Von: Melanie Rimpel
Die Querung der Ruhr vom Broicher Ruhrufer nach Mülheim nimmt eine besondere Rolle in der Geschichte der Stadt Mülheim an der Ruhr ein. Mit der Verbindung der Ruhrufer durch die erste Brücke der Umgebung begann eine unvorhersehbare Entwicklung der Stadt Mülheim an der Ruhr.
Die Kettenbrücke
Von 1844 bis 1909 war die Kettenbrücke, offiziell Friedrich-Wilhelms-Brücke, das Wahrzeichen der Stadt Mülheim an der Ruhr und gleichzeitig eine der ersten Kettenbrücken Deutschlands. Für die Stadt war der Bau dieses ersten Brückenschlags zwischen dem Broicher und Mülheimer Ruhrufer ein Meilenstein in der Geschichte. Hatte sich seit der Stadtwerdung 1808 der Charakter Mülheims kaum verändert – die Stadt war eher dörflich geprägt -, so begann nun eine rasante Entwicklung. Mit dem Brückenschlag entstand eine der wichtigsten Verkehrsverbindungen dieser Zeit. Die bis zu diesem Zeitpunkt verkehrende Fähre war stets vom Wasserstand abhängig gewesen, bei Hochwasser kam die Verbindung zum Erliegen. Darüber hinaus konnte sie das stetig steigende Verkehrsaufkommen nicht mehr bewältigen. Die bedeutendste Auswirkung des Brückenbaus für die Stadt lag jedoch darin, dass Mülheim damit zum Knotenpunkt wurde. Als erste Bücke der Region ermöglichte sie jederzeit die Querung der Ruhr und konnte von allen Straßen der Umgebung ohne große Umwege genutzt werden. Denn es galt der Grundsatz „Je leichter der Verkehrsweg, desto größer der Verkehr“. Für die Stadt Mülheim bedeutete dies gleichzeitig „Je größer der Verkehr, desto schneller die Entwicklung“. Bereits ein halbes Jahrhundert später war Mülheim Großstadt.
Der Bau der Kettenbrücke 1842–1844
Bereits im Jahr 1835 begann die Planung der Königlichen Regierung in Düsseldorf für den Bau einer Brücke über die Ruhr. Nach reichlichen Diskussionen wurde als verkehrsgünstigster Standort endgültig die Stadt Mülheim als Mittelpunkt von fünf über die Ruhr führenden Straßen festgelegt. Als kostengünstigste Bauweise wurde bereits in diesen Anfängen der Bau einer Kettenbrücke angestrebt.
Doch obwohl mit der Entscheidung für eine Kettenbrücke die geringsten Baukosten zu erwarten waren, zogen sich die Verhandlungen mit der Stadt hin. Zwar bekam die Stadt während dieser Zeit von verschiedenen Industriellen, so auch von Mathias Stinnes, das Angebot, die Brücke auf eigene Rechnung erstellen zu lassen, jedoch unter Einbehalt der Brückengelder. Letztendlich sagte dann im Jahr 1838 der preußische Staat die Kostenübernahme für den Bau der Brücke zu. Dennoch dauerte es weitere Jahre, bis im August 1842 die Grundsteinlegung erfolgte. Die eigentliche Bauzeit war mit wenig mehr als zwei Jahren dagegen recht kurz, so dass am 13. November 1844 in Mülheim eine der ersten Kettenbrücken Deutschlands eröffnet werden konnte.
Material und Konstruktion
Die erste Ausschreibung für die Fertigung der Kettenbrücke vom 27. Juni 1842, die zunächst die „Fertigung der Ketten nur im Heerde mit Holzkohlen gefrischte, durchaus kein Pudlingeisen“ vorschrieb, musste bereits am 22. August aufgrund einer Beschwerde der Bewerber abgeändert werden. So wurde nach einem von der Düsseldorfer Regierung beauftragten Gutachten der Text durch folgenden Paragraphen erweitert: „Das Eisen zu den Ketten- und Kuppelgliedern wird gefertigt aus mit Holzkohlen im Hochofen erblasenem Roheisen, welches aber im Pudlingsofen gefrischt und demnach ausgewalzt wird.“ Den Zuschlag erlangten die Gebrüder Hoesch in Düren. Auf deren Hütte in Lendersdorf erfolgte dann, allerdings unter Aufsicht des von der Regierung Düsseldorf beauftragten Herrn Malberg, die Fertigung der Ketten und Hängestangen.
