Die Rathäuser der eingemeindeten Bürgermeistereien

Bauplan für das Rathaus in Styrum (Quelle: Stadtarchiv)
Bauplan für das Rathaus in Styrum (Quelle: Stadtarchiv)

Von: Johannes Fricke

Die Entstehung der Mülheimer Bürgermeistereien

Die Geschichte der Mülheimer Bürgermeistereien begann im Jahre 1847, als Mülheim an der Ruhr geteilt wurde: Die Stadt Mülheim bestand nun im Wesentlichen aus der heutigen Innenstadt, während das übrige Gebiet die weit größere Landbürgermeisterei Mülheim an der Ruhr bildete, die danach in mehrere Bürgermeistereien aufgeteilt wurde. Bis zum Anfang des 20. Jahrhunderts gehörte der größte Teil der heutigen Stadt Mülheim an der Ruhr zu diesen Bürgermeistereien, die später überwiegend wieder nach Mülheim eingemeindet wurden.

Das 1842 erbaute alte Mülheimer Rathaus wurde bis 1877 von Stadt und Landbürgermeisterei gemeinsam genutzt. Für die Entstehung der Rathäuser der Bürgermeistereien ist der 1. April 1878 das entscheidende Datum. An diesem Tag wurden aus der Landbürgermeisterei nach Abtretung von Eppinghofen und Mellinghofen an die Stadt Mülheim drei neue Bürgermeistereien gebildet: Die Bürgermeisterei Mülheim an der Ruhr Land, die sich erst nach der Verlegung ihres Amtsitzes nach Heißen Bürgermeisterei Heißen nennen durfte. Sie bestand aus den Gemeinden Heißen, Fulerum, Winkhausen, Holthausen, Haarzopf, Menden und Raadt. Bürgermeister wurde Dietrich Meier, der vorher Polizeikommissar der Landbürgermeisterei Mülheim gewesen war. Dann die Bürgermeisterei Broich mit den Gemeinden Broich, Speldorf und Saarn und dem Bürgermeister Hauptmann a. D. Ludwig Mentz. Schließlich die Bürgermeisterei Styrum, gebildet aus den Gemeinden Styrum, Dümpten und Alstaden. Bürgermeister wurde hier Theodor Tschoepke, der schon Bürgermeister in Westfalen gewesen war. Mit der Auflösung dieser drei Bürgermeistereien 1904 bzw. 1910 und ihrer weitgehenden Eingemeindung in die Stadt Mülheim entstanden für kurze Zeit weitere Verwaltungseinheiten. Die Bürgermeistereien Dümpten und Menden schufen sich Rathäuser oder Verwaltungsgebäude, bis sie ebenfalls nach Mülheim zurückkehrten. 

Rathaus in Heißen (Quelle: Stadtarchiv)
Rathaus in Heißen (Quelle: Stadtarchiv)

Das Rathaus Heißen

Die neue Bürgermeisterei Mülheim an der Ruhr Land hatte ihren Amtssitz zunächst noch in der Stadt Mülheim, da im Bürgermeistereigebiet kein geeignetes Gebäude für die Unterbringung der Verwaltung gefunden werden konnte. Da man diesen Zustand als unhaltbar empfand, beschloss die Bürgermeistereiversammlung schon am 11. Mai 1878 den Bau eines Rathauses in Heißen. Daraufhin bot der Landwirt Hermann Unterhansberg ein Grundstück für den Rathausbau als Geschenk an, das am Schnittpunkt mehrerer Straßen in der Mitte Heißens lag. Am 24. Mai nahm die Bürgermeistereiversammlung das Geschenk an. In derselben Sitzung wurden die Mülheimer Architekten Heidsiek und Thomas zu Bauführern gewählt und mit der Anfertigung einer Zeichnung beauftragt. Auch besichtigte eine Baukommission die Rathäuser in Meiderich und Rellinghausen, die um 1876 errichtet worden waren und möglicherweise als Vorbild für Heißen gedient haben. Das Rathaus in Duisburg-Meiderich, das auch von Heidsiek und Thomas erbaut worden war, existiert heute nicht mehr. Die Baukosten sollten zum größten Teil durch die Abfindungssumme gedeckt werden, die die Stadt Mülheim für die Überlassung des bisher gemeinschaftlich genutzten Eigentums zahlen musste. Da die Absicht bestand, den Bau des Rathauses bis zum Eintritt des Winters unter Dach zu bringen, trieb man die Planungen zügig voran. Am 9. Juli 1878 beschloss die Bürgermeistereiversammlung, das Rathaus nach dem vorgelegten Entwurf zu bauen, dahinter ein kleines Gebäude mit zwei Arrestzellen und Stallung zu errichten, einen Brunnen zu bohren und einen mit einer Hecke eingefriedeten Garten anzulegen.

