte das Museum zudem neue Besucherkreise für sich gewinnen. Aquarius ist auch Ankerpunkt der Route Industriekultur des Ruhrgebietes. Im vergangenen Jahr wurde begonnen, die Ausstellung schrittweise zu aktualisieren und auszubauen. Sechs Stationen wurden grundlegend überarbeitet, ergänzt oder völlig neu entwickelt. Das zugrundeliegende Museumskonzept indes ist heute aktueller denn je: Museumsbesucher wollen selbst Einfluss nehmen, Technologie erproben, Spannendes erleben und auf diese Weise Neues erfahren. Dazu haben sie im Aquarius mit seinen interaktiven Stationen, Touchscreens und anderen, auf Berührung reagierenden Objekten, die zum Anfassen, Mitmachen und Begreifen auffordern, mannigfache Gelegenheit.
(Aus: Zeugen der Stadtgeschichte – Baudenkmäler und historische Orte in Mülheim an der Ruhr. Hrsg. vom Geschichtsverein Mülheim an der Ruhr e.V., Klartext Verlag, Essen 2008)