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Broich – Burg, Schloß, Residenz

Quelle: Stadtarchiv

Von: Rolf-Achim Mostert 

Baugeschichte 

Die Stadt Mülheim an der Ruhr ist aus einer Reihe von Siedlungskomplexen zusammengewachsen. Einige davon, so Broich, Dümpten, Mülheim, Saarn und Styrum lehnten sich an adelige Sitze an. Der Saarner Adelssitz wurde um 1200 in ein Frauenkloster umgewandelt und wenige Jahrzehnte nach seiner Gründung dem Zisterzienserorden unterstellt. Die Schlösser Broich und Styrum sind die einzigen Adelssitze, die auf Mülheimer Gebiet heute noch vorhanden sind. 

Wann genau Burg Broich entstanden ist, weiß niemand, vielleicht um 900 oder später. Von ihrer Lage her sicherte die Burg eine Ruhrfurt, über die einer der wichtigsten Verkehrswege der damaligen Zeit, der Hellweg, führte. Er war Handelsweg und Militärstraße, verband die Besitztümer des Königs bzw. des Reiches im niederrheinisch-westfälischen Raum von Duisburg über Mülheim und Essen bis Dortmund und Paderborn. Saalbauten sowie ein repräsentativer Hauptbau dieser ersten Broicher Anlage hatten durch vorhandene Kamine und Aborte Wohncharakter. Die Bauten waren geeignet, hochgestellte Persönlichkeiten mit umfangreichem, auch militärischem Gefolge zu beherbergen. Wahrscheinlich war die ovale Umfassungsmauer nicht vornehmlich als Festungsmauer konzipiert. Diese Anlage hatte Pfalzcharakter und sollte offenbar als Burg und Herberge des Reiches bzw. des Königs dienen. Sie fiel vielleicht einer Brandkatastrophe zum Opfer. 

Im 11. und 12. Jahrhundert bemühten sich die salischen (1024-1125) und staufischen (1137-1254) Könige und Kaiser, zur Intensivierung ihrer Herrschaft das Königsgut bzw. den Reichsbesitz u. a. am Niederrhein und in Westfalen zu stabilisieren und zu sichern. Dazu benötigten sie Burgen, die sie mit den umliegenden Ländereien in die Obhut und Verwaltung zuverlässiger, militärisch geschulter Besatzungen gaben. Zu diesem Personenkreis zählten vermutlich auch die Herren von Broich, die erst um die Mitte des 13. Jahrhunderts in den Urkunden als „Edelherren“ („dominus“ oder „nobilis“) bezeichnet wurden. 1093 trat ein „Burghardus de Brouche“ als Mitglied und Zeuge des Grafengerichts des Königs in Mülheim auf. Der Bau eines viereckigen Turmes im letzten Viertel des 11. Jahrhunderts und weitere Nutzungsspuren belegen, dass Burg Broich seitdem dauerhaft bewohnt worden ist. Auch im folgenden Jahrhundert baute man die Anlage wehr- und wohntechnisch zeitgemäß aus. Dazu gehörten eine Ringmauer mit erweiterten, auch auf bescheidene Repräsentation ausgerichteten Wohngebäuden, der Abbruch des viereckigen und der Neubau eines mächtigen Rundturms. Der Verzicht auf die Saalbauten der Zeit um/nach 900 und die Verkleinerung des damaligen ovalen Mauerrings zeigt, dass in späterer Zeit der militärische Charakter der Anlage Priorität beanspruchte. Im 13. und 14. Jahrhundert war die Burg Broich eine relativ kleine, vor dem Hintergrund der damaligen Waffentechnik dennoch wehrfähige Anlage. 

Die Grafen von Limburg, über ihre Besitzungen in Styrum und in Mülheim direkte Nachbarn Broichs, heirateten in die Familie von Broich ein und beerbten diese gegen 1372. Als landesherrliche Residenz dieses erweiterten Herrschaftsgebietes sollte Burg Broich fungieren. Die Limburger Grafen leiteten daher entsprechende Baumaßnahmen ein. In der Vorburg ließen sie ein großes Steinhaus, den Ostbau des Niederschlosses, errichten. Nicht vorrangig gesteigerter Wohnkomfort wurde so geschaffen, sondern durch einen Rittersaal bemerkenswerten Ausmaßes eine angemessene Umgebung für höfische Repräsentationsverpflichtungen. 