Konstruktiv gliederte sich die Kettenbrücke in drei Öffnungen, zwei Seitenöffnungen von je 90 Fuß (ca. 28,25 m) und eine mittlere Öffnung von 300 Fuß (ca. 94,15 m) in der lichten Weite. Die Breite der Brücke betrug 24 Fuß (ca. 7,53 m). Über den beiden massiven, aus Bruchstein bestehenden Brückenpfeilern erhoben sich die durch Querverbindungen miteinander verbundenen Tragepfeiler, welche aufgrund der Gliederung der Öffnungen notwendig waren. Die dadurch entstandene Portalform wurde zusätzlich durch die obeliskartige Ausbildung der Tragepfeiler in ihrer Wirkung überhöht.
An diesen Pylonen waren im oberen, ummantelten Bereich die Ketten an gusseisernen Pendeln aufgehängt. Diese Weiterentwicklung früherer Kettenbrücken ermöglichte die unabhängige Bewegung sowie den Ausgleich temperaturbedingter Verformungen und ungleichmäßiger Belastungen ohne die Pylonen zu belasten. Die Ketten selbst bestanden aus Haupt- und Kuppelgliedern, von denen je sieben einen Strang bildeten. Auf jeder Seite waren zwei Stränge übereinander aufgehängt, so dass die Bahn von vier Kettensträngen gehalten wurde.
Ihre besondere Wirkung erlangte die Brücke vor allem durch die an den Ruhrufern in die Natur auslaufenden Rücklagern der Ketten, welche die Brücke harmonisch in die Umgebung einbanden.
Die Nutzung der Kettenbrücke 1844 – 1909
Die Eröffnung der Kettenbrücke im November 1844 wurde mit einem großen Zug über dieselbe begangen. In Reihen von sechs Personen, voran die Baubeamten und Techniker, ging er über die Brücke, gefolgt von zwei vierspännigen Kohlenwagen.
Ebenso kontrolliert wie die Eröffnung gestaltete sich im Folgenden auch die Regelung des Verkehrs. Die an der Brückengeld-Hebestelle postierten Brückenbeamten hatten für die Einhaltung der strengen Regelungen zu sorgen. Laut Brückenordnung war die Ansammlung von Menschen in größerer Menge untersagt und die Brückenbeamten dazu verpflichtet, nicht mehr als 1.000 Personen gleichzeitig auf die Brücke zu lassen. Diese und ähnliche Vorschriften begleiteten die Geschichte der Brücke in den kommenden 30 Jahren, bis die Belastungen derart gewachsen waren, dass die Brücke den Ansprüchen nicht mehr entsprach. 1874/75 wurden daher auf beiden Seiten und mittig unter der Fahrbahn Versteifungsträger aus Stahlfachwerk eingezogen.
Im gleichen Zug ersetzte man die hölzernen Querträger und den Diagonalverband durch vollwandige Stahlträger. Diese Maßnahmen konnten die Entwicklung jedoch nicht aufhalten. Die Brücke konnte so zwar bis 1907 weiterbestehen, musste dann aber endgültig einer neuen Brücke mit breiterer Fahrbahn weichen.
Die erste steinerne Brücke – die Schlossbrücke
Die geringe Verkehrsbreite war letztendlich auch ausschlaggebend für die Entscheidung der Stadt, die Kettenbrücke durch eine neue Brücke zu ersetzen. Denn obwohl die Eisenteile bis dahin vorzüglich gehalten hatten und man die Konstruktion bereits erfolgreich verstärkt hatte, war die Erhaltung der Brücke durch einen weiteren Umbau unmöglich. Ein solcher wäre von den Kosten her einem Neubau gleichgekommen. Zudem kam wegen der verkehrlichen Verhältnisse nur dieser Standort in Frage, so dass ein Abbruch trotz der engen Verbundenheit der Mülheimer mit ihrem Wahrzeichen unabwendbar war.