Da in Heißen Bergbau betrieben wurde – die Zeche Wiesche lag nicht weit entfernt – hatte man ein Gutachten des Königlichen Oberbergamtes in Dortmund bestellt, das zu folgendem Ergebnis kam: Der Abbau in den Flözen Wiesche und Dickebank in mehr als 100m Tiefe liege wohl mindestens 40 Jahre zurück. Im Flöz Paul habe der Abbau 1872/73 in etwa 300m Tiefe stattgefunden, jedoch befänden sich über diesem Flöz kompakte Sand- und Sandschieferschichten. Es sei daher unwahrscheinlich, dass der bisherige Bergbau nachteilige Folgen für den Rathausbau haben werde. Tatsächlich beeinträchtigten schließlich doch Hinterlassenschaften des Bergbaus das Bauvorhaben. So stieß man im November 1878 beim Abteufen des Brunnens unter dem Rathaus in ungefähr 20m Tiefe auf einen alten Grubenbau, der zu Bruch ging. Ernsthafte Verzögerungen durch Bergschäden gab es jedoch bei der weiteren Ausführung des Baus nicht.

Am 3. August 1878 traf die Genehmigung der Regierung zum Rathausbau ein, so dass am 24. September die Grundsteinlegung stattfinden konnte. Dabei wurden eine Chronik der früheren Landbürgermeisterei und eine Statistik der neuen Bürgermeisterei in den Grundstein eingeschlossen. Bereits im Jahre 1879 wurde der Rathausbau nach weniger als einem Jahr Bauzeit vollendet. Die Kosten, die ursprünglich mit 36.000 Mark veranschlagt worden waren, betrugen schließlich 42.180 Mark. Am 30. August 1879 wurde das neue Rathaus bezogen, der Amtssitz nach Heißen verlegt und die Bürgermeisterei Mülheim an der Ruhr Land in Bürgermeisterei Heißen umbenannt. Im Erdgeschoss des neuen Rathauses befanden sich die Büros und der Sitzungssaal, im Obergeschoss wohnte der Bürgermeister.

Das zweigeschossige Gebäude aus hellen Klinkersteinen macht einen harmonischen Eindruck. Durch seine günstige Lage an dem Platz im Zentrum Heißens kommt seine Hauptfassade gut zur Geltung. Besonders hervorgehoben ist ihr risalitartig vorspringender mittlerer Teil, in dem Portal, Balkon und Uhr übereinander angeordnet sind und von einem ausgeprägten Rundbogen überwölbt werden. An der linken Rathausseite befindet sich ein laubenähnlicher Anbau mit gusseisernen Säulen, der als Überdachung eines Seiteneingangs zur Bürgermeisterwohnung diente.

Im Jahr 1895 wurde auf dem Platz vor dem Rathaus ein 6 Meter hohes Denkmal errichtet, das seine Ansicht für viele Jahre prägte. Die auf einem Sockel stehende Bronzefigur stellte Kaiser Wilhelm I. als Heerführer dar. Die Einweihung am 20. Oktober 1895 empfand man als ein so bedeutendes Ereignis, dass noch Jahre später in einem Verwaltungsbericht die gesamte begeisternde Rede des Pastors Stock, in der er seiner Vaterlandsliebe und Kaisertreue Ausdruck gab, abgedruckt wurde. Auch Bürgermeister Meier – der Hauptinitiator des Denkmals – hielt eine „zündende Ansprache“.

Gegen Ende des 19. Jahrhunderts reichten die Büroräume im Rathaus nicht mehr aus. Die Einwohnerzahl der Bürgermeisterei Heißen hatte sich von 8.194 im Jahre 1878 auf 13.659 im Jahre 1900 erhöht. Besonders der Bau der Bergarbeitersiedlung Wiescher Colonie (Siedlung Mausegatt) seit 1899 beschleunigte das bis dahin langsame Wachstum der Bürgermeisterei erheblich. Mit dem wirtschaftlichen Aufschwung, dem Bevölkerungswachstum und einer regen Bautätigkeit nahm die Verwaltungsarbeit deutlich zu. Die Zahl der Beamten stieg daher von 5 im Jahr 1878 auf 16 im Jahr 1903 an. So fiel der Beschluss, die Dienstwohnung des Bürgermeisters im Obergeschoss des Rathauses in zusätzliche Büros umzuwandeln und für ihn ein neues Wohnhaus im Rathausgarten zu errichten. Durch die Erweiterung der Bürotrakte konnte auch die neu gegründete Sparkasse der Bürgermeisterei Heißen im Rathaus untergebracht werden. Sie nahm am 1. April 1901 ihre Tätigkeit auf. Am 1. Mai 1901 konnte Bürgermeister Paul Wasse – er war seit 1898 Nachfolger von Dietrich Meier – die neue Dienstwohnung beziehen. Dieses Bürgermeisterwohnhaus, eine Villa mit Putzfassade, steht heute noch. Es liegt rechts vom alten Heißener Rathaus an der Hingbergstraße 377 und befindet sich nach einer Restaurierung wieder in gutem Zustand.