Im 15. Jahrhundert begonnen, im 16. (Westbau, Niederschloss) und 17. Jahrhundert (Eckbau, Niederschloss; Ausbau Hochschloss; Torhaus; barocke Gartenanlagen) fortgesetzt, im späten 18. Jahrhundert vollendet, entwickelte sich die Burg allmählich zu einem Schloss Broich, dessen Bewohnbarkeit und Repräsentativität für die Besitzer wichtiger als der militärische Zweck wurde. Die Verteidigungsanlagen hatte man anfangs zwar noch nicht vernachlässigt (Küchenturm und Turm „Scheifhake“, um 1400; Torhaus 17. Jahrhundert), aber die Erfahrung bewies 1443 den Grafen von Limburg und 1598 auch den Grafen von Daun-Falkenstein, seit 1511 Besitzer Broichs, dass ihre Burg im militärischen Ernstfall der für die damalige Zeit modernen Waffentechnik, den Geschützen, nur sehr begrenzt gewachsen war. Spätestens seit den Baumaßnahmen Graf Wilhelm Wirichs von Daun-Falkenstein (1613-1682), die um die Mitte des 17. Jahrhunderts abgeschlossen wurden, war Broich mehr Schloss als Festung.

Das Aussterben der Grafen von Daun-Falkenstein in der männlichen Linie 1682 beraubte Schloss Broich seines Residenzcharakters, auch wenn es weiterhin Regierungssitz blieb. Die Grafen von Leiningen als neue Broicher Landesherren ließen sich nur noch sporadisch in ihrer Herrschaft sehen und die Regierungsgeschäfte durch ihre Beamten erledigen. Zwar verschlechterte sich so einerseits allmählich der bauliche Zustand des Schlosses, andererseits unterblieb auch ein Um- oder völliger Neubau zu einem Barock- oder Rokokoschloss, so dass die heute noch vorhandenen Ruinen und Bauten Besuchern einen Einblick in eine vielhundertjährige Entwicklungsgeschichte Broichs ermöglichen. Die letzte Broicher Landesherrin, Landgräfin Marie Luise Albertine zu Hessen-Darmstadt, geb. Gräfin von Leiningen, veranlasste um 1789 noch einmal mit der Errichtung eines Treppenhauses und dem Umbau des Eckbaus Baumaßnahmen am Niederschloss, die aber nur den Zweck verfolgten, die bestehende Bausubstanz für ihre gelegentlichen Aufenthalte wenigstens teilweise zeitgemäßem Wohnstandard anzupassen. 

In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts errichtete Eduard Stöcker, der Schloss Broich 1857 gekauft hatte, im Ringmauerbereich und an das Hochschloss anschließend eine Villa. Diese ließ die Stadt Mülheim, Besitzerin des Schlosses seit 1938, bei den Ausgrabungen der 1960er Jahre wieder abreißen.

Gegenwärtige Erscheinung und Nutzung 

Wer die heutige Schlossanlage durch das Haupttor betritt, sieht eine zweigeteilte Anlage mit Bauten aus verschiedenen Jahrhunderten. 

Rechter Hand des Schlosshofes liegt die Kernburg aus der Stauferzeit mit ihrer charakteristischen Ringmauer (Hochschloss) und zwei Türmen, die zum Schutz des Burgtores errichtet worden waren. Die ursprünglich ca. 9-10 m hohe Ringmauer ließ Stöcker im 19. Jahrhundert teilweise abtragen, um von seiner Villa eine bessere Sicht auf die Ruhr und die Stadt zu haben. Die mit Bogenfenstern versehene Fassade des rechten Turmes (Südwestturm) deutet auf seine auch repräsentative Funktion hin. Er hatte vom Obergeschoss aus einen Zugang zu einem Fachwerkgebäude, das sich innen an die Ringmauer anlehnte. Vermutlich handelte es sich um den Palas der hochmittelalterlichen Burganlage. Im 16. Jahrhundert wurden der Ringmauer weitere Wohnbauten angefügt, die im 17. Jahrhundert in die heute wieder annähernd rekonstruierte äußere Form gebracht wurden. Diese Wohnbauten zwischen den beiden Türmen sowie die breite, ebenfalls im 17. Jahrhundert in die Ringmauer gebrochene Durchfahrt lassen erkennen, dass der wohnliche Charakter der Anlage den wehrhaften abgelöst hatte. 

