Hier wird Stadtgeschichte zum Erlebnis

vl. Thomas Emons, Margarethe Wietelmann, Beate Fischer, Julia Thomas, Horst Trojahn, Ursula Hilberath umd F. Wilhelm von Gehlen auf dem Wehrgang. Gemeinsam sind wir stark - die Mitglieder des Geschichtsverein Mülheim unterhalten ehrenamtlich ein kleines Museum im Schloss Broich. Besuch beim Geschichtsverein in Mülheim am Montag den 07.08.2023. Foto: Lars Heidrich / FUNKE Foto Services

Von: Tobias Appelt

[Anm. d. Red.] Der vorliegende Artikel wurde zuerst unter dem Titel „Alte Geschichten neu erzählt“ in der Sonntagsausgabe der WAZ am 13. August 2023 veröffentlicht. Die Publikation auf unserer Website geschieht mit freundlicher Genehmigung des Autors, vielen Dank!

Mülheim/Ruhr. Beate Fischer steigt eine schmale Wendeltreppe hinauf, läuft durch einen Flur und öffnet eine schwere Holztür. Sie betritt einen Raum, nähert sich einem alten Bücherschrank und entnimmt daraus eine kleine Schatulle. Darin liegen haselnussgroße, runde Steine. „Schauen Sie mal“, sagt sie, „die Steine sehen zwar aus wie Murmeln – es sind aber Pistolenkugeln.“

Entdeckt wurden die Kugeln bei archäologischen Grabungen in den späten 1960er-Jahren am Schloss Broich. Der frühere Adelssitz, dessen Wurzeln zurückreichen bis ins 9. Jahrhundert, beherbergt seit 1984 das Historische Museum der Stadt.

Um die Ausstellungsräume und die dort gezeigten Exponate kümmern sich die Mitglieder des Geschichtsvereins Mülheim an der Ruhr. Gegründet wurde der Verein im Jahr 1906, heute stehen mehr als 500 Namen im Mitgliederverzeichnis.

„Wer sich für die Geschichte unserer Stadt interessiert, kommt an uns nicht vorbei“, sagt Vorstandsmitglied Beate Fischer.

Nur nicht belehrend sein

In den Räumen des Museums sind für die Stadtgeschichte bedeutende Ereignisse zu sehen. Schautafeln, Bilder und Fotografien, Dokumente und Fundstücke informieren über blutige Schlachten, heimtückische Morde und höfischen Glanz. Besucher erkennen: Die Geschichte von Schloss Broich ist fest mit Mülheim und der Region verbunden – und über die Jahrhunderte hinweg durchaus sehr bewegt.

Künftig wollen die Mitglieder des Geschichtsvereins ihre Ausstellung modernisieren. „Die Art und Weise, wie hier Wissen über die Geschichte der Stadt vermittelt wird, ist an vielen Stellen nicht mehr zeitgemäß“, sagt Ursula Hilberath. Die Vorsitzende des Vereins träumt von einem Museum, in dem der Besuch für die Gäste zu einem Erlebnis wird. „Da, wo es Sinn macht, möchten wir mit digitalen Elementen arbeiten. Wir möchten Wissen auf leichte Art vermitteln und nicht belehrend sein“.

So könnte als Teil der neuen Ausstellung zum Beispiel die bauliche Entwicklung des Schlosses in einem 3-D-Modell auf einem Bildschirm veranschaulicht werden – aktuell gibt es noch Holzmodelle in Glasvitrinen. Auch Audio-Stationen wären denkbar. Das Thema Barrierefreiheit steht ebenfalls auf der Agenda. Mit der Suche nach Fördermitteln und Sponsoren haben die Vereinsmitglieder bereits begonnen. Doch es ist noch viel zu tun. „Hier im Verein gibt es so viel Leidenschaft und Energie, da bin ich sicher, dass es uns gelingt, diese Herausforderung zu meistern“, sagt Ursula Hilberath.

Schloß Broich, Quelle: Danny Gießner

Neue Website ist ein großer Schritt

Dass der Geschichtsverein Mülheim daran arbeitet, sich gut für die Zukunft aufzustellen, ist nicht zuletzt erkennbar an seinem neuen Internetauftritt. Seit Ende 2022 ist die Webseite im Netz. Ein Jahr hatte Vereinsmitglied Franz Verhaag daran gearbeitet. Beinahe 30 Autoren aus den Reihen des Vereins schreiben regelmäßig Beiträge für die Seite. Entstanden ist eine umfangreiche Sammlung facettenreicher Texte zur Stadtgeschichte. „Mit der neuen Website haben wir einen großen Schritt nach vorn gemacht“, sagt Vereinsmitglied Thomas Emons, der viele Beiträge zu der Internetseite beigesteuert hat – auch zur Geschichte des Schlosses, für die er sich sehr interessiert.

Emons erinnert daran, dass es insbesondere ein Verdienst des Mülheimer Geschichtsvereins ist, dass es den historischen Gebäudekomplex überhaupt noch gibt. „In den 1960er-Jahren hatte es in der Stadt Überlegungen gegeben, das Schloss abzureißen – um Platz für Wohnhäuser zu schaffen“, sagt Emons. Mit stadtgeschichtlichen Führungen und Zeitungsberichten hätten die Vereinsmitglieder aber damals auf die historische Bedeutung des Schlosses aufmerksam gemacht und den Mülheimern gezeigt, welchen architektonischen und historischen Schatz sie in ihrer Stadt haben. Eine Bürgerbewegung entstand, am Ende gab es grünes Licht für archäologische Probegrabungen auf dem Areal.

Die dabei gemachten Funde der Forscher untermauerten die Bürgerforderung nach dem Erhalt des Baudenkmals. Mit Erfolg. Das Schloss wurde nicht abgerissen, sondern erfuhr eine Renaissance. 

Rostige Nägel aus der Feuerstelle

Wo einst im Jahr 883 die Normannen abgewehrt wurden und ab Ende des 11. Jahrhunderts die Broicher Grafen residierten, zog zunächst die Volkshochschule ein. Später wurde das Schloss Broich dann zu einem repräsentativen Ort umgestaltet, an dem die Stadt ihre verdienten Bürger auszeichnete oder ihre Gäste offiziell willkommen hieß. Heute ist das Schloss auch ein beliebter Ort für Trauungen. Und das ehrenamtlich betriebene Museum lockt jährlich bis zu 7000 Besucher.

Beate Fischer präsentiert zum Abschied noch einen weiteren Hingucker, der künftig in der Dauerausstellung gezeigt werden soll. Sie öffnet eine kleine hölzerne Dose. Darin liegen Nägel, offensichtlich handgefertigt und sehr alt. „Die wurden auch in den Sechzigern gefunden. Sie lagen in einer Feuerstelle im alten Rittersaal, wo einst Holzbalken des Dachstuhls verbrannt wurden“, erzählt sie. „Wir überlegen bereits, wie wir sie in unsere neue Ausstellung integrieren können.“

Der Geschichtsverein und das Museum

Informationen über den Geschichtsverein Mülheim an der Ruhr gibt es online auf der Seite www.geschichtsverein-muelheim.ruhr. Das Historische Museum öffnet samstags (14-17 Uhr) und sonntags (11-17 Uhr). Der Eintritt ist frei. Die Adresse: Am Schloss Broich 28, 45479 Mülheim an der Ruhr.

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