Aufruhr anno 1838

Von: H.D. Strunck

Das technischer Fortschritt nicht immer auf Zustimmung stößt, erleben wir häufig. Aber im Unterschied zu heute waren technische Errungenschaften in der Vergangenheit oft existenzbedrohend und brachten Menschen um Lohn und Brot, weil es soziale Abfederungen noch nicht gab.

Der Job des Kohlenschiebers

Von einem solchen Fall berichtet uns Kurt Wickrath im Mülheimer Jahrbuch von 1989: Die in Winkhausen und Heißen geförderten Kohlen wurden im 19. Jahrhundert durch Kohlenschieber mit Schubkarren zu den Lagerstätten an der Ruhr befördert. Eine mühselige Arbeit, bei der oft die Frau des Kohlenschiebers an bergigen Strecken vorne mit dem Seil noch ziehen musste.

 Sellerbeck – die größte Zeche des Ruhrgebiets

Der in Winkhausen befindliche Schacht „Müller“ der Zeche Sellerbeck, zu deren Eignern Stinnes, Haniel, von Eicken und andere gehörten, war 1835 mit einer Förderung von bis zu 78.000 Jahrestonnen vermutlich die größte Zeche des Ruhrgebiets (Lothar Otten). Um diese gewaltige Tonnage schneller und kostengünstiger zur Ruhr zu bringen, planten die Eigner schon seit Jahren einen schienengebundenen Transport auf der rund 3.400 m langen Strecke, was auch bei den Oberen der Stadt volle Zustimmung fand. Aber der größte Teil der auf „Sellerbeck“ Beschäftigten waren Kohlenschieber, die um ihren Arbeitsplatz fürchteten. Auch waren Grundbesitzer nicht bereit, Land für den Bau abzugeben.

Der Aufstand

Als am 7. Juni 1838 mit der Absteckung der Bahntrasse begonnen wurde, rotteten sich sofort Kohlenschieber mit ihren Familien zusammen, um die Arbeiter zu bedrohen und zu vertreiben. Die von Oberbürgermeister Christian Weuste angeordnete Verhaftung der Anführer durch die Polizei misslang. Auch am nächsten Tag legte sich der Aufruhr nicht. Leutnand Bredow, der sich gerade zufällig mit 18 Unteroffizieren zur Abnahme in der Saarner Gewehrfabrik befand, bekam von OB Weuste unter Umgehung des Dienstweges – was ihm später Ärger einbrachte – den Befehl, sich nach Eppinghofen zu begeben. Schnell wurden je drei Patronen für die Männer angefertigt und sie machten sich auf den Weg. Im Eppinghofer Bruch stießen die Soldaten auf 30 bis 40 Menschen, die sie nur auslachten mit den Worten: „Seid ihr das alle? Morgen seid ihr zum Frühstück verzehrt!“ Nahe der Zeche Sellerbeck wurden dann die ersten Rädelsführer in einem Haus festgenommen. Als die Menge dort einzudringen versuchte, wurde ihnen mit Waffengewalt gedroht. Mit Stangen und Knüppeln kam es zur Gegenwehr. Ungeachtet dessen wurden drei Rädelsführer gefangen genommen und unter Begleitung der Menschenmasse, die auf 800 bis 1.000 Personen angewachsen war zur Zeche Sellerbeck geführt. Eine erstaunliche Zahl, wenn man berücksichtigt, dass Mülheim damals nur rund 12.000 Einwohner hatte. Hier konnten sich die Soldaten nur mit Gewehrkolben zur Wehr setzen und nahmen drei weitere Personen fest.

Erneuter Aufstand

Danach kehrte zunächst Ruhe ein, jedoch rotteten sich am 14. August 1838 erneut viele Menschen zusammen – darunter auch Frauen und Kinder – alle unbewaffnet. Jetzt forderte OB Weuste auf dem Dienstweg Truppen an, die am 16. August in Mülheim eintrafen. Gemeinsam begaben sie sich zum Hof des Bauern Bovermann, der sich weigerte, Grund und Boden für die neue Trasse herzugeben. Er und seine Knechte empfingen den Trupp, mit Spaten und Schüppen. Dennoch gelang es, Bovermann und seinen Schwager Rehmann festzunehmen. Danach konnte mit den Arbeiten an der Strecke begonnen werden.

Gefängnis und Zuchthaus

 Am 10. Mai 1841 wurden die Urteile gegen alle Festgenommenen veröffentlicht, die – so hieß es damals – der „niederen Volksklasse“ angehörten. Teilweise hohe Zuchthausstrafen erhielten 22 Anführer, darunter zwei Frauen. Der Landwirt Bovermann musste zwei Jahre ins Gefängnis, sein Knecht Hermann F. Folkenborn drei Jahre ins Zuchthaus. Auch andere „Rädelsführer“ wie die Kohlenschieber Wilhelm Wischmann, Heinrich Schlinkert und der Tagelöhner Hermann Streit wurden zu mehreren Jahren Zuchthaus verurteilt. Ob auch der verhaftete Beigeordnete Friedrich Vogt, nicht der „niederen Klasse“ angehörend, bestraft wurde, geht aus den Akten nicht hervor

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