Im inneren Areal der Ringmauer kann der Besucher die Grundmauern der bereits aus Stein errichteten ersten Anlage aus der Zeit um/nach 900 besichtigen, wenn das Gittertor nicht verschlossen ist. Während die Saalbauten zur Ringmauer orientiert liegen, wird die Sicht auf den Hauptbau durch die massigen Grundmauern des späteren Rundturmes abgelenkt. In seinem Inneren erkennt man auch noch die Reste des Viereckturmes aus salischer Zeit. 

Linker Hand des Schlosshofes reihen sich repräsentative Bauten des späten Mittelalters und der frühen Neuzeit (Niederschloss), deren wohnlicher und repräsentativer Charakter nicht zuletzt an den zahlreichen Fenstern erkennbar ist. Von 1380 bis 1401 wurde in der damaligen Vorburg ein großes, auf eindrucksvollen Gewölben ruhendes Steinhaus (Ostbau) mit Treppengiebel errichtet, im 16. Jahrhundert erweitert durch den so genannten Westbau. Im 17. Jahrhundert kam noch der Eck- oder Küchenbau hinzu, der im 18. Jahrhundert zeitgemäß umgebaut und mit Mansarddach versehen wurde. 1789 vollendet wurde das Treppenhaus zwischen Ost- und Westbau, wovon die Bauinschrift der Landgräfin Marie Luise Albertine zu Hessen-Darmstadt Zeugnis gibt. Auch die Bauaktivitäten des 17. Jahrhunderts sind durch eine Inschrift von 1644 belegt, die in der Mauer neben dem Eckbau zu finden ist. 

Die noch vorhandenen Befestigungsanlagen um den Schlosshof (Turm des Eck- bzw. Küchenbaus, anschließende Mauer bis zum Hochschloss mit Geschützturm „Scheifhake“) entstanden im späten Mittelalter. Nicht erhalten sind die weitläufigen äußeren Befestigungsanlagen des 16. und 17. Jahrhunderts, die nach dem mehr schlossartigen Ausbau Broichs notwendig geworden waren, sowie die Gartenanlagen.

Die Baumaßnahmen der 1960/70er Jahre ohne vorhergehende intensive baugeschichtliche Untersuchungen glichen einem inneren Abriss, der eine ehemalige Nutzung der Räume nur noch im Rahmen der Repräsentationsräume im Niederschloss erahnen läßt. Vor allem der Küchen- bzw. Eckbau wurde innen in einen zeittypischen, ehemals von der Volkshochschule genutzten, öffentlichen Nutzbau umgewandelt. Diesem Zweck fielen auch die Räumlichkeiten im Hochschloss zum Opfer. 

Heute wird das Niederschloss gastronomisch vermarktet und zu Repräsentationszwecken der Stadtverwaltung genutzt. Die Repräsentationsräume können zwar nicht mehr besichtigt, aber von Bürger/innen angemietet werden. Das Hochschloss wird für (heimatgeschichtliche) Ausstellungszwecke genutzt. 

Broich – Burg, Schloss, Residenz 

Im Hochmittelalter wurden überall Burgen gebaut, auch in unserer Region. Burgen demonstrierten durch ihre Präsenz Herrschaftsansprüche, die sie im Konfliktfall absicherten. Dies gilt auch für Burg Broich, die in ihrer langen Geschichte vielleicht nur zweimal ernsthaft militärisch bedroht worden ist: 

Die Belagerung vom 2. bis 18/19. September 1443: Um die Vorherrschaft im Rheinland und in Westfalen rivalisierten im 15. Jahrhundert insbesondere der Erzbischof und Kurfürst von Köln und die Herzöge von Kleve-Mark. Die jülich-bergischen Herzöge waren etwas ins Hintertreffen geraten und hatten nach einer verlorenen Auseinandersetzung das Kirchspiel Mülheim 1399 an Kleve-Mark verpfänden müssen. Die Grafen von Limburg trugen der veränderten Situation Rechnung und verbündeten sich mit den Herzögen von Kleve. Zeitweise wirkten sie als klevische Amtleute und dann auch ihrerseits als Pfandherren über das Kirchspiel Mülheim. Als klevische Festung an der Grenze Bergs gelegen, stellte Burg Broich für den Erzbischof von Köln und seinen Verbündeten, den Herzog von Jülich-Berg, eine Bedrohung eigener Pläne dar, die in der Soester Fehde 1444 bis 1449 einen Höhepunkt erreichten. In einer gemeinsamen Aktion eroberten Truppen des Erzbischofs und des Herzogs nach einer mehrtägigen Belagerung und Beschießung mit mauerbrechender Artillerie die Burg. Der mächtige runde Bergfried wurde dabei so sehr zerstört, dass man ihn später nicht wieder aufbaute, sondern sein Steinmaterial zur Verstärkung der Ringmauer verwandte. Aber nicht nur die Burganlage erlitt schwere Schäden, sondern auch die Zivilbevölkerung hatte unter den feindlichen Truppen zu leiden und neben erheblichen materiellen Schäden durch Plünderungen auch Todesopfer zu beklagen. 