In den folgenden Jahren wurden weitere Um- und Ausbauten erforderlich. 1906 fühlte sich der Rathausdiener, der seine Küche im Zimmer hinter der Rathausuhr hatte, durch das Uhrticken daran gehindert, das Rathaus zu beaufsichtigen und beantragte den Ausbau eines anderen Raumes im Dachgeschoss als Küche. 1908 berichtete der Bürgermeister: „Der hiesige zweizellige Polizeigewahrsam der Bürgermeisterei Heißen ist zeitweise derartig überfüllt, dass mehrere Personen in einer Zelle untergebracht werden müssen.“ Daraufhin wurden im Stall zwei weitere Zellen ausgebaut.

Nachdem Holthausen schon 1904 von der Bürgermeisterei Heißen an die Stadt Mülheim abgetreten worden war, wurde die Bürgermeisterei Heißen schließlich am 1.4.1910 aufgelöst. Heißen, Winkhausen und der größere Teil von Fulerum wurden in die Stadt Mülheim eingemeindet. Haarzopf und der östliche Teil von Fulerum gingen an Essen über, während Menden und Raadt eine neue Bürgermeisterei bildeten. Im Eingemeindungsvertrag wurde festgelegt, dass in Heißen eine örtliche Verwaltungsstelle einzurichten sei. Ursprünglich war nicht klar, dass diese im ehemaligen Rathaus liegen sollte, denn Oberbürgermeister Lembke bot in einem Schreiben an Hugo Stinnes vom 22.4.1910 dem Mülheimer Bergwerksverein das Rathaus und das Bürgermeisterwohnhaus zum Kauf an. Da dies abgelehnt wurde, blieben im Rathaus eine Polizeistation, eine Sparkassenannahmestelle, eine Einwohnermeldestelle und eine Nebenstelle des Standesamts bestehen. Über viele Jahre hinweg wurde das Erdgeschoss von Polizei, Sparkasse und Stadtverwaltung genutzt, während im Obergeschoss Wohnungen lagen. In den 1960er Jahren endete die Nutzung durch die Verwaltung und das Rathaus ging in das Eigentum der Sparkasse über.

Im Jahre 1969 spielten sich dramatische Szenen vor dem Heißener Rathaus ab. Ein aus Bundeswehrbeständen ausgeliehener T-34-Panzer rasselte über den Vorplatz und das Rathaus wurde von den „Russen“ besetzt. Ursache für diese „Besetzung“ waren Dreharbeiten für den Fernsehfilm „Gedenktag“ über den Aufstand in der DDR am 17. Juni 1953. Das Heißener Rathaus diente aus nicht näher nachvollziehbaren Gründen als „Rathaus Bitterfeld“. Zu diesem Zeitpunkt befand sich das Gebäude in einem schlechten Zustand. Es gab Planungen für eine Hochhausbebauung in Heißen-Mitte, der es wahrscheinlich zum Opfer gefallen wäre. Diese Pläne wurden zum Glück nicht realisiert. Stattdessen ließ die Sparkasse das ehemalige Rathaus Heißen in der Hingbergstraße 375 originalgetreu restaurieren, so dass seine Fassade weitgehend dem ursprünglichen Zustand entspricht. Am 14.9.1979 – fast genau 100 Jahre nach seinem Erstbezug – wurde hier eine Sparkassenzweigstelle eröffnet. Somit wird das alte Rathaus, das das Bild des Stadtteils Heißen prägt, auch heute noch öffentlich genutzt.

Das Rathaus der Bürgermeisterei Broich (Quelle: Stadtarchiv)
Das Rathaus der Bürgermeisterei Broich (Quelle: Stadtarchiv)

