Der Bismarckturm

Bismarckturm, Quelle: Stadtarchiv Mülheim an der Ruhr

Von: Kai Rawe

Bismarckverehrung im Kaiserreich

Unübersehbar ist die Zahl der Straßen, Plätze, Schulen, Bergwerke, Kriegs- und Handelsschiffe, ja sogar ganzer Städte (USA), Berge, Meeresstraßen, Pflanzen (Palmengattung „Bismarckia“, Wegerichart „Plantago Bismarckii“) und Gebrauchsartikel, die nach Otto von Bismarck benannt sind. Selbst Speisen wie der berühmte Bismarck-Hering oder die weniger bekannte „Bismarckrolle ‚Deutsche Eiche‘“ – eine Gebäckspezialität – trugen seit dem späten 19. Jahrhundert den Namen des ersten Kanzlers des Deutschen Reiches von 1871. Zahlreich sind auch literarische Würdigungen in Form von Liedern, Gedichten, Romanen, Erzählungen, Anthologien aus seinen Werken und dergleichen mehr.

Wenn auch häufig nur durch Kitsch und Nippes oder durch banale Alltagsprodukte – wie den bereits genannten Hering – so war Bismarck im späten Kaiserreich doch im täglichen Leben jedes einzelnen Deutschen omnipräsent. Es wäre leichtfertig, in diesem Bismarck-Kult die Macht des Trivialen zu unterschätzen; die Überredungskraft der millionenfach (re-) produzierten Devotionalien war enorm, gründete sie doch auf einer echten, volkstümlichen Begeisterung für Bismarck.

Die besondere Wertschätzung Bismarcks setzte bereits zu dessen Lebzeiten ein. Seit 1866 wurden ihm immer wieder die verschiedensten Ehrungen zuteil. Vor allem nach seiner Entlassung im Jahre 1890 erlebte die Bismarckverehrung nach Art und Umfang einen erheblichen Aufschwung und die von einer breiten bürgerlichen Popularität getragenen Feiern zu seinem 80. Geburtstag 1895 nahmen regelrecht demonstrative Züge an. Ein stetiger Strom von Aufmerksamkeiten aus aller Welt, z.B. von im Ausland lebenden Deutschen, floss nicht nur an Geburts- und Feiertagen nach Friedrichsruh, dem Alterssitz, auf den Bismarck sich nach seiner Entlassung zurückgezogen hatte. Sechs Ehrendoktorate, unzählige Ehrenmitgliedschaften, Orden, Auszeichnungen und zahlreiche Ehrenbürgerschaften wurden Bismarck im Laufe der Jahre verliehen. Als diese Welle der Huldigungen im Jahre 1895 ihren Höhepunkt erreichte, wollte auch die Stadt Mülheim an der Ruhr nicht länger auf eine Ehrung verzichten. Ebenso wie in 377 weiteren Städten nahm man auch in Mülheim den 80. Geburtstag Bismarcks zum Anlass, ihm die Ehrenbürgerschaft zu verleihen. Die eigens angefertigte und aufwändig gestaltete Urkunde wurde Bismarck sogar persönlich durch eine Abordnung Mülheimer Honoratioren in Friedrichsruh überreicht.

Die allgemeine Verehrung für den Reichskanzler nahm in dieser Zeit immer mehr kultische Züge an und nach seinem Tod im Jahre 1898 wurde er endgültig zum „Mythos Bismarck“, seine persönlichen Gegenstände zu Reliquien. Kern- und Angelpunkt dieser weitreichenden Verehrung war der Gedanke der nationalen Einheit, wie sie sich in der durch Bismarck errungenen nationalstaatlichen Einigung und Reichsgründung 1871 ausdrückte. Von diesem Fixpunkt ausgehend wuchs die Verehrung über die Wertschätzung der historischen Persönlichkeit Bismarcks hinaus ins Sakral-Religiöse, wurde gar zum Ausdruck von nationalistischer Überheblichkeit, von deutschem Militarismus und Imperialismus.