Die Belagerung vom 5./6. Oktober 1598: Spanische Truppen waren im Herbst 1598 ins Reichsgebiet eingefallen, um u. a. eine evangelische Erbfolge in den vereinigten jülich-bergisch-klevisch-märkischen Herzogtümern zu verhindern. In der Auseinandersetzung Spaniens mit seinen aufständischen Untertanen in den Niederlanden, den so genannten Generalstaaten, besaßen die Herzogtümer eine herausragende strategische Bedeutung für beide Konfliktparteien. Eine Gruppe von evangelischen Landständen Jülich-Kleves suchte durch Einflussnahme auf die Regierungsgeschäfte eine konfessionspolitische und militärische Neutralität in den Herzogtümern durchzusetzen, während sich einige maßgebliche Räte der Regierung mehr Vorteile durch Anlehnung an die spanische bzw. habsburgische Monarchie versprachen. Die evangelischen Landstände waren deshalb gezwungen, sich ihrerseits politisch-militärischen Rückhalt bei den potentiellen, evangelischen Nachfolgern in der Herrschaft über die vereinigten Herzogtümer und bei den Generalstaaten zu verschaffen. Zu diesen Landständen gehörte in maßgeblicher Position auch der damalige Besitzer von Schloss und Herrschaft Broich, Graf Wirich VI. von Daun-Falkenstein (1542?-11.10.1598). Die Spanier besetzten systematisch die Burgen und Sitze der ihnen verdächtigen Landstände und versuchten, ihrer habhaft zu werden. Auch die Broicher Untertanen hatten zu leiden. Im Oktober 1598 wurde Schloss Broich von spanischen Truppen umzingelt und mit Kanonen beschossen, die neben dem Küchenturm ein großes Mauerstück zum Einsturz brachten. Vor weiteren Beschießungen und einem drohenden Sturmangriff kapitulierte Graf Wirich gegen die Zusicherung der spanischen Offiziere, die Bewohner des Schlosses und ihn unbehelligt zu lassen und den auf Broich vorhandenen Truppen den Abzug zu gestatten. Als die Broicher Soldaten abmarschierten, wurden sie von den Spaniern niedergemetzelt, der Graf verhaftet, das Schloss ausgeplündert. Wenige Tage später wurde Graf Wirich auf einem Spaziergang von seinen spanischen Bewachern ermordet. Diese Bluttat erregte damals großes Aufsehen in der Öffentlichkeit Europas. Die Schäden an Schloss Broich konnten erst 1644 bis 1648 abschließend beseitigt werden.

Die wesentliche Bedeutung von Burg bzw. Schloss Broich für die Mülheimer Geschichte liegt allerdings weniger in der militärischen Funktion der Anlage begründet, sondern vielmehr in ihrem Charakter als Residenz und Verwaltungsmittelpunkt einer kleinen Herrschaft. 

