Von: H.D. Strunck
Haben Sie schon einmal von der ältesten Mülheimer Bürgergesellschaft gehört? Nein? Das für sie errichtete Casino-Gebäude in der Delle ist Ihnen aber sicher ein Begriff.
Bis vor wenigen Jahren ging man davon aus, dass die „Casinogesellschaft“ 1842 gegründet worden sei. Der Mülheimer Heimatforscher Bernd Brinkmann fand allerdings heraus, dass dies schon viel früher der Fall war und so konnten die Mitglieder 2016 auf ein 200-jähriges Bestehen zurückblicken.Es gibt sogar Hinweise darauf, dass die Gründung schon 1792 erfolgt sein könnte. Recherchen dazu dauern an.
Schauen wir zurück.
Am 27. April 1816 unterzeichneten 19 Mülheimer Persönlichkeiten einen Kaufvertrag für ein Gebäude, das in etwa dort stand, wo heute Rathaus und Gebäude an der Ruhrpromenade angrenzen. Diese Herren brachten auch den Kaufpreis auf. Darunter waren noch heute bekannte Namen wie Bilger, von Eicken, Troost, Küntzel, Rheinen, Vorster und Marcks.
Aus dieser Zeit
1842 war für unsere damals kleine, aber aufstrebende Stadt ein Jahr voller Aktivitäten, die bis heute nachwirken. Im Februar wurde die Stadtsparkasse eröffnet, im August der Grundstein für die damalige Kettenbrücke gelegt, der ersten festen Verbindung zwischen Mülheim und Broich. Im gleichen Monat feierte die Bürgerschaft mit Bürgermeister Christian Weuste die Eröffnung des ersten Mülheimer Rathauses. Vorher, am 14. Juni 1842 setzte der Landesherr, König Friedrich Wilhelm IV. von Preußen, seine Signatur unter die mit 96 Paragraphen versehene Satzung der „Gesellschaft Casino zu Mülheim an der Ruhr“.
An der Delle, einst die historische Hauptstraße unserer Stadt, an der die wichtigsten Geschäfte lagen und die Anlieger zumeist so wohlhabend waren, dass sie das Haus alleine bewohnen konnten, errichtete die Casino-Gesellschaft in den Jahren 1841/42 ein Versammlungslokal zur „Förderung und zum Genuß des geselligen Lebens in einem anständigen Kreise“. Schon aus der Satzung lässt sich schließen, dass die Mitglieder aus der so genannten „besseren“ Gesellschaft stammten.
Zuvor hatte eine als „Stammtisch“ bezeichnete Gruppe bereits 1841 den Garten der Witwe von Eicken gekauft, in dem dann vom Mülheimer Baumeister Wilhelm Damen das heute noch bestehende Casino Gebäude an der Delle 57 errichtet wurde. Die Kosten hierfür beliefen sich auf nahezu 20.000 Taler – nach heutiger Rechnung etwa 150.000 Euro, deutlich mehr als ursprünglich geplant. So sah man sich gezwungen, den inzwischen 114 Mitgliedern Umlagen und den Erwerb von „Zwangsaktien“ aufzuerlegen.
Wie die Chronik berichtet, bestimmten klare Regeln das Leben im Hause. Ein Hausmeister, Castellan genannt, durfte auf eigene Rechnung Speisen und einfache Getränke verkaufen. Für den Wein waren Önologie-Inspektoren zuständig, die unter anderem das Auffüllen und Abzapfen der Fässer überwachten.
Die am 15. Oktober 1842 erfolgte Einweihung muss so eindrucksvoll gewesen sein, dass man dieses Datum für alle weiteren Stiftungsfeste festlegte. Diese Bälle waren ein Treffpunkt der gehobenen Gesellschaft, deren Regeln uns heute fremd erscheinen. So ist überliefert, dass vier Ball-Inspektoren eine Tanzordnung zu entwerfen hatten, nach der die Tanzkarten für die Damen gedruckt wurden. Partner, sofern sie erhört wurden, konnten sich darin für einzelne Tänze vormerken. Das Rauchen war überall dort verboten, wo sich auch Damen aufhielten.
Auch wenn „ jeder unbescholtene großjährige Mann, welcher einen festen Wohnsitz in der hiesigen Bürgermeisterei hat, oder Sohn eines hiesigen Eingesessenen ist“ als ordentliches Mitglied aufgenommen werden konnte, so musste er mindestens die Zustimmung von drei Viertel der stimmberechtigten Altmitglieder bekommen. Zudem wird nicht jeder die finanziellen Mittel gehabt haben, um den gesellschaftlichen Verpflichtungen nachzukommen.
Sicher haben die damals bestimmenden Kreise auch politische Entscheidungen beeinflusst, dies aber im Stillen – wie überhaupt aus den inneren Zirkeln der Gesellschaft nahezu nichts nach außen drang.
In den 1930er Jahren nahm die Zahl der Mitglieder von 130 auf 70 ab. Der Verein sah sich nicht mehr in der Lage, die Kosten für das Haus an der Delle zu tragen. So wurde es am 14. November 1940 an die Hugo Stinnes GmbH für 45.000 Reichsmark verkauft. Heute gehört das Haus einer Evangelischen Freikirchlichen Gemeinde.
Nach dem Zweiten Weltkrieg entwickelte sich das gesellschaftliche Leben des Vereins langsam aber stetig. Auch gab es wieder Überlegungen, ein eigenes Haus oder wenigstens eigene Räume zu erwerben. Verschiedene Pläne zerschlugen sich jedoch.
Dieser Verein, dessen rund 100 Mitglieder das gesellschaftliche Leben in unserer Stadt bereichern, trifft sich zu Ausflügen, Besuche von Kultureinrichtungen, Weinproben, aber auch regelmäßig einmal im Monat zum traditionellen Stammtisch.
Wer mehr wissen möchte: www. https://gesellschaft-casino.com