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Die Gründer der Unternehmensgruppe Tengelmann: Die Familie Schmitz-Scholl

Filiale Tengelmann, Foto: Stadtarchiv Mülheim
Filiale Tengelmann, Foto: Stadtarchiv Mülheim

von: Thomas Urban

 

Der junge Wilhelm Schmitz – Schulzeit, Lehre, Verlust des Vaters

Hermann Wilhelm Schmitz kam am 11. November 1831 als Sohn des Tuchhändlers Wilhelmus Schmitz und seiner Frau Gertrud, geb. aus den Hesseln, in Mülheim an der Ruhr zur Welt. Wilhelm verlebte seine Kindheit zusammen mit seiner Schwester Gertraud (geb. 1838) und den beiden Brüdern Heinrich (Geburtsjahr unbekannt) und Hermann (geb. 1842) auf einem größeren, mit Hof und Gartenland ausgestatteten Anwesen am Dickswall 75.

 

Mit 15 Jahren verließ Wilhelm Schmitz die höhere Bürgerschule vorzeitig und trat am 1. Februar 1847 eine Lehre in der Mülheimer Firma, Joh. Wilh. Meininghaus Sohn“ an. Die begehrte Lehrstelle in der Ruhrstraße 3-5, einer Kolonialwaren-Großhandlung mit Seifensiederei und Tabakfabrik, erhielt der junge Mann auf Vermittlung des 74-jährigen Vaters, der aus Sorge um die Zukunft der Familie einen möglichst raschen Einstieg seines ältesten Sohnes in den Kaufmannsberuf wünschte. Ein Universitätsstudium, das der Schuldirektor dem guten und fleißigen Schüler empfahl, lehnte der Vater strikt ab. Zum einen war er früh von der kaufmännischen Begabung seines Sohnes überzeugt. Zum anderen war ihm wie vielen Klein-Unternehmern seiner Zeit vermutlich die fehlende Praxisnähe an der Universität ein Dorn im Auge.

Zudem fürchteten viele Kaufleute, dass ihren Söhnen beim Studium Tugenden wie Fleiß, Beharrlichkeit, Sparsamkeit, Pünktlichkeit und Ordnungsliebe abhanden kommen würden.

Der junge Wilhelm Schmitz lernte in seiner über dreijährige Lehre bei Meininghaus sämtliche Sparten kaufmännischer Betätigung kennen. Zu seinen Aufgaben gehörten laut Lehrvertrag u.a. das „Copieren und sonstige Schreibereien auf dem Comptoir“ (Kontor), das Wiegen und Verpacken der Waren, die Beaufsichtigung des Kohlenmagazins sowie verschiedene Botendienste. Sechs Tage in der Woche und mindestens zehn Stunden täglich arbeitete der Lehrling im Geschäft; in Ausnahmefällen kam noch der Sonntag hinzu. Eine Vergütung für die geleistete Arbeit war nicht üblich, Kost und Logis erhielt Wilhelm weiterhin im Hause seiner Eltern.

Im März 1849, bevor Wilhelm Schmitz seine Lehrzeit abschloss, starb mit 76 Jahren der Vater. Nach dem Verlust des Familienoberhauptes kamen auf den 17-Jährigen große Herausforderungen zu. Der Jugendliche musste eher als erwartet die Rolle des Versorgers in der Familie übernehmen. Dennoch gelang es Wilhelm, zusammen mit seinem jüngeren Bruder Heinrich nicht nur der Mutter im Laden zu helfen, sondern auch Johann Wilhelm Meininghaus von seinem kaufmännischen Potenzial zu überzeugen. Wilhelm Schmitz wurde schließlich als zu ,,salarierender Gehilfe“ (zu entlohnender Angestellter) übernommen und erwarb sich die Wertschätzung des Firmeninhabers.


Die Gründung einer eigenen Familie


Am 15. November 1855 heiratete Wilhelm Schmitz wenige Tage nach seinem 24. Geburtstag die drei Jahre jüngere Louise Scholl aus Broich, Tochter des Ruhrschiffers und Gastwirts Hermann Scholl und seiner Frau Johanna (geb. Stockfisch).

Kein halbes Jahr nach der Vermählung kam Bertha Schmitz ( zur Welt, die später den Geheimen Sanitätsrat Dr. Emil Berns aus Mülheim heiratete. Zwei Jahre darauf folgte mit Christine Wilhelmine, genannt Mimi, eine weitere Tochter. Anfang der 1860er Jahre wurde der Stammhalter, Hermann Wilhelm jun.  geboren, der in die angesehene Essener Familie von Waldthausen einheiratete.