Das Rathaus Broich

Als die Gründung der Bürgermeisterei Broich aus den Gemeinden Broich, Speldorf und Saarn beschlossen wurde, stand der Sitz des Bürgermeisteramtes zunächst nicht fest. Die neu konstituierte Bürgermeistereiversammlung entschied sich am 23. Februar 1878 gegen die Stimmen der Saarner Vertreter mit 8 zu 5 Stimmen für Broich, so dass dort schließlich im Haus des Gerhard Hohendahl das Bürgermeisteramt untergebracht wurde. Das Personal bestand außer dem Bürgermeister nur aus einem Sekretär, einem Assistenten und einem Lehrling. Außerdem gab es für jede Gemeinde einen Polizeisergeanten. Die Zellen und die Wohnung des Broicher Sergeanten waren im Gefängnis des früheren Kreisgerichts im Schloss Broich untergebracht. Schon 1880 setzte die Bürgermeistereiversammlung eine Kommission zur Lösung der Rathausfrage ein, die „geeignete Baustellen resp. Localitäten“ ermitteln sollte. Im März 1883 beschloss die Bürgermeistereiversammlung den Bau eines Rathauses. Mit der Verwirklichung dieses Beschlusses hatte Bürgermeister Mentz, der offenbar nicht immer sehr geschickt agierte, erhebliche Schwierigkeiten. Zunächst scheiterte der Ankauf des vorgesehenen Grundstücks an der Duisburger Straße gegenüber der Werkstätte der Rheinischen Eisenbahn. Daraufhin musste ein teureres Grundstück gekauft werde, das in der heutigen Graf-Wirich-Straße gegenüber der Brücke über die ehemalige Ruhrtalbahn lag. Doch nicht nur die Beschaffung eines geeigneten Baugrundstücks bereitete Schwierigkeiten. Am 5.6.1883 richteten Gemeindeverordnete und Mitglieder der Schulvorstände von Broich und Speldorf ein Gesuch an den Landrat, den Bau des Rathauses abzulehnen. Als Grund gaben sie an, die Kommunallasten nähmen durch den Bau weiter zu; die Armenlasten seien in den letzten Jahren gestiegen und die Schulen überfüllt. Der Landrat bat daraufhin Robert Rheinen, den pensionierten Bürgermeister der ehemaligen Landbürgermeisterei, um eine Stellungnahme. Dieser sprach sich für den Rathausbau aus, so dass das Gesuch der Gemeindeverordneten und Schulvorstände schließlich abgelehnt wurde.

Am 1.10.1883 nahm die Bürgermeistereiversammlung die Pläne und Kostenanschläge des Bonner Architekten Otto Penner an. Damit konnte der Rathausbau endlich beginnen, doch jetzt gab es neue Probleme. Im Jahr 1884 musste der Bauunternehmer gewechselt und folglich die Bauarbeiten monatelang unterbrochen werden. Erst im August 1885 konnte schließlich das neue Rathaus bezogen werden.  Im Erdgeschoss befanden sich fünf Büroräume und ein Sitzungssaal, im Obergeschoss wohnte der Bürgermeister. Zur Ausschmückung wurden neben zwei Gaskronleuchtern Büsten von Kaiser Wilhelm I., Kronprinz Friedrich sowie von Moltke und Bismarck angeschafft.

Das Broicher Rathaus, ein rotes Backsteingebäude mit einem abgeflachten, mansardartigen Dach, existiert heute nicht mehr. Es scheint nicht so repräsentativ wie das Rathaus in Heißen gewirkt zu haben. Dies hing wahrscheinlich mit seiner ungünstigeren Lage direkt an der Straße gegenüber der Eisenbahnstrecke zusammen. So konnte die Rathausfassade von vorne nicht beeindruckend wirken, während man von der Brücke her mit mehr Abstand einen günstigeren Eindruck hatte.

In den Jahren nach der Errichtung des Rathauses wuchs die Bevölkerung mit steigender Tendenz von 8.934 (1878) über 13.391 (1890) auf 20.618 (1901). Während die Entwicklung in der Gemeinde Saarn noch in ruhigen Bahnen verlief, wuchs die Gemeinde Broich am stärksten. Dort verdreifachte sich im Zusammenhang mit dem starken Industriewachstum die Einwohnerzahl. Mit der Bevölkerung nahmen in den 1890er Jahren auch hier die Aufgaben und das Personal der Bürgermeisterei stark zu. Die Polizei wurde verstärkt und ein Gemeindebaumeister eingestellt, um die zunehmenden Aufgaben der Bauaufsicht sowie die Schul- und Straßenbauten bewältigen zu können. Die Entstehung gewerblicher Anlagen und die Einführung der Bismarck‘schen Sozialgesetzgebung führten ebenfalls zu mehr Verwaltungsarbeit. Im Jahr 1901 hatte die Bürgermeisterei einschließlich der Polizisten 31 Beamte gegenüber 7 im Jahr 1878. Weniger als zehn Jahre nach seinem Bezug war das Broicher Rathaus daher schon wieder viel zu klein. Auch der 1895 durchgeführte Ausbau einer Veranda zum feuersicheren Archiv konnte die Probleme nicht lösen. Zeitweise wurde ein Anbau an das Rathaus erwogen, am Ende jedoch die gleiche Lösung wie in Heißen gefunden. Im Verwaltungsbericht 1898 heißt es dazu:

