Von: Frank Jochims
Entstehung der Schleuseninsel
Viele Jahrhunderte lang war die Ruhr der wichtigste Transportweg des südlichen Ruhrgebiets. Den Dörfern und Gemeinden an seinen Ufern brachte der Fluss Macht und Einfluss. Dabei ist die Ruhr ihren geologischen Voraussetzungen nach ein typischer Mittelgebirgsfluss. Das gilt für ihr Gefälle, ihre Fließgeschwindigkeit und die Schwankungen im Abfluss. Durch die steilen, aus wenig sickerfähigen Ton- und Schieferböden bestehenden Hänge des Sauerlandes fließt der überwiegende Teil der Niederschläge direkt der Ruhr zu, die sich in engen Kehren tief eingeschnitten durch das Land windet. Das hat zur Folge, dass schon mittlerer Regen zu Hochwasser führen kann. Durch die hohe Fließgeschwindigkeit sinkt der Wasserspiegel dagegen in regenarmen Zeiten unverhältnismäßig stark. Diese Voraussetzungen sorgten dafür, dass die Ruhr viele Wochen im Jahr nicht zu befahren war.
Neben den natürlichen gab es von Menschen erbaute Hindernisse, die die Schifffahrt auf der Ruhr lange Zeit erheblich erschwerten. Seit dem Mittelalter bauten die Anwohner Wehre, sogenannte Schlagden, in denen das Wasser gestaut und zum Betrieb von Mühlen aller Art verwendet wurde. Diese Schlagden konnten nicht umschifft werden, so dass den frühen Ruhrschiffern nichts anderes übrig blieb, als ihre Waren an jedem Wehr umzuladen.
Um die Wirtschaft seines Landes anzukurbeln, ließ der preußische König Friedrich II. ab 1774 gegen den Widerstand vieler Anwohner insgesamt sechzehn Schleusen bauen, die dafür sorgten, dass die Ruhr ab 1780 von Langschede bis Ruhrort schiffbar war. Die Mülheimer Schleuse wurde als letzte dieser Schleusen erbaut. Es war vor allem die Landesherrin der Unterherrschaft Broich, Landgräfin Luise Albertine von Hessen-Darmstadt, die sich lange Zeit erfolgreich geweigert hatte, eine Schleuse errichten zu lassen. Sie fürchtete um ihre wichtigste Erwerbsquelle, denn ihre Einnahmen durch den Zehnten kamen in Broich fast ausschließlich durch Kohle- und Schifffahrtsabgaben zustande. Hier fielen besonders die Landeszölle auf Kohle ins Gewicht, die meist über den Landweg nach Mülheim transportiert wurde, von wo aus man sie zum Rhein verschiffen konnte. Der Kohlentransport über die Ruhr war zu diesem Zeitpunkt kaum ein Faktor, da die weiche Kohle durch das häufige Umladen an den Schlagden stark in Mitleidenschaft gezogen wurde und oft nur Kohlengruß übrig blieb. Aber nicht nur die Landesmutter, auch die Broicher wollten keine Schleuse, da sie fürchteten, dass durch den Bau der Schleuse die von ihren Mühlen benötigten Wassermengen ausblieben. Auch glaubten sie, dass der Fischfang zurückgehen könnte.
Gegen all diese Bedenken setzte Friedrich II. sich schließlich durch, indem er den Bau der Schleuse selbst veranlasste. Da es in der Unterherrschaft Broich gleich zwei Schlagden – die in Kahlenberg und die in Broich – gab, beschloss man, einen Kanal zu graben, der beide Schlagden passierte und an dessen Ende die Schleuse errichtet wurde.
Entgegen allen Befürchtungen war es vor allem Mülheim, das in den folgenden Jahrzehnten von der Ruhrschifffahrt und den Schleusengeldern profitierte. Dies erkannte schließlich auch Luise Albertine von Hessen Darmstadt, die 1795 dem preußischen König die Schleuse abkaufte. Aufgrund von Baufehlern begann Preußen 1843 mit dem Bau einer neuen Schleuse. Diese wurde parallel zur vorhandenen Schleuse – wenn auch einige hundert Meter versetzt Richtung Rhein – errichtet und nahm 1845 ihren Dienst auf. Diese Schleuse existiert bis heute und ist damit die älteste noch erhaltene Schleuse an der Ruhr.