Mit der Ausschreibung eines Wettbewerbs trat die Stadt 1907 an eine Anzahl von Brückenbaufirmen heran, Entwürfe und Angebote für die neue Brücke einzureichen. Bereits bis zum 2. Oktober 1907 hatten 21 Unternehmen insgesamt 24 Entwürfe eingereicht. Aus den verschiedensten Entwürfen, von eisernen über steinerne Brücken bis zu Betonbrücken, entschied sich das Preisgericht letztlich für den Entwurf von Grün und Bilfinger, Mannheim, der in Zusammenarbeit mit dem Architekten Prof. Billig, Karlsruhe, erarbeitet worden war.
Die Wahl war trotz erheblich höherer Baukosten, es waren weit über einer halben Million Mark, auf eine Massivbrücke in Klinkerkonstruktion mit vollständiger Verkleidung aus Ruhrsandstein gefallen. Ausschlaggebend für diese Entscheidung war wohl neben den geringeren Unterhaltskosten und einer längeren Lebensdauer vor allem die Gestalt der Brücke. Die architektonische Ausgestaltung fügte sich in idealer Weise in die Planungen der Stadt, die Brücke ergänzte das am Mülheimer Ufer geplante Stadtbad zu einem stadtbildprägenden Ensemble.
Bauzeit und Konstruktion
Am 07. Oktober 1909 wurde die Kettenbrücke für den Abbruch stillgelegt. Mit einem Fackelzug über die Brücke verabschiedeten sich die Mülheimer von diesem einzigartigen, seltenen und schönen Bauwerk. Vergeblich hatte man mit verschiedenen Gemeinden über die Übernahme der Konstruktion verhandelt; noch bis zum Vorabend der Sperrung hatten die Mülheimer gehofft. Nach über 60 Jahren mussten sie sich von ihrem Wahrzeichen verabschieden. Wie auch beim Bau der Kettenbrücke galt nun erneut der Satz „Je leichter die Verkehrsverbindung, desto größer der Verkehr“.
Von der Sperrung der Kettenbrücke 1909 bis zur Einweihung der neuen Brücke am 24. Februar 1911 diente wenige Meter weiter eine Notbrücke als Verbindung.
Voll Stolz zeugen Bilder und Postkarten vom Bau der neuen Schlossbrücke, mit der eine neue Epoche der Stadt begann: Mülheim wurde zum „Venedig der Ruhr“. Mit dem Ziel, die Ruhr durch ein Ensemble von Bauten im Stil antiker Uferpaläste zu inszenieren, war die neue Schlossbrücke als monumentale Steinbrücke nun zentrales Element dieser Konzeption. Als steinerne Klammer verband sie Stadtbad und Brückenhaus mit der Stadthalle und dem Verwaltungsgebäude der Wasserwerke am anderen Ufer. In drei flachen, steinverblendeten Bögen überspannte sie auf ihren zwei gedrungenen, in Stampfbeton ausgeführten und mit Haustein verkleideten Pfeilern die Ruhr. Die drei nahezu gleich weit gespannten Öffnungen mit einer Spannweite von 38 m im Mittel wurden zur Mülheimer Seite hin ergänzt durch eine Landöffnung von 18,5 m zur Durchführung des Fußweges am Ufer. Die drei Hauptöffnungen waren so aufeinander abgestimmt, dass an den Kämpfern die geringe Pfeilerbreite von 3 m möglich wurde und so ein größeres Durchflussprofil erreicht werden konnte. Der höhere Kostenaufwand entstand nicht zuletzt auch durch Anordnung von Gelenken im Scheitel aller Öffnungen und an den Kämpfern, um Bewegungen der Pfeiler und Widerlager abzufangen. Die mit 12 Metern festgesetzte Brückenbreite teilte sich in 8 m Fahrbahn und je 2 m Bürgersteig, die sich am Broicher Ufer um je einen Meter aufweiteten. Auf Mülheimer Seite wurde zugunsten des Brückengeldnehmerhauses und des Stadtbades eine größere Aufweitung vorgesehen, die beiderseitige Arkaden ermöglichten, ohne den Verkehr einzuschränken.
Trotz der monumentalen Wirkung hielt Architekt Billig die Gestaltung der Brücke bewusst schlicht. Die massiven Brüstungen, die ohne etwaige Gesimse direkt aus der Brückenstirn aufragen, waren über den Pfeilern von zweifachgestuften, runden Gehwegausbuchtungen unterbrochen. Auf plastischen Schmuck war fast vollständig verzichtet worden.
