Der „schwedische Marco Polo“ zu Besuch in Mülheim

Vortragsankündigung in der Mülheimer Zeitung (Februar 1936)

von: Jens Roepstorff

Mit dem reißerischen Titel „8 Jahre Kampf in Zentralasien“ kündigte die Mülheimer Zeitung für den 19. Februar 1936 einen Lichtbildvortrag in der Stadthalle an. Redner des Abends war der aus Schweden stammende Forscher Sven Hedin, der zu jener Zeit eine europäische Berühmtheit war und von einigen seiner Zeitgenossen als der „schwedische Marco Polo“ bezeichnet wurde.

Schon in jungen Jahren faszinierten den 1865 geborenen Sohn eines Stockholmer Architekten fremde Länder, Menschen und Sitten. Als Schüler beschäftigte er sich intensiv mit der Geographie und zeichnete Karten für einen sechsbändigen Weltatlas.

Unmittelbar nach dem Abitur zog es ihn dann 1885 hinaus in die weite Welt. In Baku am Kaspischen Meer nahm Hedin eine Stelle als Hauslehrer bei einem schwedischen Ingenieur an und nutzte den Aufenthalt, um – mit dem Pferd – durch Persien zu reisen. Neben Deutsch, das er bereits auf der Schule gelernt hatte und gut beherrschte, eignete er sich in dieser Zeit Kenntnisse in Tatarisch, Persisch und Russisch an.

Ein Jahr darauf kehrte Hedin nach Schweden zurück, um dort ein Studium der Geologie, Mineralogie, Kristallographie und Zoologie aufzunehmen – zunächst in Stockholm, dann in Uppsala, später in Berlin und Halle. Er schloss seine akademische Ausbildung mit der Promotion ab; dennoch erschien ihm die Universität stets als zu trocken und nüchtern. So unterbrach er 1889 sein Studium für zwei Jahre, um abermals Persien zu bereisen. Sein Traum war es, „Pfade zu gehen, die vor ihm noch kein Europäer betreten hatte“. Weitere Entdeckungsreisen schlossen sich an und machten ihn zu einem der bekanntesten und profiliertesten Asienforscher seiner Zeit.

Er erforschte Chinesisch-Turkestan, Nord-Tibet und Kaschmir, entdeckte die Quellen des Indus und des Brahmaputras. Seine Expeditionen durchquerten die Wüsten Zentralasiens und überschritten insgesamt acht (!) Mal das Himalaya-Gebirge, wobei Hedin als Erster erkannte, dass die Himalaya-Ketten ein zusammenhängendes Gebirge bilden.

Seine vierte Expedition führte den Schweden von 1927 bis 1935 in die Mongolei und nach China. Finanziert wurde diese Forschungsreise unter anderem von der Deutschen Regierung sowie der Lufthansa, die eine Flugverbindung von Berlin nach Schanghai plante und dafür detaillierte Karten benötigte. Es war diese mehrjährige Reise durch Zentralasien, über die Sven Hedin nach seiner Rückkehr überall in Deutschland referierte und somit am 19. Februar 1936 – seinem 71. Geburtstag – auch in die Mülheimer Stadthalle kam. Im vollbesetzten Festsaal (dem heutigen Theatersaal) begrüßte Oberbürgermeister Maerz den berühmten Gast und bat ihn, sich in das auf der Bühne bereitgelegte Goldene Buch der Stadt einzutragen.

In Deutschland verehrt, wurde Hedin in seiner schwedischen Heimat aufgrund seiner Nähe zum deutschen NS-Regime kritisch gesehen. Als er selbst nach Ende des Zweiten Weltkriegs die Verbrechen der Nationalsozialisten nicht wahrhaben wollte, wurde er in Schweden endgültig zur persona non grata. Politisch höchst umstritten, aber anerkannt als brillanter Asienexperte – diese zwei Seiten prägen bis heute das Bild von Sven Hedin, der mehr geächtet als geachtet 1952 in seiner Heimatstadt Stockholm verstarb.

(Quelle: Mülheimer Zeitzeichen, Veröffentlichungen des Stadtarchivs Mülheim an der Ruhr, Band 1)

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