Es folgten zwei weitere Söhne, von denen der jüngste das spätere Erbe des Wilhelm Schmitz erfolgreich weiterführen sollte: Hermann und Karl Friedrich..

 

Wilhelm und Louise Schmitz-Scholl, ca. 1855, Foto: Stadtarchiv Mülheim
Wilhelm und Louise Schmitz-Scholl, ca. 1870, Foto: Stadtarchiv Mülheim


Vom kaufmännischen Leiter zum alleinigen Inhaber

Bevor sich Johann Wilhelm Meininghaus am 1. Januar 1856 aus dem Geschäft zurückzog, hatte er Wilhelm Schmitz zu einem seiner Nachfolger bestimmt. Schmitz‘ Kompagnon wurde der Mühlenbesitzer Ludwig Lindgens aus Hamborn-Neumühl, der mit Meininghaus ein Jahr zuvor den „wechselseitigen Austausch der Besitzungen“ vertraglich vereinbart hatte. In der unter dem Namen Wilh. Schmitz & Lindgens weitergeführten Unternehmung waren die Aufgaben klar verteilt. Der sparsam wirtschaftende Schmitz, mit dem Warenangebot und den Geschäftsvorgängen bestens vertraut, übernahm sämtliche kaufmännischen Angelegenheiten, erkannte mit dem Bevölkerungswachstum in den Industriestädten die steigende Nachfrage nach Kolonialwaren aller Art und stockte das Warensortiment auf. Der sieben Jahre ältere Lindgens beschränkte sich in erster Linie auf seine finanzielle Teilhaberschaft. Auch privat kamen beide gut miteinander aus: Lindgens, über die Schollsche Linie mit Wilhelm Schmitz verwandt, wurde Pate der ältesten Tochter Bertha und wohnte zunächst gemeinsam mit der jungen Familie in der Ruhrstraße 3. Im Mai 1862, knapp ein Jahr nach seiner Hochzeit mit Gertrud Rühl, verließ Lindgens den Wohnsitz, und Wilhelm Schmitz erwarb den gesamten Grundbesitz für eine Kaufsumme von 5.000 Talern.

Zum Jahreswechsel 1866/67, nach über zehn Jahren, endete die berufliche Zusammenarbeit. Lindgens, der 1861 zusammen mit seiner Frau eine Lohgerberei am Kassenberg in Broich gegründet hatte, schied als Kompagnon aus und startete eine erfolgreiche Karriere als Lederfabrikant. Die heutige, in Mülheim an der Ruhr verbliebene Lederherstellung ist noch immer eng mit dem Namen Lindgens verbunden.

 

Seit dem 1. Januar 1867 war Wilhelm Schmitz alleiniger Inhaber der Unternehmung, der er zur besseren Unterscheidung den Mädchennamen seiner Frau Louise hinzufügte. Zudem räumte der fortschrittlich denkende und handelnde Kaufmann seiner Gattin Prokura ein; beide unterzeichneten ihre Geschäftspapiere nun mit dem neuen Firmennamen „Wilh. Schmitz-Scholl“. Hauptgeschäftszweck der Firma blieb der Großhandel mit Kolonialwaren aller Art, vor allem der Import von Kaffee, Tee und Kakao.

Der Einstieg in ein neues Geschäftsfeld: Die Kaffeeröstung


Zu Beginn der 1870er Jahre stand die Kolonialwarenhandlung „Wilh. Schmitz-Scholl“ vor ihrer ersten großen Bewährungsprobe. Ein schweres Hochwasser der Ruhr bedrohte im Dezember 1870 einen Großteil der Kaffee- und Reisvorräte, die im Erd- bzw. Kellergeschoss in der Ruhrstraße lagerten. Die sofort eingeleiteten Rettungsmaßnahmen der Arbeiter und Fuhrleute kamen zu spät. In seinen „Erinnerungen an Familie und Heimat“ schilderte der jüngste Sohn Karl Schmitz-Scholl, wie sein Vater auf die inspizierten Schäden in den Lagerräumen reagiert hatte:

 „Mit Tränen in den Augen kehrte er zurück, so dass selbst uns Kindern der Humor verging, denn bei der Kostbarkeit und der großen Menge des verdorbenen Kaffees handelte es sich um einen Schaden, der in die Tausende ging und den Lohn langer Arbeit vernichtet hatte. Damals ist mir wohl zum ersten Mal das Gefühl gekommen, dass das Hochwasser nicht nur zum Vergnügen für uns Kinder war".