„Infolge des seit Jahren immer mehr hervortretenden Bedürfnisses nach Erweiterung der Bureau-Räume beschloss die (Bürgermeisterei-) Vertretung in ihrer Sitzung vom 13. April 1897 eine besondere Dienstwohnung für den Bürgermeister zu erbauen und die dadurch freiwerdenden Räume des Rathhauses ganz zu Bureauzwecken zu verwenden. Die Dienstwohnung wurde zum 1. Juli 1898 fertig gestellt und die bisherige Wohnung (…) von den Bureaux belegt. Es wurde dadurch ermöglicht, die Gemeinde-Kasse, die Sparkasse und den Sitzungssaal, welche wegen Mangels an Raum anderweitig untergebracht worden waren, wieder in das Rathaus zurückzuverlegen und die Gefängnisse in demselben einzurichten, so dass nunmehr die ganze Verwaltung im Rathause vereint ist.“

Dieser Zustand blieb nur wenige Jahre bestehen, denn schon am 1.1.1904 wurde die Bürgermeisterei Broich in die Stadt Mülheim an der Ruhr eingemeindet. Im Vereinigungsvertrag war festgelegt worden, dass im bisherigen Rathaus Broich eine örtliche Verwaltungsstelle verbleiben sollte, die Polizeiamt, Meldeamt, „Armenbureau“, Steuerhebestelle, Sparkassenstelle und Standesamt umfasste. Diese Nutzung des Rathauses Broich durch die städtische Verwaltung dauerte bis 1913, als die Räume an die Eisenbahnverwaltung vermietet wurden, die das Gebäude 1917 kaufte. Anfang der 1970er Jahre wurde das ehemalige Rathaus Broich abgerissen und auf dem Grundstück Graf-Wirich-Straße 25 ein Neubau mit Eigentumswohnungen errichtet. Das ehemalige Bürgermeisterwohnhaus in der Graf-Wirich-Straße 23, das sich seit 1918 in Privatbesitz befindet, existiert dagegen heute noch. 

Das Rathaus der Bürgermeisterei Styrum (Quelle: Stadtarchiv)
Das Rathaus der Bürgermeisterei Styrum (Quelle: Stadtarchiv)

Das Rathaus Styrum

Schon kurz vor der Gründung der Bürgermeisterei Styrum aus den Gemeinden Styrum, Alstaden und Dümpten am 1.4.1878 wurden von der Regierung in Düsseldorf Vorschriften über die Lage des Amtssitzes gemacht. Er sollte in der Gemeinde Styrum, aber möglichst nah an der Chaussee von Mülheim liegen, offenbar um den Dümptenern entgegenzukommen. Diese wünschten nämlich einen Anschluss an die Stadt Mülheim und behaupteten, sie könnten wegen der schlechten Wegeverbindungen nur über Mülheim nach Styrum gelangen. Als Verwaltungslokal wurde daraufhin ein Gebäude in der gewünschten Lage angemietet, in dem drei Zimmer für Bürozwecke und drei als Wohnung für Bürodiener genutzt werden sollten. Dieses Haus steht heute noch in der Straße Rosenkamp 22, genau gegenüber der Einmündung der Kaiser-Wilhelm-Straße. Theodor Tschoepke, Bürgermeister von 1878 bis 1897, hat dort allerdings nicht gewohnt, denn er hatte eine Wohnung auf Schloss Styrum angemietet.

Die 1878 für die Verwaltung angemieteten Räume müssen schon sehr bald zu klein geworden sein, zumal die Bürgermeisterei Styrum mit etwa 15.000 Einwohnern wesentlich größer als die anderen 1878 gegründeten Bürgermeistereien war. Daher ist es erstaunlich, dass der Bau eines Rathauses erst wesentlich später als in Heißen und Broich in Angriff genommen wurde. Schon 1884 hatte der Landwirt Wilhelm Hoffmann der Bürgermeisterei zwei Grundstücke als Geschenk angeboten: das eine für den Bau eines Rathauses, eines Gefängnisses und die Anlage eines Gartens, das andere als Marktplatz. Auch eine Kommission für den Rathausbau wurde 1884 gebildet. Offenbar konnte man sich aber fünf Jahre lang nicht entscheiden, ob die Bürgermeisterei diese Grundstücke annehmen und dort ein Rathaus bauen sollte. Erst 1889 wurde das Geschenk der Erben des inzwischen verstorbenen Wilhelm Hoffmann angenommen. Aufschlussreich ist die Frage, welche Interessen hier im Spiel waren. Zumindest für die Motive des Schenkers gibt es einen Hinweis: Sein Sohn soll als Gegenleistung die Konzession für die Gastwirtschaft neben dem Rathaus bekommen haben.