So weitverbreitet die Begeisterung für Bismarck auch war, gab es dennoch Stimmen, die sich dem „Hosianna“ verweigerten. Unverhohlenen Spott und heftige Ablehnung gegen die Verehrung äußerten vor allem die Sozialdemokraten. Sie brandmarkten Bismarck als den Schuldigen an drei Kriegen, als innenpolitischen Reaktionär, als Verfolger der Sozialdemokratie und als Mann einer arbeiterfeindlichen Zoll- und Steuerpolitik. Dieser Ton milderte sich nach dem Tode Bismarcks, als die tagespolitischen Kämpfe nicht mehr den Blick für eine historisch-sachliche Beurteilung verstellten. Mit einer Neubewertung des bestehenden Nationalstaates in den folgenden Jahren bis zum Ersten Weltkrieg begann das monolithische Feindbild der SPD zwar immer mehr zu bröckeln, in die Menge der „begeisterungstrunkenen Bewunderer Bismarcks“ reihte sich die SPD jedoch nicht ein. Man sah schließlich in ihm eine bedeutende Persönlichkeit, deren Größe man anerkannte, ohne sie zu feiern.

Doch diesen kritischen Stimmen stand eine breite sozial-kulturelle Trägerschicht der Bismarckverehrung gegenüber, die sich aus dem Bildungs- und Besitzbürgertum ebenso wie aus dem Kleinbürgertum der mittleren Angestellten, Einzelhändlern und Handwerkern sowie der bürgerlichen Jugendbewegung und der Studentenschaft rekrutierte. Gerade die junge Generation, die ohne „Reichssehnsucht“ in der Realität des Reiches aufgewachsen war und keine persönliche „Anti-Bismarck-Erfahrung“ z.B. durch den Kulturkampf und die Sozialistengesetze gemacht hatte, schien dabei sowohl als Anreger wie als Empfänger des Kultes um Bismarck am stärksten ideologisiert worden zu sein.

Der „eiserne Kanzler“ im Denkmal

In den breiten Kontext der allgemeinen Verehrung gehören auch die 700 nach dem Tod des Reichskanzlers projektierten und über 550 tatsächlich errichteten Bismarck-Denkmäler. Von diesen erlangten neben traditionellen Büsten und Standbildern vor allem die nachgewiesenen 234 Bismarcktürme eine große ideologische und (kunst-)historische Bedeutung. 

Nach dem Tode Bismarcks wurde in den Reihen der deutschen Studentenschaft die Idee für diese Bismarcktürme geboren und in einem berühmt gewordenen Aufruf vom 3. Dezember 1898 ihre Programmatik wie folgt formuliert:

„Wie vor Zeiten die alten Sachsen und Normannen über den Leibern ihrer gefallenen Recken schmucklose Feuersäulen auftürmten, deren Spitzen Feuerfanale trugen, so wollen wir Bismarck zu Ehren auf allen Höhen unserer Heimat, von wo der Blick über die herrlichen deutschen Lande schweift, gewaltige granitene Feuerträger errichten. Überall soll, ein Sinnbild der Einheit, das gleiche Zeichen entstehen, von ragender Größe, aber einfach und prunklos, in schlichter Form auf massivem Unterbau nur mit dem Wappen oder Wahlspruch des Eisernen Kanzlers geschmückt. Keinen Namen soll der gewaltige Stein tragen, aber jedes Kind wird ihn deuten können.“

Deutlich hervorgehoben sind in dieser Denkmalsidee germanische Akzente – und dies nicht nur durch den Verweis auf die „Sachsen und Normannen“, sondern auch durch die Form eines stadtfernen Bergdenkmals und die Verwendung des harten Baumaterials Granit, die beide als spezifisch deutsch-germanisch empfunden wurden. Entsprechend dieser Grundidee, der die historische Forschung eine deutliche Tendenz zu germanophiler, deutschtümelnder Selbstagitation nachgewiesen hat, wurden zwischen 1898 und 1914 überall im Deutschen Reich ähnliche Bismarcktürme und -säulen errichtet. 