Die ältere Schleuse verrichtete zunächst weiterhin ihre Dienste bis sie im April 1852 endgültig ihre Tore schloss. Sie wurde abgerissen und der alte Schleusenkanal wurde zugeschüttet. 1874 erwarb die Stadt das Gebiet und errichtete hier das städtische Schlachthaus, das 1908 abgebrochen wurde, da die Geruchsbelästigung für die Anwohner zu groß wurde. Mit dem Bau des Kraftwerks in den Jahren 1922-27, das genau an der Stelle der älteren Schleuse errichtet wurde, baggerte man den alten, verfüllten Schleusen-Kanal, nun jedoch deutlich verbreitert, wieder aus. So entstand Mitte der zwanziger Jahre die Schleuseninsel.
Entwicklung der Personenschifffahrt
1853 begann mit der Ruhr-Dampfschifffahrtsgesellschaft, die täglich die Route zwischen Homberg und Werden befuhr, die Zeit der Personenschifffahrt auf der Ruhr. Leider war ihr keine lange Existenz beschieden. Mit dem Bau der Eisenbahnen im Ruhrgebiet verlor sie sehr schnell an Attraktivität. Schon 1855 musste die Ruhr-Dampfschifffahrtsgesellschaft Konkurs anmelden. 1890 scheiterte auch ein zweiter Versuch, die Personenschifffahrt auf der Ruhr zu etablieren.
Die Personenschifffahrt war damit zunächst ad acta gelegt. Erst in den 1920er Jahren änderte sich die Situation: Der Mülheimer Oberbürgermeister Dr. Paul Lembke war entschlossen, der Stadt Mülheim ihren alten Ruf als Schifferstadt zurückzubringen.
Die Stadt Mülheim erwarb 1927 zwei Schiffe, die „Mülheim“ und die „Kettwig“, die nun zwischen Kettwig und dem Solbad Raffelberg verkehrten. Der Andrang der Menschen war so gewaltig, dass die Stadt Mülheim schon nach kürzester Zeit zwei weitere Schiffe erwerben musste, deren Bestand im folgenden Jahr wiederum um zwei weitere ergänzt wurde. Die „Weiße Flotte“ war geboren, die – nur unterbrochen vom Zweiten Weltkrieg – bis heute Touristen und Einheimischen die Schönheiten des Ruhrtals zugänglich macht.
Zeitgleich mit dem Entstehen der „Weißen Flotte“ hat auch die Schleuseninsel ihre Funktion als Wasserbahnhof erhalten. Da die Durchfahrt durch die alte Schleuse zu langwierig war, nutzte man die Schleuseninsel zum Umsteigen. Die Fahrgäste mussten die Insel mit Hilfe von Treppen und einem unterirdischen Gang überqueren, der an der Ruhrseite einige Meter tiefer mündete. Um die Umsteigesituation etwas komfortabler zu gestalten, wurde ein kleiner Kaffeeraum mit Toiletten eingerichtet. Dieses Gebäude wurde 1927 von den Architekten Arthur Pfeifer und Hans Großmann errichtet. Pfeifer und Großmann zeichnen für viele repräsentative Gebäude verantwortlich, die die Mülheimer Innenstadt bis heute prägen, z.B. die Stadthalle oder den Rathauskomplex.
Der Beigeordnete Brocke, der sich um den Bau des Gebäudes auf der Schleuseninsel bemüht hatte, schlug vor, es wegen seiner Ähnlichkeit zur Bastei in Köln „Ruhrbastei“ zu nennen. Doch die Mülheimer waren mit diesem Namen nicht zufrieden und schon bald hatte sich der Name „Wasserbahnhof“ eingebürgert. Bei diesem ersten Wasserbahnhof handelte es sich um eine Eisenbetonkonstruktion von eineinhalb Geschossen Höhe, deren Wände und Pfeiler unverputzt blieben. Im Erdgeschoss befanden sich eine Wartehalle und ein Fahrkartenschalter, während im Obergeschoss ein kleines Café mit 25 Sitzplätzen zum gemütlichen Verweilen einlud.
Der Bau dieses Wasserbahnhofs gestaltete sich schwierig, da mit dem Neubau des Kahlenbergwehres 1927 der Oberwasserspiegel angehoben worden war. Die Folge: Die Schleuseninsel musste um fünf Meter aufgeschüttet werden und der neu aufgetragene Boden blieb sehr weich und nachgiebig.