Die Verluste waren immens.

Wilhelm Schmitz musste beim Mülheimer Bankhaus Gustav Hanau einen größeren Kredit als Personaldarlehen aufnehmen, um die Unternehmung wieder handlungsfähig zu machen.

Trotz dieses Rückschlags konnte Wilhelm Schmitz seinen Blick als Unternehmer bald wieder nach vorne richten. Er begann mit Versuchen, die bislang ungerösteten „grünen“ Kaffeebohnen, die er an Cafés, Restaurants und Einzelhändler verkaufte, selbst in größeren Mengen maschinell zu rösten. Zur Reichsgründungszeit war es in den deutschen Haushalten und gewerblichen Betrieben noch üblich, die Kaffeebohnen über einem offenen Feuer in Pfannen oder in Trommeln, die über der Kochstelle hingen, in nur kleinen Mengen frisch zu „brennen“. Die Qualität des gerösteten Kaffees ließ angesichts dieser primitiven Verfahren jedoch stark zu wünschen übrig. Schmitz‘ Ziel war es, geröstete Bohnen von einheitlich guter Qualität zu vertreiben und dieses Produkt zum Marken- bzw. Massenartikel zu machen. Aufmerksam verfolgte er dabei die technische Entwicklung.

Um die Mitte des 19. Jahrhunderts waren in England und Amerika bereits einige Röstmaschinen konstruiert worden. In Deutschland nahm sich die Maschinenindustrie dagegen erst in den 1860er Jahren den Kaffeeröstmaschinen an. Pionierarbeit auf diesem Gebiet leistete der Kolonialwarenhändler van Gülpen im rheinischen Emmerich, der für die älteste Kaffeemanufaktur Deutschlands, Lensing & van Gülpen, einen kugelförmigen Röster mit einer Trommel entwickelte, die bis zu 30 Pfund Rohkaffee fasste. Schmitz experimentierte in den 1870er Jahren offensichtlich mit einem ähnlichen, von Hand betriebenen Kugelröster, dessen Leistung ihn allerdings nicht zufrieden stellte. Er verlor sein Ziel nicht aus den Augen, sah sich in seinem Bemühen um einen größeren Kundenkreis jedoch einigen Konkurrenten gegenüber. So nahm 1882 in Viersen am Niederrhein der gerade 20-jährige Josef Kaiser, der zum Pionier des filialisierten Kaffeeverkaufs wurde, eine große Kaffeerösttrommel in Betrieb.

Der Kaufmann Ferdinand Gothot schlug einen anderen Weg ein: Er verließ den Kolonialwarenhandel und gründete 1880 in Mülheim an der Ruhr eine Maschinenfabrik, um selbst Kaffeeröstmaschinen zu produzieren. Mit modernen Schnellröstern und entsprechenden Patenten setzte er in den 1890er Jahren neue Maßstäbe in der deutschen Röstindustrie.

Ende des Jahres 1882 waren für Wilhelm Schmitz die maschinellen und qualitativen Voraussetzungen für eine Kaffeeröstung in größerem Maßstab gegeben. Im neu erworbenen Haus Ruhrstraße 4 wurde ein mit einem Gasmotor betriebener Kaffeeröster aufgestellt.

Nach größeren Anlaufschwierigkeiten stieg Mitte der 1880er Jahre in der Bevölkerung der Bedarf an geröstetem Kaffee an. Nachdem 1885 in der Schmitz-Schollschen Rösterei bereits weit über 1.000 Pfund Kaffee pro Tag gebrannt worden waren, ließ der Unternehmer 1886 eine zweite Rösttrommel aufstellen. Auch die anderen Geschäftszweige wiesen erfreuliche Wachstumsraten auf. Um die Produktion, das Lager und den gesamten Warenumschlag der Firma an einen größeren Standort zu verlegen, erwarb Schmitz 1887 die Gebäude einer Seifenfabrik in der Grünstraße (in unmittelbarer Nähe zu Thyssen und zur Friedrich Wilhelms-Hütte) und errichtete dort zunächst eine Destillerie. Die Verwirklichung seiner ehrgeizigen, aber mit kaufmännischer Vorsicht betriebenen Expansionspläne erlebte Wilhelm Schmitz allerdings nicht mehr. 