Der Mülheimer Bismarckturm

Die Geschichte des Mülheimer Bismarckturms begann im März 1904, als der angesehene Mülheimer Bürger und Wohltäter Dr. Hermann Leonhard um die baupolizeiliche Erlaubnis bat, auf dem Kahlenberg einen Bismarckturm nach einem Entwurf des städtischen Beigeordneten Carl Linnemann zu errichten. Dieser Erlaubnis stand nichts im Wege und so konnte schon bald ein Standort ausgesucht werden, der den schönsten und weitesten Blick ins Ruhrtal bot. Hierzu wurde die Drehleiter der freiwilligen Feuerwehr auf dem anvisierten Bauplatz in Höhe des geplanten Turmes ausgefahren, der Rundblick von Linnemann persönlich geprüft – und für gut befunden. Nachdem die Standortfrage auf diese Weise zügig geklärt worden war, dauerte es bis zum Februar 1906, als eine Baukommission den endgültigen, vom Stadtbauamt unter maßgeblicher Leitung Linnemanns ausgearbeiteten Entwurf des Turmes annahm. Bereits im November 1905 war der Bauherr Dr. Leonhard verstorben, doch hatte seine Witwe, Margarete Leonhard, geb. Stinnes, weiterhin an dem Projekt festgehalten. Trotzdem dauerte es nach der Annahme des Entwurfes noch zwei Jahre, bis die Kostenaufstellungen vorlagen und die Ausschreibungen für die Bauausführung endlich durchgeführt werden konnten. Im Juni 1908 konnte Linnemann Frau Leonhard schließlich mitteilen, dass die Baukosten voraussichtlich 60.000 Mark nicht übersteigen würden und die Mülheimer Baufirma Rudolphi bei der Ausschreibung als „Mindestfordernde“ ermittelt worden sei. Auch stellte er die Grundsteinlegung für den 10. Todestag Bismarcks, den 30. Juli 1908, und die Fertigstellung des Turms für dessen 94. Geburtstag am 1. April 1909 in Aussicht. Und tatsächlich wurden im Juli 1908 die Bauarbeiten zur Vorbereitung der Grundsteinlegung begonnen. Da der 30. Juli auf einen Donnerstag fiel und sich Bedenken gegen die Wahl eines Werktages für eine würdige Feier erhoben, wurde der Grundstein schließlich am Sonntag, dem 2. August 1908, unter großer Beteiligung der Bevölkerung gelegt – und dies, obwohl zur selben Zeit die Broicher Kirmes stattfand, die bei strahlendem Wetter viele Besucher anlockte. Mitglieder der Männergesangvereine „Einigkeit“, „Frohsinn“ und „Harmonie“ sowie vom „Sängerbund“ bildeten zur musikalischen Gestaltung der Feier einen gemeinsamen Chor, der nach der Beurteilung in der Lokalpresse „allerdings in den Erwartungen sehr weit zurückgeblieben war“. Die Urkunde, die in den Grundstein eingelassen wurde, betonte die Aufgabe des zu errichtenden Denkmals: der Welt zu verkünden, „dass Otto von Bismarck es gewesen ist, der, getragen von dem Vertrauen seines königlichen Herrn, Deutschland aus Nacht und Dunkelheit zu strahlendem Glanz geführt hat“. Der markige Ausspruch „Bismarck zur Ehr – Dem Deutschtum zur Wehr – Der Jugend zur Lehr!“ mit dem die Urkunde schließt, verdeutlichte noch einmal die Gedankenwelt, die auch dem Mülheimer Bismarckturm zu Grunde liegt: Deutschtümelndes Nationalgefühl, das angesichts einer imaginären Bedrohung der „Wehr“ zu bedürfen schien, wurde mit der historischen Leistung Bismarcks verknüpft und als Auftrag und „Lehre“ an die Jugend weitergegeben. Gerade die gesellschaftspolitische Dimension der Bismarckverehrung sorgte bei dem sich an die Grundsteinlegung anschließenden Festbankett im Restaurant „Kahlenberg“ für eine deutliche Verstimmung. Der Festredner Karl Itzenplitz hielt in seiner Ansprache nicht mit Anspielungen auf den Kulturkampf und die Sozialistengesetze zurück, und rühmte Bismarcks Verdienste im Kampf gegen die „schwarze“ wie die „rote Internationale“. Diese offene Brüskierung von Katholiken und Sozialdemokraten wurde in der Lokalpresse mit einigem Unmut zur Kenntnis genommen; sie verdeutlicht einmal mehr, dass die Bismarckverehrung durchaus nicht alle Bevölkerungsteile gleichermaßen einschloss.