Um- und Ausbau des Wasserbahnhofs
Die „Weiße Flotte“ übertraf die in sie gesetzten Erwartungen bei weitem. Die Kapazitäten des Wasserbahnhofs mussten deutlich erweitert werden. Schon 1928 bekamen die Architekten Pfeifer und Großmann den Auftrag, das Gebäude wesentlich zu vergrößern. Man entschied sich, an der Südseite einen halbrunden Bauteil anzugliedern und das Gebäude insgesamt um ein Stockwerk zu erhöhen. So entstand ein Obergeschoss mit 150 Sitzplätzen. Der vorhandene Baubestand wurde als Gesellschaftsraum ausgestaltet. Als Dachkonstruktion wählten Pfeifer/Großmann eine Eisenbetonplatte, die in der Mitte durch ein zeltartiges Spitzdach unterbrochen wurde. So konnte man von innen in das Dach hineinschauen. Man sah durch einen vorspringenden, rundum laufenden Fries in einen aus Rabitz, d.h. aus einer Drahtputzdecke, geformten Hohlkegel.
Die schöne Lage des Wasserbahnhofs sprach sich immer weiter herum und die Besucherzahlen stiegen so schnell, dass wenige Monate später eine Erweiterung nötig wurde. Pfeifer/Großmann beschlossen, das Gebäude um eine weitere Etage aufzustocken. Da der Baugrund durch die unvermeidliche Aufschüttung sehr weich war, wollten die Architekten für weitere Ausbauten hohe Gewichte vermeiden. Sie entschlossen sich zu einer leichteren Stahlskelettbauweise. Die Felder zwischen der tragenden Stahlkonstruktion wurden mit Schwemmsteinmauerwerk ausgefüllt. Die Dachform blieb die gleiche, wurde jedoch aus Stahl und Holz gefertigt. Der neue Fußboden des zweiten Obergeschosses musste verstärkt werden, da er ja ursprünglich nur als Dach fungiert hatte und seine Belastbarkeit für die zu erwartenden Besuchermengen erhöht werden musste. Nach dem neuerlichen Umbau boten Speise- und Kaffeeräume 300 Gästen Platz, während die Terrassen und der Garten Sitzgelegenheiten für weitere 500 Gäste boten. So erhielt der Wasserbahnhof mit diesem dritten Umbau seine charakteristische Prägung. Die deutsche Bauzeitung beschrieb den Wasserbahnhof 1933 als ein „[…] kleines Restaurant an der Ruhr mit freiem Ausblick und offener Terrasse, wie eine Sommerlaube gerüstartig aufgebaut. Diese frischfröhliche Form der auf schlanken Stützen schwebenden, als luftiges Zeltdach anmutende Gaststätte gehört in solcher Auffassung an den Rand lebendigen, spielenden Wassers.“
Die offene Terrasse, die Stahlskelettarchitektur, das spitze, gefaltete Zeltdach und der halbrunde Südteil des Gebäudes blieben bis in die 1980er Jahre unverändert erhalten.
Kurz nach Beginn des Zweiten Weltkriegs musste 1940 der Schiffsverkehr eingestellt werden, da die Schiffe der „Weißen Flotte“ nach Holland und Russland zum Kriegseinsatz verlegt worden waren. Zwischen 1945 und 1949 war im Wasserbahnhof ein Offizierscasino der englischen Armee mit dem Namen „Riverside Club“ untergebracht. Auch wenn so der Wasserbahnhof noch nicht wieder als Ausflugslokal zur Verfügung stand, nahm die Ruhrschifffahrt schon 1947 ihre Arbeit wieder auf. Ab 1950 konnte der Wasserbahnhof wieder von der Zivilbevölkerung genutzt werden. Der Wasserbahnhof verlor auch in den folgenden Jahren nichts von seiner Anziehungskraft. Gleichwohl bemühten sich die Mülheimer nach wie vor die Attraktivität der Schleuseninsel zu erhöhen. Dies gelang im August 1953, als neben der alten Schleuse Deutschlands größte Blumenuhr auf Betreiben des Mülheimer Verkehrsvereins errichtet wurde. 1957 wiederum musste der Wasserbahnhof für ein halbes Jahr seine Pforten schließen. Mangelnde Pflege während der Kriegsjahre und während der Nutzung als Offizierscasino hatten dem Gebäude so zugesetzt, dass eine aufwändige Innensanierung nicht mehr zu umgehen war. Nach halbjähriger Umbauzeit mit Kosten von rund 430.000 DM wurde der Wasserbahnhof am 3. April 1958 unter großer Anteilnahme der Bevölkerung wiedereröffnet. Neben der Erneuerung von Fußböden, Beheizung und Beleuchtung hatte man auch eine neue Küche eingebaut, um die vielen Besucher angemessen versorgen zu können.