Der Tod und das Erbe des Firmengründers

Am Abend des 5. Dezember 1887 starb Wilhelm Schmitz mit nur 56 Jahren in Anwesenheit seiner Frau und seines zweitältesten Sohnes Hermann. Als Todesursache stellte der Hausarzt einen Schlaganfall infolge einer Herzlähmung fest. Bereits seit einigen Jahren hatten dem Unternehmer Herzprobleme zugesetzt. Nachdem seine Frau Louise 1886 in München bei einem gemeinsamen Kutschenunfall schwer verletzt worden war und beide Beine verloren hatte, verschlechterte sich auch sein Gesundheitszustand aus Sorge um die Frau weiter.

Wilhelm Schmitz' dennoch unerwarteter Tod löste in Mülheim Bestürzung aus. Schmitz, bei den Bürgern der Stadt als langjähriges Mitglied des Stadtverordneten-Kollegiums, des Verwaltungsrats der Sparkasse, der Handelskammer und als Kirchenmeister der evangelischen Gemeinde geschätzt, wurde am 8. Dezember unter großer Anteilnahme auf dem Mülheimer Altstadtfriedhof beigesetzt. Die Rhein- und Ruhrzeitung würdigte den Verstorbenen in einem Nachruf als einen 

„Mann von seltener Energie und Schaffenskraft, der sein Geschäft zu ungeahnter Blüte und Ausdehnung brachte, seine Firma zu einer in der Handelswelt hochgeachteten emporhob - ein self-made-man in des Wortes schönster Bedeutung"

Wilhelm Schmitz, sowohl von seinen Kindern als auch von seinen Angestellten als Vorbild an Fleiß und Einsatzbereitschaft beschrieben, hinterließ seinen Erben ein florierendes Geschäft, das nun allerdings in Turbulenzen zu geraten drohte.

Die gesundheitlich stark beeinträchtigte Witwe Louise Schmitz agierte zusammen mit ihrem ältesten Sohn Wilhelm jun. bei der Führung des Geschäftes glücklos. Im Mai 1888, einen Monat vor ihrem Tod mit nur 54 Jahren, übertrug die Witwe deshalb ihren drei Söhnen das Firmen-Vermögen, ihre beiden Töchter Bertha und Wilhelmine wurden ausgezahlt. Wilhelm jun. und Karl wurden zu Hauptgesellschaftern der Firma „Wilh. Schmitz-Scholl“ ernannt. Der zweitälteste Sohn, Hermann, der sich als promovierter Jurist um die erbschaftsrechtlichen Angelegenheiten der Familie kümmerte und eine stille Beteiligung besaß, wurde später leitender Regierungsdirektor im Senat der Hansestadt Hamburg.

 

Tengelmann mit eignem Kaffee, Foto: Stadtarchiv Mülheim
Tengelmann mit eigenem Kaffee, Foto: Stadtarchiv Mülheim

 

Karl Schmitz-Scholl und der Aufbau eigener Verkaufsstellen unter dem Namen Tengelmann: Die zweite Generation

Karl Schmitz-Scholl avancierte rasch zur zentralen Figur im Familienunternehmen. Obwohl er sich die Leitung des Geschäftes mit seinem älteren Bruder bis zu dessen Ausscheiden kurz nach der Jahrhundertwende teilen musste, verfügte Karl über die Eigenschaften, die bereits seinen Vater zum erfolgreichen Unternehmer hatten werden lassen. Der jüngste Sohn hatte nach dem Besuch der Volksschule und des Realgymnasiums eine Ausbildung im Kaffeeimport und Großhandel in Heilbronn und Hamburg begonnen, kehrte jedoch nach dem Tod seines Vaters vorzeitig nach Mülheim an der Ruhr zurück und wurde bereits mit 20 Jahren für volljährig erklärt. Bevor er in die Leitung der Firma einsteigen konnte, hatte er seinen einjährigen Wehrdienst in Neuhaus bei Paderborn abgeleistet und anschließend seine Kenntnisse im Kaffeehandel bei einem mehrmonatigen Aufenthalt in London vertieft.