Der Bau

In den folgenden Monaten schritt der Bau zügig voran und allmählich nahm der Bismarckturm Gestalt an. Während dieser Phase wurde der Frage der Beleuchtung besondere Aufmerksamkeit geschenkt. Der bereits erwähnte Aufruf deutscher Studenten hatte gefordert, auf den Spitzen der zu errichtenden Bismarcktürme Feuer abbrennen zu können. In Mülheim plante man jedoch statt der Feuerschale, wie sie bei anderen Bismarcktürmen üblich war, eine elektrische Beleuchtung. Auf der Spitze des Turmes sollte – so wurde nach ausführlicher Korrespondenz u.a. mit verschiedenen kommunalen Elektrizitätswerken sowie den Siemens-Schuckert-Werken und der AEG in Berlin beschlossen – eine elektrische Beleuchtungsanlage errichtet werden. Schon vor Vollendung des Turmes wurde die Inbetriebnahme dieser Anlage mit Spannung erwartet. Sie fiel jedoch in der Beurteilung offensichtlich durch. Der Aufbau gleiche einer Straßenlaterne und der „fahle Schein elektrischen Lichtes“ habe nicht denselben Effekt wie die „freie, lebendig lodernde Flamme“, so konstatierte die Rhein-Ruhr-Zeitung. Und tatsächlich verschwand die „Straßenlaterne“ recht bald wieder von der Turmspitze; schon im März 1910 wurde an ihrer Stelle erstmals eine Feuerpfanne installiert, die mit Petroleum befeuert werden konnte und nach jedem Gebrauch bis zu ihrem nächsten Einsatz wieder demontiert wurde. Bis in die Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg wurde diese Feuerpfanne benutzt, wurden auf dem Bismarckturm bei verschiedenen Anlässen, wie z.B. bei Sonnenwendfeiern der Hitlerjugend Mülheim, immer wieder Feuer abgebrannt. Der Bismarckturm diente so über Jahrzehnte als einer der Orte Mülheims, an dem nationalistische Feiern weit über das Ende des Kaiserreiches hinaus stattfanden.

Die Einweihung des Bismarckturmes konnte wegen der zügigen Baufortschritte wie geplant am 1. April 1909, Bismarcks Geburtstag, feierlich begangen werden. Erneut war die Beteiligung der Bevölkerung zahlreich, auch wenn das schlechte Wetter eine wirkliche Feststimmung nicht aufkommen ließ. Die Stifterin des Turmes, Margarete Leonhard, konnte wegen ihres angegriffenen Gesundheitszustandes zu ihrem großen Bedauern an der Einweihung des Turmes nicht persönlich teilnehmen. An ihrer Stelle nahm ihr Neffe, Kommerzienrat Gerhard Küchen, den Schlüssel zum Turm von Carl Linnemann entgegen und überreichte diesen dann Oberbürgermeister Dr. Lembke. Dieser nahm damit symbolisch den Turm in die Obhut der Stadt.

Auf einer Grundfläche von 9×9 Metern erhebt sich der Turm nach oben verjüngend zu einer Höhe von rund 27m. Während die Mauerflächen mit hellem Ruhrsandstein, der im Broicher Steinbruch der Firma Rauen gebrochen wurde, verblendet sind, sind Ecken, Gesimse, Fensterlaibungen und der Zinnenkranz aus dunkler Niedermendiger Basaltlava gefertigt. Über dem mit wuchtigen Quadern eingefassten Portal springt in etwa 7m Höhe ein kleiner kanzelartiger Balkon hervor. Darüber befindet sich ein Relief des Reichsadlers, das der Berliner Künstler Arnold Künne ebenso wie die inzwischen zerstörte Bismarck-Büste im Turminnern geschaffen hat. In 20m Höhe befindet sich ein zinnenbewehrter Umlaufbalkon, der als Aussichtsplattform dient. Der Treppenausstieg auf dieser Aussichtsplattform ist von einem kubischen Baukörper umschlossen, auf dessen abgestuftem Pyramidenabschluss zunächst die elektrische Beleuchtungsanlage, später die Feuerschale angebracht war. Der Eingang im Erdgeschoss führt den Besucher unmittelbar in die zentrale Turmhalle. Um den weihevollen Charakter dieser Halle nicht zu stören, nimmt ein rückseitig angefügter, eingeschossiger Anbau die Treppe in das erste Geschoss auf. Vor dem Turm wurden im März 1911 zwei Feueraltäre errichtet, die Anfang der 1950er Jahre jedoch wieder beseitigt wurden.

