Von: Thomas Emons
Weihnachten – das ist nicht überall ein Fest des Friedens. Bei Krieg denken wir im Jahre 2023 vor allem an die Ukraine und an den Konflikt im Gaza-Streifen. 1944 fand der Krieg vor der eigenen Haustür statt.
Während sich die Mülheimer auf den Heiligen Abend in einer bereits vom Bombenkrieg gezeichneten Stadt vorbereiten, geben die Sirenen um 14.08 Uhr Luftalarm. Nichts Ungewöhnliches im letzten Kriegswinter. Allein im Dezember 1944 werden die Mülheimer zweihundertmal alarmiert. Seit US-Truppen im Oktober Aachen besetzt haben, ist das Ruhrgebiet zur Front geworden, wird die Stadt wieder verstärkt zum Ziel von Luftangriffen und Tieffliegern. Der Großangriff vom Juni 1943 ist noch in allen Köpfen.
Diesmal steuern 169 britische Bomber den Flughafen Essen/ Mülheim an, der 1939 zum Fliegerhorst ausgebaut worden ist. Schon in den Wochen zuvor war der Flughafen immer wieder von Bomben getroffen worden. Damals war das Ziel der alliierten Angriffe aber vor allem die Nachbarstadt Essen. Am 24. Dezember 1944 wollen die britischen Bomber vor allem die am Flughafen Essen/Mülheim stationierten Düsenjets vom Typ ME 262 ausschalten. Denn die greifen damals immer wieder in die deutsche Ardennen-Offensive ein.
Um 14.21 Uhr beginnt der Angriff. Innerhalb von zehn Minuten werfen die Piloten der Royal Air Force Sprengbomben und Luftminen mit einer Gesamtlast von 760 Tonnen über der Flughafensiedlung in Raadt ab. Mehr als 200 Soldaten und Zivilisten verlieren ihr Leben. Besonders tragisch: Eine 1000-Kilo-Bombe trifft einen Hochbunker an der Windmühlenstraße. Die Bombe durchschlägt dessen Betondecke und explodiert erst im Innenraum des Bunkers, in dem etwa 50 Menschen Schutz gesucht haben. Sie haben keine Chance, dem Inferno zu entkommen, und sterben einen qualvollen Tod. Zum Teil werden ganze Familien auf einen Schlag ausgelöscht. Die Druckwellen der Bomben sind so stark, dass auch noch einige Kilometer von der Flughafensiedlung entfernt Fenster zu Bruch gehen und Türen eingedrückt werden.
Glück im Unglück haben die kleinen Patienten, die im Haus Jugendgroschen behandelt werden, das damals als provisorisches Kinderkrankenhaus dient. Es wird am 24. Dezember 1944 von Bomben getroffen und zerstört. Doch die dort untergebrachten Kinder waren während des Luftangriffs in der Nachbarschaft zu einer Weihnachtsfeier eingeladen worden und entgehen so dem sicheren Tod. Sie haben an diesem Heilig-Abend-Tag offensichtlich gleich mehrere Schutzengel.
Ironie und Tragik der Geschichte: Ihr eigentliches Ziel, die deutschen Militärjets, treffen die britischen Bomber nicht. Denn diese sind gut getarnt und so für die Piloten unsichtbar in einem Waldstück außerhalb des Flughafens versteckt worden. Der Krieg wird für Mülheim nach diesem verheerenden Luftangriff vom 24. Dezember 1944 noch fast vier Monate dauern. Erst mit dem Einmarsch amerikanischer Truppen hat der Wahnsinn für die Mülheimer am 11. April 1945 ein Ende. Rund 4600 Mülheimer haben im Krieg ihr Leben verloren. 3100 gelten bei Kriegsende als vermisst.
Die Luftangriffe des Zweiten Weltkrieges hinterlassen in Mülheim nicht nur 800.000 Kubikmeter Trümmerschutt, der auf den Straßen lagert, sondern auch viele zerstörte Seelen. Doch acht Jahre nach Kriegsende schließen Mülheim und die englische Stadt Darlington eine Städtefreundschaft und zeigen, dass nicht der Krieg, sondern der Frieden das letzte Wort hat.