Die Herrschaft Broich ist aus zwei Gebietskomplexen zusammengewachsen: der kleinen Herrschaft Broich um die gleichnamige Burg herum und dem erheblich größeren Kirchspiel Mülheim, zu dem die meisten der heutigen Stadtteile gehörten und das der Gerichtsherrschaft der Grafen bzw. Herzöge von Berg – für wenige Jahre auch der Herzöge von Kleve-Mark – unterworfen war. Nachdem die Grafen von Limburg im 14. Jahrhundert die Herren von Broich beerbt hatten, begann eine Entwicklung, die beide Gebiete zu einem kleinen Territorium in der Hand einer Adelsfamilie vereinte, die alle wesentlichen landesherrlichen Rechte ausübte. Dieser Entwicklungsprozess ging nicht ohne Konflikte und Rückschläge ab, die hier nicht dargestellt werden können. Der entscheidende Schritt zur Abschüttelung der Gerichtshoheit der bergischen Herzöge fand am 22. Februar 1459 statt, als der Kölner Erzbischof das Kirchspiel Mülheim, das er als Pfandschaft vom bergischen Herzog übernommen hatte, nun seinerseits an die Grafen von Limburg-Broich verpfändete. Bereits 1446 hatte er sie als Amtleute eingesetzt. Dieses Pfand wurde niemals wieder ausgelöst, so dass die Pfandschaft verjährte und das Kirchspiel Mülheim in das Eigentum („Allod“) der Herren auf Schloss Broich überging. Die am 2. August 1486 erlassene Regimentsordnung brachte den herrschaftlichen Anspruch der Grafen von Limburg über das Broicher Gebiet wie über das Kirchspiel Mülheim gleichermaßen zum Ausdruck. In den Pfandverträgen hatte Kurköln beinahe alle Souveränitätsrechte abgetreten, die seitdem von den jeweiligen Broicher Herren ausgeübt wurden. 

Im 16. Jahrhundert vollendete Graf Wirich V. von Daun-Falkenstein (1473-1546) die Unabhängigkeit seiner Herrschaft. Im Dienst und mit der Unterstützung der Herzöge von Berg entzog er sich allen kurkölnischen Ansprüchen auf Broich und Mülheim. Zwar bestand seit 1369/77 ein Lehensverhältnis zwischen den Broicher Herren und dem Grafen (1380 Herzog) von Berg. Aber gemäß den vertraglichen Abmachungen war es auf gegenseitige militärische Hilfeleistungen beschränkt. Bis zur Aufhebung der Herrschaft Broich war diese daher nur verpflichtet, sich an den militärischen Lasten des Herzogtums Berg – auch für die Reichsverteidigung – zu beteiligen. Die Höhe der Beiträge wurde im 16. Jahrhundert jedes Mal neu ausgehandelt, in späteren Jahrhunderten dann mehr oder weniger festgeschrieben. Ansonsten gab es für die Herrschaft Broich keine Verpflichtung, sich an den gewöhnlichen Landessteuern des Herzogtums Berg zu beteiligen. 

Alle Rechte eines Landesherrn im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation nahmen die Grafen aus dem Hause Limburg und Daun-Falkenstein bis zum Ausgang des 16. Jahrhunderts beinahe ungehindert wahr. Hier können nur einige wichtige Rechte erwähnt werden. Von erheblicher territorialbildender Bedeutung war das Recht ziviler und strafrechtlicher Gerichtsbarkeit, der alle Bewohner des Herrschaftsgebietes einschließlich (seit 1593) der Untertanen der reichsunmittelbaren Grafen von Limburg-Styrum – diese selbst natürlich nicht – unterworfen waren. Einen Versuch der bergischen Regierung Mitte des 16. Jahrhunderts, eine Überprüfung („Visitation“) des Mülheimer Gerichts durchzuführen, wiesen die Daun-Falkensteiner erfolgreich ab. Die für die Rechtsprechung notwendigen Bestimmungen (Edikte, „Gesetze“), sofern sie sich nicht aus dem allgemein gültigen weltlichen und geistlichen Recht ergaben, wurden ebenfalls von den Broicher Herren erlassen. Spätestens seit dem 17. Jahrhundert waren auch die bergischen Rechtsvorschriften in der Herrschaft Broich geltendes Recht, nachdem sie zuvor vom Broicher Landesherrn geprüft worden waren und seine Zustimmung zur Publikation erhalten hatten. 