In den Jahren bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges diente der Bismarckturm nicht nur als Kulisse für „weihevolle“ und nationalistische Veranstaltungen, sondern konnte auch nach Entrichtung eines Eintrittsgeldes von anfangs 5 Pfennigen für Kinder und 10 Pfennigen für Erwachsene bestiegen werden. Als Denkmal und Aussichtspunkt erlangte er so eine ausgesprochene Beliebtheit.

Der Bismarckturm nach dem Zweiten Weltkrieg

Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges entging der Mülheimer Bismarckturm dem Abriss, dem viele der als nationalistisch eingestuften Denkmäler und Bismarcktürme nach dem Willen der alliierten Besatzungsmächte in Deutschland zum Opfer fielen. In Mülheim wurde der Bismarckturm sogar bis 1956 von den britischen Militärbehörden als Funkstation benutzt und war während dieser Zeit für die Zivilbevölkerung nicht zugänglich. Nachdem die Briten den Turm verlassen hatten, entbrannte in der Öffentlichkeit eine z.T. heftige Diskussion über die Zukunft dieses Wahrzeichens. Ausgelöst wurde diese Debatte durch einen Leserbrief in der NRZ, der den Bismarckturm als „architektonisches Ungeheuer“ und „Fossil“ bezeichnete, in dem sich die „Sucht, Monumente als Gedenkstätten aufzurichten architektonisch bis zum Schwachsinn entwickelt“ habe. Der renommierte Heimatforscher Rudolf op ten Hövel entgegnete seinerseits mit einem Leserbrief, dass der Turm vielleicht nicht „schön“, aber doch als „Ausdruck echter Heimatverbundenheit“ und „Heimatliebe“ keinesfalls als „alter Schrott“ zu betrachten sei. Aufgrund der Vielzahl der Reaktionen entschloss sich die NRZ zu einer allgemeinen Leserumfrage und versprach jedem Leser ein Honorar von 5 DM, dessen Meinung veröffentlicht werden würde. Nun brach eine Welle der Sympathie für den Erhalt des Bauwerkes los; tagelang wurden entsprechende Lesermeinungen unter Schlachtrufen wie „Hände weg vom Bismarckturm“ veröffentlicht. Befriedigt stellte eine Mülheimerin schließlich fest, dass die Bevölkerung „in der atomtempogeladenen Zeit ein Bekenntnis zur Traditionstreue“ abgelegt habe. Ernsthaft erwog nach dieser öffentlichen Debatte zunächst niemand mehr, den Bismarckturm abzureißen.

Allerdings wurde in den 1970er Jahren deutlich, dass die Bausubstanz inzwischen einer gründlichen Sanierung bedurfte. Und noch einmal stand die Frage nach Abriss oder Erhalt im Raum. Die Stadt Mülheim entschloss sich jedoch 1979, den Turm zu seinem 75jährigen Bestehen im Jahr 1984 für 230.000 DM zu restaurieren. Nach dieser Grundsanierung war der Turm gelegentlich wieder der Öffentlichkeit im Rahmen von Stadtführungen zugänglich, bevor er seit 1998 wieder regelmäßig besucht werden kann. Inzwischen dient er als Kulturort wechselnden Ausstellungen und wird vom Mülheimer Künstler Jochen Leyendecker als Atelier genutzt. Besucher können so heute nicht nur die Aussicht von diesem Denkmal der Mülheimer Stadtgeschichte genießen, sondern auch die Entstehung von Kunstobjekten erleben.

Die Entstehung und Geschichte des Mülheimer Bismarckturms ist in vielerlei Hinsicht typisch für diese besondere Denkmalform. Allerdings findet sich mit der herausgehobenen topographischen Lage kaum ein Bismarckturm – zumal nicht im Ruhrgebiet – der eine vergleichbare Aussicht bietet und der durch die künstlerische Nutzung als „lebendiges“ Denkmal in das Kulturleben Mülheims einbezogen ist.

(Aus: Zeugen der Stadtgeschichte – Baudenkmäler und historische Orte in Mülheim an der Ruhr. Hrsg. vom Geschichtsverein Mülheim an der Ruhr e.V., Klartext Verlag, Essen 2008)

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