Von: Jens Roepstorff
Nach der Machtübernahme Adolf Hitlers am 30. Januar 1933 wurde Ende Februar der Reichstag aufgelöst und am 5. März 1933 neu gewählt. Wohl auch vor dem Hintergrund des Reichstagsbrands erhielten die Nationalsozialisten politischen Rückenwind und fuhren zusammen mit der Deutschnationalen Volkspartei (DNVP) ein Ergebnis von 51,9 Prozent der abgegebenen Stimmen ein. Eine Woche später standen in Preußen Kommunalwahlen an – ein Termin, der der neuen Reichsregierung sehr gelegen kam, da sich hier die Chance bot, den positiven Schub für die NSDAP auf Reichsebene auf die kommunale Ebene zu übertragen.
In Mülheim legten die Nationalsozialisten in der Wahl vom 12. März 1933 erheblich zu, verfehlten jedoch knapp die absolute Mehrheit. Von 51 Sitzen in der Stadtverordnetenversammlung erhielten sie 25. Die anderen 26 Sitze gingen an die Zentrumspartei (9), die Kampffront Schwarz-Weiß-Rot (6), die SPD (6), die KPD (4) sowie die Unabhängige Evangelische Liste (1). Die erste Sitzung des neugewählten Rates der Stadt wurde für den 31. März angesetzt. Einen Tag vor der geplanten Ratssitzung wurde der NSDAP-Funktionär Wilhelm Maerz vom Düsseldorfer Regierungspräsidenten zum Staatskommissar ernannt und offiziell dem amtierenden Oberbürgermeister Dr. Alfred Schmidt zu Seite gestellt. Um seiner völligen Entmachtung bzw. Absetzung zuvorzukommen, bat Schmidt umgehend um seine Beurlaubung vom Amt des Oberbürgermeisters.
In seiner Funktion als kommissarischer Oberbürgermeister leitete Staatskommissar Maerz die konstituierende Sitzung der neugewählten Stadtverordnetenversammlung. Gemäß einem Runderlass des preußischen Innenministers waren die vier kommunistischen Abgeordneten schon im Vorfeld von der Teilnahme ausgeschlossen worden. Die sechs Sozialdemokraten waren zwar geladen, blieben aber – möglicherweise aus Solidarität – der Sitzung kollektiv fern.
Neben der Verpflichtung der neuen Stadtverordneten und diversen Ausschusswahlen standen zwei Anträge des NSDAP-Abgeordneten Karl Camphausen auf der Tagesordnung. So wurde von den Anwesenden einstimmig (!) beschlossen, Reichskanzler Adolf Hitler und Reichspräsident Paul von Hindenburg zu Ehrenbürgern der Stadt Mülheim zu ernennen. Der zweite Antrag forderte, dass sämtliche Dienststellen der Stadtverwaltung und deren Mitarbeiter ihren Bedarf nur bei ortsansässigen Geschäften des deutschen Mittelstandes decken sollten, wobei „Warenhäuser, Judenläden und Judenunternehmungen“ von den Lieferungen auszuschließen seien. Gegenstimmen zu diesem Antrag gab es keine, lediglich Enthaltungen der Evangelischen Liste sowie der Zentrumspartei. Dazu merkten die Zentrums-Stadtverordneten Kölges und Henksmeier später an, man habe sich der Stimme enthalten, weil man „mit einzelnen Teilen des Antrages nicht restlos übereinstimmen könne“. Keinesfalls habe man jedoch „Stellung nehmen wollen gegen den auf den Schutz des Mittelstandes gerichteten Inhalt des Antrages“.
Nachdem die KPD bereits im März 1933 von der Kommunalpolitik ausgeschlossen worden war, folgte im Juli das Verbot der SPD. Im Dezember 1933 kam es zu einer einschneidenden Änderung des Kommunalwahlrechts in Preußen. Der Oberbürgermeister wurde fortan nicht mehr von den Stadtverordneten gewählt, sondern durch den preußischen Innenminister ernannt. In Mülheim änderte sich jedoch nichts: Der im Oktober 1933 von den NSDAP-Stadtverordneten offiziell ins Amt gewählte Wilhelm Maerz war auch weiterhin der Wunschkandidat der Machthaber. Ihm zur Seite standen nun jedoch nicht mehr gewählte Stadtverordnete, sondern vom Regierungspräsidenten auf Vorschlag der örtlichen Gauleitung ernannte „Ratsherren“. Damit waren auch die letzten demokratischen Elemente auf kommunaler Ebene endgültig beseitigt.