Nach Beginn der Reformation bestimmten die Grafen von Daun-Falkenstein auch über das Bekenntnis ihrer Untertanen. Graf Wirich V. stellte in der Mülheimer Kirche einen lutherischen Pastor an. Sein Enkel, Graf Wirich VI., nahm ebenfalls das Recht, über die Einstellung des Pastors zu entscheiden, in Anspruch. Statt der lutherischen begünstigte er die reformierte Konfession, allerdings in gemäßigten, weniger radikalen Formen. Auf ihn geht eine zwischen humanistischer Toleranz und zweckgerichteter Duldung schwankende Konfessionspolitik zurück, die auch seine Nachfolger verpflichtete und von den Untertanen im Zweifelsfalle eingefordert wurde. Im 17. Jahrhundert widersetzten sich die Untertanen erfolgreich den Versuchen Graf Wilhelm Wirichs, die katholische Konfession zu unterdrücken, sich in Angelegenheiten der reformierten Kirchengemeinde einzumischen und einseitig die lutherische Konfession, zu der sich der Graf persönlich bekannte, zu begünstigen. Bis zum Ende der Herrschaft existierten eine katholische, lutherische, reformierte und auch jüdische Gemeinde relativ friedlich nebeneinander. (Abb.: Blick in die Kernanlage) 

Das Verhältnis von Broicher Landesherrschaft und Untertanen beruhte auf Rechten und Pflichten, die sie sich in einem Huldigungsakt gegenseitig zusicherten. Die Landesherren konnten ihren Untertanen nicht einfach befehlen. Viele Dinge, etwa Steuerleistungen, mussten sie mit dem genossenschaftlich organisierten Untertanenverband – Honnschaften, die wiederum zu größeren Verbänden, den Hörnern, zusammenwuchsen – mühsam aushandeln. Die Untertanen behaupteten außerdem weitreichende Kompetenzen der Selbstverwaltung. Die Befugnisse der Broicher Landesherren, über Angelegenheiten ihrer Untertanen zu bestimmen, waren daher beschränkt. 

Beginnend mit den Konflikten Graf Wirichs VI. mit der jülich-bergischen Regierung, erschütterten dann vor allem die Folgen des Dreißigjährigen Krieges sowie die auf Unterordnung abzielende Regierungsweise der jülich-bergischen Herzöge aus dem Hause Pfalz-Bayern die Selbständigkeit der kleinen Herrschaft Broich. Die Broicher Landesherren mussten seit den Erfahrungen von 1598 damit rechnen, gegebenenfalls mit Gewalt der Souveränität des Herzogs von Berg unterworfen zu werden. So entzog die bergische Regierung beispielsweise ab 1695 der Herrschaft Broich ihre Rechte auf den Kohlenbergbau und die Verwertung von Speldorfer Porzellanerde. Der folgende Rechtsstreit allerdings endete 1730 erfolgreich für Broich. Die politisch-juristischen Institutionen des Heiligen Römischen Reiches konnten einer kleinen Herrschaft wie Broich auch gegen einen übermächtigen Gegner Schutz bieten.

Nicht nur von außen, auch von innen heraus war die Broicher Landesherrschaft bedroht, nämlich bei Streitigkeiten des Landesherren mit seinen Untertanen. Dieser konnte es nicht verhindern, dass seine Untertanen in einem solchen Fall den bergischen Herzog um Schutz und Hilfe baten und damit einen Vorwand für bergische Eingriffe in innerbroicher Angelegenheiten boten. Über konfessionelle Streitigkeiten und andere Beschwerden gelang es den Untertanen am 18. November 1661, Graf Wilhelm Wirich auf schriftliche Abmachungen zu verpflichten, die man als Herrschaftsvertrag bezeichnen kann. Bei jedem Herrschaftswechsel musste der neue Landesherr den Untertanen ihre in diesem Schriftstück und ggf. zusätzlichen schriftlichen Vereinbarungen niedergelegten Rechte bestätigen und garantieren. Tat er das nicht und blieben Beschwerden offen, wie z. B. unter Graf Christian Carl Reinhard von Leiningen (1695-1766), konnten sich die Untertanen an das bergische Hofgericht zu Düsseldorf oder sogar an das Reichskammergericht in Wetzlar wenden. Die Untertanen ließen den Vertrag und alle späteren Zusätze, dieses „Grundgesetz“ der Herrschaft Broich, im Jahre 1787 auf ihre Kosten sogar drucken. 

