Von: Thomas Emons
Machtergreifung. Mit diesem Wort wird oft der Beginn der NS-Herrschaft beschrieben. Diese Wortwahl vernebelt allerdings die Tatsache, dass Hitler und seine Verbündeten die Macht nicht ergriffen, sondern durch Wahlen errungen haben. In Mülheim begann das Dritte Reich mit den letzten freien Kommunalwahlen am 12. März 1933.
Schon eine Woche vor dieser lokalen Wahl hatten 91 Prozent der wahlberechtigten Mülheimer ihre Stimmen für den Reichstag abgegeben. Dabei zeichnete sich bereits eine Machtverschiebung zugunsten der NSDAP und der mit ihr koalierenden Deutschnationalen Volkspartei (DNVP) ab. Die Nazis gewannen 37,5 Prozent der Stimmen und die DNVP, die in Mülheim als Kampffront Schwarz-Weiß-Rot antrat, errang 12,5 Prozent. Drittstärkste Kraft wurden die Kommunisten mit 17 Prozent, gefolgt von der katholischen Zentrumspartei mit 16,7 Prozent und den Sozialdemokraten mit 12,7 Prozent.
Die Mülheimer Zeitung rechnete dieses Ergebnis auf die kommende Stadtratswahl um und kam zu dem Ergebnis, dass NSDAP und DNVP am 12. März mit 26 von 51 Ratsmandaten rechnen könnten. Die rechtsextremen Regierungsparteien hatten starke Wahlhelfer. Die Mülheimer Industriellen Emil Kirdorf und Fritz Thyssen setzten sich bereits 1932 für eine Kanzlerschaft Hitlers ein. Außerdem stellte die NSDAP mit Hermann Göring den Innenminister. Und der verlieh im Februar 1933 den rechtsextremen Kampfverbänden SA, SS und Stahlhelm den Status einer Hilfspolizei. Deren Übergriffe richteten sich vor allem gegen die im Mülheimer Norden starke KPD. Mehr als 200 ihrer Funktionäre und Sympathisanten wurden vor den März-Wahlen verhaftet. Hausdurchsuchungen bei Regimegegnern waren jetzt an der Tagesordnung.
Am 4. März kam Hitlers Vizekanzler Franz von Papen als Wahlhelfer zu einem Treffen der nationalen Rechten in die Stadt. SA, SS und Stahlhelm marschierten auf und demonstrierten ihre Macht. Mülheim war damals eine Stadt in finanziellen Nöten und mit einer Schuldenlast von 50 Millionen Reichsmark. Mehr als 15.000 Mülheimer lebten von öffentlichen Hilfszahlungen. In Deutschland waren knapp sechs Millionen Deutsche ohne Arbeit. NSDAP und DNVP sahen die Ursachen dafür in der Weimarer Demokratie. Ihren Gegnern warfen sie Geldverschwendung und eine Vernachlässigung des Mittelstandes vor und agitierten gegen Splitterparteien. Vor diesem Hintergrund machten am 12. März 1933 rund 78 Prozent der Mülheimer von ihrem Wahlrecht Gebrauch.
Am Tag nach der Wahl titelte die Mülheimer Zeitung in riesigen Lettern: „Schwarz-Weiß-Rot und Hakenkreuz.“ Ihre Leser erfuhren, dass NSDAP und DNVP in Mülheim 54,3 Prozent der Stimmen und damit 29 der 51 Ratsmandate errungen hatten. Ein Überblick über die 85 Wahllokale zeigt: Die nationale Rechte hatte vor allem im Süden und im Zentrum der Stadt gewonnen, während im Norden der linke Stimmenanteil immer noch vergleichsweise hoch war. Stadtweit errang die NSDAP 41,9 Prozent. Das war im Vergleich mit den anderen Großstädten des Ruhrgebietes ein trauriges Rekordergebnis. Das katholische Zentrum landete mit 17,1 Prozent abgeschlagen auf Platz 2, gefolgt von den Sozialdemokraten (11,8 Prozent) und den Kommunisten (11,7 Prozent). Auf Geheiß des Reichspräsidenten Paul von Hindenburg wurde auch in Mülheim mit Schwarz-Weiß-Rot und Hakenkreuz geflaggt, um, wie es in der Mülheimer Zeitung hieß, „den mit den gestrigen Wahlen vollendeten Sieg der nationalen Erhebung zu feiern.“