Im Sommer des Jahres 1971 hatte die Mülheimer Bevölkerung die Möglichkeit, in der Freilichtbühne an der Dimbeck ihre eigenen Karl-May-Festspiele genießen zu dürfen. Vom 25. Juni bis 31. Juli inszenierte Wulf Leisner dort mit großem Aufwand „Das Geheimnis der Bonanza“ mit Heinz Ingo Hilgers (Winnetou) und Manfred Petersen (Old Shatterhand) in den Hauptrollen. Von Mittwoch bis Sonntag wurde die Bühne jeden Abend um 19.30 Uhr bespielt, an den Wochenenden gab es eine zusätzliche Aufführung um 15.30 Uhr am Nachmittag.
Zu den insgesamt 37 Vorstellungen kamen mehr als 30.000 Zuschauer, darunter ein Drittel auswärtige Gäste. Neben 50 Backstage-Mitarbeitern waren noch einmal ebensoviele Schauspieler und Statisten für die Inszenierung verpflichtet worden. Letztere rekrutierten sich überwiegend aus der Mülheimer Bevölkerung. Vor allem Jugendliche nutzten die Tatsache, dass die Festspiele während der Schulferien stattfanden und verdienten sich so ein wenig Taschengeld dazu. Mit Silkirtis Nichols vom Stamm der Cherokesen, der die Rolle des Medizinmanns „Weiße Feder“ spielte, gab es einen waschechten Indianer am Set. Die einzige weibliche Hauptrolle des Stückes hatte die 20jährige Schweizer Nachwuchsspielerin Sylvia Siegrist ergattern können: Sie gab Winnetous Schwester Nscho-Ttschi. Siegrist und ihre Schauspielkollegen nutzten die sommerlichen Theaterferien an ihren Stammbühnen, um auf der Mülheimer Freilichtbühne einen Monat in die Wildwest- und Open-Air-Romantik einzutauchen. Von einer komfortablen Unterbringung der Schauspieler in Hotels, wie man es heutzutage erwarten würde, konnte damals keine Rede sein. Die Mülheimer waren im Vorfeld der Spiele per Zeitungsaufruf gebeten worden, private Zimmer für die Akteure anzubieten. So waren Winnetou & Co. einen Monat zu Gast in Mülheimer Familien.
Während die komplette Finanzierung und Organisation bei einer Hamburger Veranstaltungsagentur lag, war die Stadt Mülheim für die Bewerbung verantwortlich. Dort zog man alle Register: 80.000 Handzettel, 20.000 Programmhefte, 6.000 Plakate, 14.000 Einladungskarten sowie 6.000 persönliche Einladungen wurden an den Mann bzw. die Frau gebracht. Flugzeuge zogen Werbebanner über den Himmel des Ruhrgebiets, die Bundespost gab einen Sonderstempel heraus und in 500 Kinos wurden bundesweit Werbefilme gezeigt. Presse, Rundfunk und Fernsehen berichteten ausführlich über das für Mülheim einzigartige Ereignis. Bad Segeberg lag für einen Monat an der Ruhr.
Gerne hätten alle Beteiligten die Festspiele im nächsten Jahr wiederholt. Doch die finanzielle Bilanz, die nach dem Spielende gezogen wurde, war verheerend: die Produktionskosten waren mit 216.000 DM wesentlich höher als ursprünglich kalkuliert, die Einnahmen geringer. Die doppelte Zuschauerzahl wäre für eine kostendeckende Durchführung notwendig gewesen. Zudem reduzierte eine erhebliche Anzahl von verbilligten Karten und Freikarten für Kinder und Jugendliche die Erträge. Auch die zahlreichen Ausfälle durch Regen (unter anderem am Premierenabend) erwiesen sich als ein Problem, mit dem man im Sommermonat Juli nicht gerechnet hatte. Am Ende stand ein Verlust von rund 60.000 DM, den die Hamburger Veranstalter alleine tragen mussten. Sie verlangten für das Folgejahr eine Ausfallbürgschaft von der Stadt Mülheim und drängten zudem auf eine regensichere Überdachung der Freilichtbühne. Während die Überdachung zunächst geprüft und dann aufgrund der Kosten von über 800.000 DM wieder verworfen wurde, war die Ausfallbürgschaft das entscheidende und eigentliche K.-o.-Kriterium. Karl-May-Festspiele auf der Mülheimer Freilichtbühne blieben somit ein einmaliges Spektakel, das für die zahlreichen Besucher und Besucherinnen den Sommer 1971 unvergessen machte.