Obwohl der Wasserbahnhof auch in den sechziger Jahren nichts von seiner Attraktivität verlor, drohte ihm 1969 das Ende: Zu dieser Zeit planten Mülheimer Politiker den Wasserbahnhof abzureißen und einen 50 Meter hohen Hotelkomplex mit 15 Stockwerken errichten zu lassen. Zunächst groß angekündigt ließ man diese Pläne aber schon 1970 wieder fallen.
Am 8. Februar 1975 wurde der Wasserbahnhof durch ein Feuer, das wegen eines Kurzschlusses in der Sektkühlungsanlage entstand, stark beschädigt. Der Schaden belief sich auf rund 700.000 DM. Die Instandsetzungsarbeiten dauerten fast drei Monate.
Der Wasserbahnhof in neuem Glanz
In den 1980er Jahren begann der Glanz des Wasserbahnhofs zusehends nachzulassen. Das Gebäude war in die Jahre gekommen und bedurfte dringend einer aufwändigen Grundsanierung. Parallel gingen die Besucherzahlen der Gastronomie im Wasserbahnhof immer weiter zurück, auch wenn die Insel und ihre Umgebung nach wie vor als beliebter Ausflugsort galten. 1988 gab die Familie Rieseberg, die sämtliche Lokalitäten im Wasserbahnhof seit 1927 betrieben hatte, auf.
In dieser schwierigen Situation bot sich die Firma Conle an, das Gebäude zu sanieren und anschließend mit einem neuen Pächter zu versehen. Diese erneuten Sanierungsarbeiten am Wasserbahnhof dauerten von 1989 bis 1991 und erwiesen sich als schwieriger und deutlich teurer als erwartet. Die Gebäudesubstanz war so marode, dass das Gebäude weitestgehend entkernt werden musste. Als besonders problematisch erwies sich die Verwendung mangelhafter Werkstoffe während der Umbauarbeiten in den 1950er Jahren. Auch die Fundamente aus den 1920er Jahren waren nicht mehr zu retten. Es blieb nichts Anderes übrig, als neue Fundamente zu legen. Auch die ausladenden Betonplatten der Geschossdecken galt es in Stand zu setzen. Weiter mussten die äußeren Putzflächen wiederhergestellt und Stahlsprossenfenster nach originalem Vorbild eingesetzt werden. Das alte Zeltdach der rückwärtigen Gebäudehälfte wurde abgebrochen und in gleicher Form als Kupferdach ersetzt. Ebenso rekonstruierte man im Innern des Gebäudes die Stahltreppe und die Raumaufteilung so weit als möglich. Auch Fliesenböden wurden aufgearbeitet und Wände im Stil der fünfziger Jahre in Winkeltechnik gestrichen.
Über diese Sanierungsarbeiten hinaus wurde der Wasserbahnhof durch den Architekten Peter Schnatmann noch einmal erweitert. An der Hauptfassade wurde ein dreigeschossiger halbrunder Anbau mit einem repräsentativen Eingangsbereich errichtet. Durch den neuen Bauteil sind nun Vorder- und Rückseite des Gebäudes abgerundet, so dass der Wasserbahnhof einem Schiffskörper ähnelt. Trotz dieser aufwändigen Sanierung wurde der Wasserbahnhof rechtzeitig fertig, um sich beim Start der Landesgartenschau MüGa in Mülheim 1992 in neuem Glanz präsentieren zu können.
(Aus: Zeugen der Stadtgeschichte: Baudenkmäler und historische Orte in Mülheim an der Ruhr, hrsg. vom Geschichtsverein Mülheim an der Ruhr e.V., Klartext Verlag, Essen 2008)