Nach der Annahme des geschenkten Baugrundes wurde im Juli 1889 eine neue Baukommission gewählt, der auch August Thyssen angehörte. Danach schien trotzdem eineinhalb Jahre kaum etwas geschehen zu sein, denn die Planung trat erst Anfang 1891 in die entscheidende Phase ein, als Bürgermeister Tschoepke mit dem Architekten Heinrich Siepmann in Hannover korrespondierte, der gerade mit dem Bau des Kreishauses in Mülheim beschäftigt war. Tschoepke betonte, dass das Rathaus auf allen vier Seiten freistehen und vier Frontseiten haben müsse, zum Marktplatz, zur Chaussee, zum Bahnhof und zu einem Weg. Hier folgte eine weitere Merkwürdigkeit bei diesem Rathausbau: Siepmann wurde zunächst mit dem Entwurf des später mit dem Bau beauftragten Bauunternehmers Petermann konfrontiert. Diesen Entwurf lehnte er jedoch ab und legte stattdessen eigene Zeichnungen vor. Aufschlussreich ist sein Kommentar dazu: „Ihre Bürgermeisterei muss ein Rathaus haben, das sich auch im Äußeren schon dem Laien als solches präsentiert, im Innern praktisch und bis ins Detail durchgearbeitet ist.“

Nach den Plänen Siepmanns wurde Mitte 1891 endlich mit dem Bau begonnen. Da Siepmann am 15.7.1892 starb – er wurde in seinem Geburtsort Broich beerdigt – erlebte er die Fertigstellung im Jahr 1893 nicht mehr. Im neuen Rathaus war auch von Anfang an die Sparkasse untergebracht, deren Gründung zwar früher beschlossen, tatsächlich aber bis zur Fertigstellung des Rathauses vertagt worden war.

Dieses Rathaus, das im Bereich der heutigen Schule Zastrowstraße lag, präsentierte sich als stattliches Backsteingebäude. Die dem Styrumer Marktplatz zugewandte Seite des Baus wurde durch einen eindrucksvollen Turm geprägt, in dem wie beim Rathaus Heißen das Portal und eine Uhr mit abschließendem Rundbogen übereinander angeordnet waren. Darüber erhob sich ein weiteres Geschoss mit Zinnenkranz und spitzer Turmhaube. Bemerkenswerter Bauschmuck waren weiterhin der preußische Adler und ein Löwe, der an das Wappen der Herren von Styrum erinnerte. Der Löwe von Limburg-Styrum sollte auch im Sitzungssaal des Rathauses auf einem Wappenschild gezeigt werden. Es war geplant, ein Wappen für die Bürgermeisterei einzuführen. Das Vorhaben scheiterte, da Wappen in der Regel nur für Städte genehmigt wurden.

Als Ende 1897 die Pensionierung von Bürgermeister Tschoepke bevorstand, beschloss die Bürgermeistereiversammlung, für den neuen Bürgermeister Karl Branscheid an der Kaiser-Wilhelm-Straße 24 ein Bürgermeisterwohnhaus als Dienstwohnung zu bauen, dessen Fertigstellung im Jahre 1900 erfolgte. Zur gleichen Zeit war das Rathaus bereits zu klein geworden. Dies hing mit dem rasanten Wachstum der Industrie zusammen. 1899 teilte der Bürgermeister dazu mit:

„Seit 1871 hat die Bürgermeisterei Styrum ihren bisherigen landwirthschaftlichen Character von Jahr zu Jahr in steigendem Maaße verloren und ist der Sitz einer blühenden Großindustrie geworden. Die aus allen Richtungen der Windrose von der Industrie herangezogene Bevölkerung besteht vorwiegend aus Fabrikarbeitern und Bergleuten und hat sich von 1879 (15.689) bis heute (33.044) mehr wie verdoppelt, das rapide Wachsthum derselben hält noch fortdauernd an.“

Während in Styrum vor allem die Zahl der Fabrikarbeiter zunahm – die Eisenwerke Thyssen hatten schon 1896 über 3.000 Arbeiter – waren in Alstaden und Dümpten die Zechen von Bedeutung. Bei der Volkszählung am 1.12.1900 wurden schon 36.726 Einwohner gezählt; im Laufe des Jahres 1902 wurde eine Einwohnerzahl von 40.000 erreicht. Entsprechend vergrößerte sich die Verwaltung. Im Jahr 1900 wurde daher beschlossen, einen Erweiterungsbau an das Rathaus anzufügen, der 1901 ausgeführt wurde. Der stilistisch passende Anbau bildete nach Osten mit dem alten Gebäudeteil eine einheitliche Fassade. Die neuen Gebäude wurden jedoch nur noch wenige Jahre benötigt, denn schon zum 1.1.1904 wurde auch die Bürgermeisterei Styrum aufgelöst. Während die Gemeinde Styrum in die Stadt Mülheim an der Ruhr eingemeindet wurde, bildeten Dümpten und Alstaden für einige Jahre selbständige Bürgermeistereien. Weitere Grenzänderungen 1910 führten dazu, dass unter anderem der nördlichste Teil von Mülheim-Styrum und ganz Alstaden an Oberhausen fielen.