Im Jahre 1890 herrschte so etwas wie Aufbruchstimmung im Hause Schmitz-Scholl: Wilhelm jun. und Karl nahmen in der Grünstraße die vom Vater geplanten Anlagen, ein Lagerhaus und eine moderne Großrösterei, in Betrieb. Die Geschäfte liefen gut, wenngleich die beiden Jungkaufleute immer wieder vor Problemen standen. So bereiteten ihnen zunehmend Qualitätsmängel und Reklamationen ihrer hauseigenen Röstkaffees „Storch“ und „Plantage“ Sorgen. Um den Kleinhandel stärker als bisher zur Qualitätswahrung der ausgelieferten Produkte anzuhalten, beschloss Karl, eigene Verkaufsstellen für den Vertrieb von Kaffee, Tee und sonstigen Kolonialwaren einzurichten.

Für diese ambitionierten Pläne konnte Emil Tengelmann, Afrika-Heimkehrer und erfahrener Kaffeehändler, gewonnen werden. Mit Hilfe des gebürtigen Esseners, dessen Familie sich im Ruhrbergbau betätigte, war es den Schmitz-Scholls möglich, in für sie völlig neue Dimensionen vorzustoßen. Während die Brüder das notwendige Kapital bereit stellten und für die Läden den Namen ihres neuen Prokuristen Tengelmann nutzten, wickelte dieser als eine Art Geschäftsführer seine Transaktionen an den internationalen Kaffeeumschlagplätzen ab. Anfang der 1890er Jahre gab es im Rhein-Ruhrbezirk, u.a. in Düsseldorf, Gelsenkirchen, Bochum, Dortmund, Barmen und Elberfeld, bereits Filialen der Firma „Kaffee-Import-Geschäft Emil Tengelmann“, die 1893 als offene Handelsgesellschaft in das Handelsregister der Stadt Bochum eingetragen wurde.

An den wichtigsten Einfuhrhäfen, 1896 in Hamburg und ein Jahr später in Rotterdam, wurden Zweigniederlassungen für den Kolonialwarenhandel eingerichtet, bevor 1898 die ersten Tengelmann-Filialen in Berlin und in Süddeutschland eröffnet wurden. Zur Jahrhundertwende verfügten die Schmitz-Scholls reichsweit über ein Netz von über 80 Filialen. Als Emil Tengelmann, der direkt am Umsatz und Gewinn beteiligt war, 1904 mit nur 40 Jahren an Nierenversagen starb, hielten die Brüder an dem Namen für die Verkaufsstellen bzw. an der Firmenbezeichnung „Kaffee-Import-Geschäft Emil Tengelmann“ fest. Die Witwe Tengelmann und ihre Kinder wurden von den Schmitz-Scholls über einen längeren Zeitraum hinweg finanziell unterstützt.

Für Karl Schmitz-Scholl stellte sich in den 1890er Jahren jedoch nicht nur beruflicher Erfolg, sondern auch privates Glück ein. Am 11. Juni 1895 heiratete der 27-jährige die zwei Jahre jüngere Elisabeth Franziska Joséphine Weynen (genannt Ilse), die Tochter des Belgiers Erivan Weynen, der Technischer Direktor auf der Zinkhütte Vieille Montagne in Bergeborbeck war. Das Ehepaar zog in die Bahnstraße Nr. 13, wo es sich in direkter Nachbarschaft zu anderen Mülheimer Unternehmerfamilien wie Thyssen oder Hanau befand. Im Juli 1896 brachte die Ehefrau einen Sohn, Karl Wilhelm Erivan, zur Welt. Die gemeinsame Tochter Luise Amalie Elisabeth wurde im Juli 1899 bereits am neuen Wohnsitz der Familie, einer repräsentativen Villa in der Ruhrstraße 34, geboren. Sie heiratete später den Wiesbadener Erich Haub.

Einstieg in die Süßwarenherstellung

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts trat in der Leitung der Firma „Wilh. Schmitz-Scholl“ eine Änderung ein. Karl führte das Unternehmen, das aus den Röstereien in Mülheim und Heilbronn, zahlreichen Kontoren und der Filialkette bestand, fortan alleine weiter. Wilhelm schied aus der Geschäftsleitung aus, gründete 1906 in Düsseldorf die Rheinische Zuckerwarenfabrik und verlegte seinen Wohnsitz ebenfalls an den Rhein. Das Verhältnis der ungleichen Brüder war häufig von Spannungen geprägt gewesen.

