Von: Thomas Emons
Wenn sich Deutsche und Franzosen heute in Mülheim begegnen, tun sie dies in Freundschaft, etwa im Rahmen der Städtepartnerschaft mit Tours. Von Freundschaft kann keine Rede sein, als 1000 französische Soldaten am 10. Januar 1923 in Mülheim einmarschieren. Mit dem Zug treffen sie nachmittags am Speldorfer Bahnhof ein. Später besetzen sie auch die strategisch wichtigen Bahnhöfe in Eppinghofen, Styrum und Heißen.
Der Einmarsch kommt nicht überraschend. Die Franzosen wollen im wahrsten Sinne des Wortes Kohle sehen. Kriegsverlierer Deutschland kommt mit seinen Reparationslieferungen nicht nach, obwohl die Kumpel an der Ruhr Doppelschichten fahren. Mit den Soldaten besetzen deshalb auch Ingenieure die Stadt, um die Reparationslieferungen der Industrie zu überprüfen. Die Mülheimer Zeitung veröffentlicht am 10. Januar 1923 einen Durchhalteappell der Reichsregierung: „Am deutschen Gemeinsinn und opferwilliger Vaterlandsliebe werden die französischen Machtpläne zerschellen“, heißt es da.
Tatsächlich sind sich die Mülheimer vom Arbeiter über den Beamten bis zum Industriellen einig im Widerstand gegen die Besatzer. Weil der Industrielle Fritz Thyssen die Zusammenarbeit mit der Militärregierung verweigert, wird ihm der Prozess gemacht, was ihn in der Öffentlichkeit zum Volkshelden werden lässt. Die Franzosen wissen, dass sie in Mülheim nicht willkommen sind und haben Angst vor Sabotageakten.
Der Einzug aller Waffen im Privatbesitz und die Einschränkung des Versammlungsrechtes gehören zu den ersten Amtshandlungen des Besatzungsregimes, das bis zum April 1923 auf 1300 Soldaten und Zivilisten anwächst. Im Rathaus richten die Franzosen ein Büro für zivile Angelegenheiten ein. In der Kaserne an der Kaiserstraße stationieren sie ein Infanterieregiment und ein Panzerbatallion. An der Rennbahn Raffelberg bezieht eine Transporteinheit Quartier. Quartier nehmen Soldaten in diesen Tagen auch in Wohnungen, Schulen und Gasthäusern.
Als unklug erweist sich die Entscheidung der Franzosen, die Mülheimer Schutzpolizei aus dem Ruhrgebiet auszuweisen. Die Folge ist ein rapider Anstieg der Kriminalität. Da ergeht es manchem Schutzpolizisten im Dienstexil besser. Mancher mölmsche Junggeselle soll in der Fremde die Frau fürs Leben gefunden haben.