Nach der Eingemeindung von 1904 diente das Rathaus Styrum verschiedenen Zwecken. Anfangs stellte es wie in Heißen und Broich eine örtliche Verwaltungsstelle dar; später änderte sich die Nutzung. 1942 waren dort u.a. eine Zweigstelle der Stadtbücherei, ein Polizeirevier und örtliche NS-Organisationen untergebracht. Bei dem großen Luftangriff am 23.6.1943 wurde das Rathaus Styrum zerstört. In den 1950er Jahren wurde dort die Schule Zastrowstraße gebaut, die zum Teil im Bereich des ehemaligen Rathauses liegt. Das Bürgermeisterwohnhaus in der Kaiser-Wilhelm-Straße 24 war dagegen schon 1905 verkauft worden und befindet sich seitdem in Privatbesitz. 

Das Rathaus in Dümpten (Quelle: Stadtarchiv)
Das Rathaus in Dümpten (Quelle: Stadtarchiv)

Das Rathaus Dümpten

Als die Auflösung der Bürgermeisterei Styrum bevorstand, sprach sich der Gemeinderat von Dümpten am 11. März 1903 für die Bildung einer eigenen Bürgermeisterei aus, allerdings nur mit 13 zu 8 Stimmen. Am 1.1.1904 wurde die Bürgermeisterei Dümpten gegründet, die nur aus der Gemeinde Dümpten mit mehr als 10.000 Einwohnern bestand. Bürgermeister wurde der ehemalige Oberstleutnant Paul Beuther aus Mülheim.

Schon vor der Bildung der Bürgermeisterei wurde die Frage des Verwaltungssitzes geklärt. In dem Haus des Polizei-Wachtmeisters Lamprecht, in dem die Polizei-Station untergebracht war, wurden sechs im Erdgeschoss liegende Räume auf fünf Jahre angemietet. Schon 1904 wurden weitere Räume in dem Gebäude benötigt. Ein Jahr später wurden im Obergeschoss fünf weitere Räume angemietet, in denen am 1.2.1906 eine Sparkasse eröffnet wurde. Eine Postkarte mit der Aufschrift „Rathaus“ zeigt dieses große Haus an der Ecke von Mellinghofer Straße und Knüfen, auf dessen Giebel ein Adler angebracht war. Dieses Haus, das später die Adresse Mellinghofer Straße 288 hatte, lag am südlichen Rand der heutigen Autobahn und existiert heute nicht mehr.

Am 24.6.1907 beschloss der Gemeinderat von Dümpten den Bau eines Verwaltungsgebäudes und dafür den Ankauf eines Grundstücks, das dem bisherigen Verwaltungssitz schräg gegenüber auf der westlichen Seite der Mellinghofer Straße lag. In einem Schreiben an den Vorsitzenden des Kreisausschusses vom 16.7.1907 war der Bürgermeister sichtlich bemüht, der Kritik vorzubeugen, dass hier kurz vor einer möglichen Eingemeindung viel Geld für einen Rathausbau ausgegeben werden sollte. Er schrieb:

„Da das jetzige Mietsverhältnis mit dem 31. Dezember 1908 endet und eine Verlängerung des Mietvertrages sich nicht empfiehlt, weil die vorhandenen Räumlichkeiten auf die Dauer unzulänglich sind (…), so erwies die Errichtung eines eigenen Gebäudes sich als eine zwingende Notwendigkeit. Allerdings ist kein kostspieliger Rathausbau geplant (…), sondern es ist beabsichtigt, ein schlichtes aber solides Verwaltungsgebäude zu errichten, das den erforderlichen Raum bietet und nach seiner Anordnung sich gegebenenfalls auch für andere Zwecke verwenden lässt.“

Der Kreisausschuss stimmte im Dezember 1907 dem Grundstückskauf und der Ausgabe von 41.798 Mark für Baukosten zu. Die Baupläne wurden vom Gemeindebaumeister Riemann erstellt. Während der 1907 beim Kreisausschuss eingereichte Plan noch die Überschrift „Verwaltungsgebäude“ trug, war auf den ab Januar 1908 angefertigten Plänen schon von einem Rathaus die Rede. Die Baupläne zeigen ein geräumiges Eckhaus, das der Verwaltung statt bisher 14 in dem angemieteten Haus nun 23 Räume bieten sollte. Auch das Äußere ist keinesfalls schlicht, sondern durchaus repräsentativ. Der Bau des Rathauses erstreckte sich über das Jahr 1908. Am Ende des Jahres konnte das Gebäude bezogen werden. Die Kosten lagen höher als geplant bei 47.985 Mark.