Trotz aller Bedrohungen des landesherrschaftlichen Status von Broich gelang es den Besitzern, im Inneren ihres Territoriums alle landesherrlichen Rechte prinzipiell für sich zu bewahren, allerdings um den Preis, seit Mitte des 17. Jahrhunderts nach außen hin die Souveränität des Herzogs von Berg anerkennen zu müssen. Seitdem war aus der Herrschaft eine so genannten Unterherrschaft Broich geworden. Sie ist 1806/1808 von der französischen Regierung des Großherzogtums Berg aufgelöst worden. Die neu gebildete unterste staatliche Verwaltungseinheit erhielt den Namen des größten Siedlungskomplexes, Mülheim. Später dann, nach dem Wiener Kongress 1815, verweigerte der Staat Preußen, in den die ehemalige Unterherrschaft Broich eingegliedert worden war, ihr aus Gründen der Staatsräson die Privilegien einer Standesherrschaft, die dem ehemals regierenden Adel gewisse Sonderrechte zubilligte. Das geschah unerwartet, war doch die letzte Broicher Landesherrin, Landgräfin Marie Luise Albertine zu Hessen-Darmstadt, die Großmutter der preußischen Königin Luise gewesen. 

Auch die Broicher Untertanen büßten zunächst ihre vormaligen Freiheiten und Kompetenzen ein. Ihre frühere Selbstverwaltung wurde zu einer staatlich streng kontrollierten Ausführungsverwaltung umorganisiert, die erst im Laufe des 19. Jahrhunderts einen Zuwachs an Rechten erhielt, die es gerechtfertigt erscheinen lassen, erneut von einer Selbstverwaltung zu sprechen. 

(Aus: Zeugen der Stadtgeschichte: Baudenkmäler und historische Orte in Mülheim an der Ruhr, hrsg. vom Geschichtsverein Mülheim an der Ruhr e.V., Klartext Verlag, Essen 2008)

Literatur 

Alemann-Schwarz, Monika von: „… geschehen im Jahr des Herren 1093, Mülheim, im Gericht des Grafen Bernher …“ Die Gerichtsurkunde von 1093 und ihre Hintergründe. In: Geschichtsverein Mülheim an der Ruhr (Hrsg.): 900 Jahre Mülheim an der Ruhr 1092-1993, Mülheim a.d. Ruhr 1993, S. 13-67 (zugleich: Zeitschrift des Geschichtsvereins Mülheim a. d. Ruhr 66). 

Binding, Günther: Deutsche Königspfalzen von Karl dem Großen bis Friedrich II. (765-1240). Darmstadt 1996. 

Günter, Roland: Mülheim an der Ruhr. Die Denkmäler des Rheinlandes Bd. 21. Düsseldorf 1975. 

Mostert Rolf-Achim: Gemeinde und Herrschaft im 16. Jahrhundert. Ein Beitrag zur Verfassungsgeschichte der Herrschaft Broich. In: Geschichtsverein Mülheim an der Ruhr (Hrsg.): 900 Jahre Mülheim an der Ruhr 1092-1993, Mülheim a.d. Ruhr 1993, S. 225-261 (zugleich: Zeitschrift des Geschichtsvereins Mülheim a.d. Ruhr 66). 

Ders.: Wirich von Daun Graf zu Falkenstein (1542-1598) – Ein Reichsgraf und bergischer Landstand im Spannungsgefüge von Machpolitik und Konfession. Diss. Düsseldorf 1997. 

Ders.: Der jülich-klevische Regiments- und Erbfolgestreit – ein „Vorspiel zum Dreißigjährigen Krieg“?. In: Ehrenpreis, Stefan (Hrsg.): Der Dreißigjährige Krieg im Herzogtum Berg und in seinen Nachbarregionen. Neustadt a.d. Aisch 2002, S. 26-64. 

Ders.: „Herr Henricus ist Fundator unserer Kirchen gewest, und hat uns vill guts gethan“. Ein Beitrag zur Gründungsgeschichte des Zisterzienserinnenklosters Saarn in Mülheim an der Ruhr. In: Romerike Berge 55.3 (2005), S. 2-14. 

Ortmanns, Kurt: Schloß Broich in Mülheim an der Ruhr. 2. Aufl. Neuss 1985 (Rheinische Kunststätten H. 77). 

Ders.: Das Reich und der Mülheimer Raum im 11.-13. Jahrhundert. In: Geschichtsverein Mülheim an der Ruhr (Hrsg.): 900 Jahre Mülheim an der Ruhr 1092-1993, Mülheim a.d. Ruhr 1993, S. 89-103 (zugleich: Zeitschrift des Geschichtsvereins Mülheim a.d. Ruhr 66). 

Redlich, Otto Reinhard: Mülheim an der Ruhr. Seine Geschichte von den Anfängen bis zum Übergang an Preußen 1815. Mülheim a.d. Ruhr 1939 

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