„Go West“ – Als die ersten Mülheimer in die USA auswanderten

Mayflower in Plymouth Harbor, by William Halsall, 1882.

von: H.D. Strunck

Das 17. Jahrhundert ist eines der unglücklichsten deutscher Geschichte. Am Niederrhein herrscht fast ununterbrochener Kriegszustand, viele Heere haben das Land durchzogen, besetzt gehalten und gebrandschatzt. Nun ist es arm und entvölkert. Die Menschen an Rhein und Ruhr sind verzweifelt. Wer kann da Hilfe bringen?

An der Mülheimer Petrikirche ist Theodor Undereyck Pfarrer. Er gilt nicht nur den Lutheranern als „Quäker“, die eine religiös separatistische Richtung verfolgen und auf die sogenannten „unteren Stände“ eine starke Anziehungskraft ausüben. Einer der eifrigsten Prediger dieser Richtung ist William Penn. Er bereist 1677 das Land und kommt im September nach Mülheim, wird aber vom lutherischen Grafen Wirich des Landes verwiesen.

Penn hat (von seinem Vater geerbt) von König Karl II. zum Ausgleich für ein nicht zurückgezahltes Darlehen ein Landgebiet in Amerika erhalten, das später mit Pennsylvanien seinen Namen trägt. Hier hat er mit einer liberalen Verfassung eine Heimat auch für Zuwanderer und Indianer geschaffen und lädt die in deutschen Landen Verfolgung und Not leidenden Menschen ein, dort zu siedeln. Schon während des 30-jährigen Krieges sind Auswanderer vom Niederrhein nach Nordamerika gegangen und haben 1626 Neu-Amsterdam gegründet. Um 1675 soll ein Heinrich Frey vermutlich als erster Mülheimer nach dort ausgewandert sein.

Eine Gesellschaft in Frankfurt, an deren Spitze ein frommer Jurist namens Franz Daniel Pastorius steht, hat sich 25.000 Morgen Land in Pennsylvanien sichern lassen. 1683 fährt er selbst nach Amerika. In Mülheim laufen die Werbebriefe des Herrn Pastorius und seiner Helfer von Hand zu Hand, versprechen sie doch Wohlstand, Frieden und religiöse Freiheit in der neuen Heimat.

1684 machen sich insgesamt 17 Mülheimer auf die abenteuerliche Reise, denen 1687 und 1696 weitere 16 folgen. Bis zu 12 Wochen dauert die Überfahrt, die auf holländischen oder englischen Schiffen erfolgen muss und viel Ungemach mit sich bringt. Eines dieser hölzernen Schiffe fasst bis zu 200 Personen. Die Sterblichkeitsrate bei Kindern und Alten ist sehr hoch. Furchtbare Stürme bringen die Nussschalen in Seenot, mächtige Walfische attackieren die leichten Holzschiffe. Die Auswanderer und die Schiffsbesatzung leben in ständiger Angst vor Sklaven jagenden Türken.

Wer die Überfahrt nicht bezahlen kann, darf trotzdem mitfahren, muss sich dem Reeder gegenüber jedoch verpflichten, vier Jahre lang als Knecht oder Magd im neuen Land zu dienen. So entsteht ein lebhafter Menschenhandel, dem vermutlich auch große Teile der Mülheimer Auswanderer zum Opfer gefallen sind.

Von einem, der auszog und sein Glück fand, ist heute noch die Rede: Wilhelm Rettinghaus, 1654 in Broich geboren, kam 1689 nach Germantown. Zusammen mit Partnern errichtete und betrieb er dort die erste Papiermühle Amerikas, deren Einrichtung er an der Broicher Papiermühle von Vorster gelernt hatte. Die erste Zeitung in Germantown, die „American Weekly Mercury“, wurde auf seinem Papier gedruckt.

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