Das Dümptener Rathaus wirkt u.a. durch die Verwendung einer Putzoberfläche statt der Ziegelsteinmuster der anderen Rathausfassaden moderner. An der gerundeten Gebäudeecke befindet sich das mit Säulen und einem Reichsadler geschmückte Portal, über dem sich im Dach eine geschweifte Turmhaube erhebt. Heute nicht mehr zu sehen ist ein großer Balkon über dem Portal im 1. Obergeschoss, der vor dem Dienstzimmer des Bürgermeisters lag. Auch der Dachreiter mit Uhr ist nicht mehr vorhanden. Das Rathaus Dümpten lässt somit durchaus Elemente traditionellen Rathausbaus wie bei den Rathäusern in Heißen und Styrum erkennen. Es hat heute die Adresse Mellinghofer Straße 275 und liegt an der Ecke zur Beutherstraße, die nach seinem Erbauer, Bürgermeister Beuther, benannt wurde.

Bereits ein halbes Jahr nach der Fertigstellung des Rathauses musste sich der Gemeinderat mit der geplanten Eingemeindung Dümptens beschäftigen, die er zunächst ablehnte. Schon wenige Monate später erklärte er aber seine Zustimmung zu den Eingemeindungsverträgen. Am 1.4.1910 wurde die Bürgermeisterei Dümpten aufgelöst; der größte Teil wurde nach Mülheim an der Ruhr, der nordwestliche Teil nach Oberhausen eingemeindet. Nach einer Zählung von Ende 1909 entfielen von 13.059 Einwohnern 8.223 auf den nach Mülheim und 4.836 auf den nach Oberhausen übergehenden Teil.

Nachdem das Rathaus Dümpten kaum mehr als ein Jahr seinem eigentlichen Zweck gedient hatte, wurde es länger als alle anderen Rathäuser eingemeindeter Kommunen für Verwaltungszwecke genutzt. Erst als in den 1990er Jahren die Meldestelle und die Zweigstelle der Stadtbücherei auszogen, wurde ein Verkauf des Gebäudes erwogen. Es gelang jedoch durch bürgerschaftliches Engagement, hier eine Begegnungsstätte einzurichten. So stellt das alte „Bürgermeisteramt“ auch heute noch ein Zentrum für die Dümptener dar.

Das Bürgermeisteramt Menden

Die Bürgermeisterei Menden wurde bei der Auflösung der Bürgermeisterei Heißen am 1.4.1910 aus den landwirtschaftlich geprägten Gemeinden Menden und Raadt gebildet und gehörte zum Landkreis Essen. Die Einwohnerzahl lag kaum über 1.000; bei der Personenstandsaufnahme 1911 wurde sie für Menden mit 768, für Raadt mit 266 angegeben. Im Jahr 1919 wurden mit 1.186 nicht viel mehr Einwohner gezählt. Die Verwaltung war entsprechend klein. Sie wurde von dem Ehrenbürgermeister Ferdinand Roßkothen geleitet und bestand aus einem Sekretär und einem Polizeisergeanten. Das Amtslokal wurde in die Wohnung des Schreinermeisters Wilhelm Kammann „auf Bethanien“ an der Windmühlenstraße in Raadt gelegt.

Am 28.4.1917 bot der Landwirt Wilhelm Scherrer der Bürgermeisterei sein 1902 errichtetes Wohnhaus zum Kauf an. Daraufhin wurde beschlossen, dieses Haus zu kaufen und dorthin das Bürgermeisteramt und die Dienstwohnung des Sekretärs zu verlegen, so dass die kleine Bürgermeisterei von nun an ein eigenes Verwaltungsgebäude besaß. Das im historisierenden Stil der Zeit erbaute ansehnliche Wohnhaus mit Stufengiebeln wurde aber nur drei Jahre als Bürgermeisteramt genutzt, denn schon zum 1.7.1920 wurde die Bürgermeisterei Menden in die Stadt Mülheim an der Ruhr eingemeindet.

Das Verwaltungsgebäude in der Bergerstraße 11 wurde nach 1920 als Mietwohnhaus genutzt und 1938 verkauft. Heute existiert dieses „Rathaus“ nicht mehr.

Fazit

Die Rathäuser, die den Mittelpunkt der Mülheimer Bürgermeistereien bildeten, haben eine interessante, manchmal turbulente Geschichte hinter sich. Sie sollten ebenso wie die Bürgermeisterwohnhäuser nicht in Vergessenheit geraten. Wenn auch mehrere Rathäuser heute nicht mehr existieren, so sind doch erfreulicherweise die Rathäuser in Heißen und Dümpten erhalten geblieben. Es bleibt zu hoffen, dass diese baulichen Zeugnisse der Mülheimer Geschichte weiterhin möglichst originalgetreu bestehen bleiben.

(Aus: Zeugen der Stadtgeschichte – Baudenkmäler und historische Orte in Mülheim an der Ruhr. Hrsg. vom Geschichtsverein Mülheim an der Ruhr e.V., Klartext Verlag, Essen 2008)

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