Während ihres 49jährigen Bestehens wurde die Schlossbrücke neues Wahrzeichen der Stadt. Sie überstand als einzige größere Brücke den 2.Weltkrieg ohne Zerstörungen. Allerdings erging es ihr wie ihrer Vorgängerin: obwohl die Fahrbahn bereits Kraftfahrzeugverkehr und Straßenbahn Platz bot, entsprach sie nicht dem stetig steigenden Verkehrsaufkommen. Ein Umbau kam erneut einem Neubau gleich und so galt abermals „Je leichter der Verkehrsweg, desto stärker der Verkehr“.
Die neue Schlossbrücke von 1957
Die Erhaltung der steinernen Schlossbrücke durch die ausschließliche Verbreiterung der Fahrbahn mittels einer aufgelegten Tragplatte wurde schnell verworfen, einerseits aufgrund der fehlenden Tragfähigkeit, insbesondere aber wegen der starken Beeinträchtigung ihrer architektonischen Wirkung. 1956 wurde ein Neubau der Brücke beschlossen und im darauffolgenden Jahr wurde Prof. Dr.-Ing. Leonhardt, Stuttgart, in Zusammenarbeit mit dem Brückenarchitekt Dip.-Ing. Lohmer, Köln, mit einem Entwurf für die neue Brücke beauftragt.
Die neue Schlossbrücke sollte als Spannbeton-Balkenbrücke mit einer Gesamtbreite von 24,20 m, 17,20 m Fahrbahn und beiderseitig 3,50 m Gehweg ausgeführt werden. Bereits im Oktober 1957 lag der Entwurf für die Brücke vor. Über zwei Hohlkästen spannte sich die Fahrbahnplatte mit auskragenden Gehsteigen. Als Verkleidung sollte Muschelkalk in Anlehnung an die Werksteinverkleidungen verwendet werden. Aus den Angeboten der Ausschreibung stach jedoch ein Sonderentwurf hervor. Nach der Ausschreibung Anfang 1958 erhielt am 1. April die Firma Fried. Krupp Maschinen- und Stahlbau, Rheinhausen, nach eingehender Prüfung für ihren Sonderentwurf den Zuschlag unter Maßgabe, „die Tiefbauarbeiten von der Baugesellschaft F. Brüggemann, in Arbeitsgemeinschaft mit den Mülheimer Firmen Rudolphi und Volkenborn, ausführen zu lassen“.
Das Unternehmen Fried. Krupp Maschinen- und Stahlbau Rheinhausen hatte den Zuschlag für ihren Entwurf einer Brücke in Verbundkonstruktion von Stahl-Kastenträgern mit Stahlbetonfahrbahn vor allem aufgrund einer herausragenden verkehrlichen Problemlösung erlangt. Der Verkehr sollte so lange normal weiterlaufen, bis die neue Brücke auf Verschubbahnen neben der bestehenden Brücke errichtet war. Dann sollte die Umleitung des Verkehrs auf die neue Brücke erfolgen. Nach dem Abbruch der alten Brücke wurden die neuen Pfeiler an festgelegter Position erstellt und die neue Brücke auf diese Pfeiler an ihre endgültige Position verschoben.
So konnte am 12. Dezember 1959 die neue Brücke für den Verkehr freigegeben werden und mit dem Abbruch der alten Brücke begonnen werden. Nach Sprengung der alten Brücke am 21. Februar 1960 und folgenden Untersuchungen der Fundamente, wurde deutlich, dass die Erstellung neuer Fundamente unabdingbar war. Nach dieser unplanmäßigen Verzögerung, die zusätzlich einen Mehraufwand von 500.000 DM mit sich brachte, ging jedoch die Erstellung der neuen Flußpfeiler recht zügig voran, so dass diese bereits Mitte Juli fertig waren. Am 2. September 1960 wurde dann die Brücke für den Verkehr gesperrt, um am folgenden Tag mit dem Verschieben des Überbaus beginnen zu können. Bereits am 13. September konnte die Brücke an ihrem endgültigen Standort in beide Fahrtrichtungen für den Verkehr freigegeben werden.
(Aus: Zeugen der Stadtgeschichte – Baudenkmäler und historische Orte in Mülheim an der Ruhr. Hrsg. vom Geschichtsverein Mülheim an der Ruhr e.V., Klartext Verlag, Essen 2008)