Für die räumliche Trennung gab es jedoch einen einfachen Grund: Beide einte das Ziel, mit der Herstellung von Süßwaren einen neuen Produktionszweig aufzubauen, für den es erst seit wenigen Jahren einen Markt gab. Ihr Vater hatte in den 1880er Jahren feststellen müssen, dass immer noch die Hausfrau Pralinen und andere Süßigkeiten auf der Grundlage von Familienrezepten selbst herstellte. Nun hatte sich jedoch das Bewusstsein gewandelt: Das Interesse an mit exotischen Gewürzen verfeinerten, erschwinglichen Süßwaren stieg in der Bevölkerung sprunghaft an. Während Wilhelms Zuckerwarenfabrik bereits für die Tengelmann-Verkaufsstellen produzierte, aber zunächst rote Zahlen schrieb, begann Karl 1911 in Mülheim-Speldorf mit dem Bau einer Schokoladenfabrik, die ein Jahr später in Betrieb ging. An diesem Standort, an dem sich heute zudem der Hauptsitz der Unternehmensgruppe Tengelmann befindet, werden seit nunmehr 95 Jahren Pralinen, Schokoladen und andere Süßwaren hergestellt. Auch dieses Werk versorgte zunächst ausschließlich die Tengelmann-Filialen.

Mit dem Aufbau weiterer Produktionszweige, der Herstellung von Margarine und von Keksen, hatte Karl Schmitz-Scholl kein Glück. Die Fertigung wurde nach kurzer Zeit abgebrochen bzw. ließ sich nach Kriegsbeginn nicht mehr realisieren. Immerhin konnte 1913 noch ein neues Kontorhaus in der Schloßstraße (heute: Leineweberstraße) bezogen werden. An der Grünstraße verblieben die Buchhaltung, die Kaffeerösterei, die Destillerie und ein Lager.

Die weitere Firmenentwicklung bis zum Tod Karl Schmitz-Scholls und die Marke „ WISSOLL“

Mit dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs und dem Kriegseintritt des Deutschen Reichs waren für die Firma „Wilh. Schmitz-Scholl“ tiefe Einschnitte verbunden.

Durch die Seeblockade der westlichen Kriegsgegner und die Zwangsbewirtschaftung für die wichtigsten Lebensmittel war Karl Schmitz-Scholl gezwungen, das Warensortiment von hochwertigen Genussmitteln auf einfache Mangelprodukte und Surrogate umzustellen. Andernfalls lief er Gefahr, den Großteil seines Filialnetzes zu verlieren. Besonders zu schaffen machte dem Unternehmer das Kaffeegeschäft, das mangels Nachschubs an Bohnen nach kurzer Zeit zusammenbrach. Auch die Schokoladenproduktion in der neuen Fabrik ließ sich kaum noch aufrechterhalten. Um die Seeblockade zu umgehen, richtete er deshalb im schwedischen Göteborg vorübergehend eine Fabrikation von roher Kakaomasse ein, die er bis 1916 ins Deutsche Reich einführen konnte. Als auch diese Quelle versiegte, wurden in Speldorf Suppenmischungen hergestellt, Lebensmittel getrocknet, aber auch Granathülsen gedreht.

Ein Jahr zuvor hatte Karl Schmitz-Scholl die Marke „Plus“ ins Leben gerufen, in deren Namen Nährmittel wie Trockensuppen, Puddingpulver und Speisewürze hergestellt wurden. Im Übrigen arbeitete der Mülheimer als Sonderbeauftragter bei der Beschaffung und Verteilung der Truppenverpflegung während des Krieges eng mit der Reichsregierung zusammen und war zudem Mitglied des Mobilmachungsausschusses seiner Heimatstadt.

Karl Schmitz-Scholl brachte seine Firmengruppe insgesamt ohne große wirtschaftliche Einbußen durch die Kriegsjahre. Mithin war es ihm möglich, nach 1918 neue Produktionsstätten wie eine Stärkefabrik in Hamm (1919) und eine Kaffeerösterei in Berlin (1921) zu erwerben. Auch die Inflationszeit überstand die Firmengruppe durch das „Bunkern“ großer Warenbestände gegen Kredite relativ unbeschadet; bereits 1924 galt das Unternehmen als saniert. Juristische Auseinandersetzungen mit dem älteren Bruder Wilhelm über die Einschätzung des Gesamtbetriebs, denen Karl wiederholt ausgesetzt war, trübten jedoch das Bild. Die folgenden Bemühungen Karls, die Produktionskapazitäten durch den Aufkauf von Immobilien weiter zu erhöhen, waren von eher bescheidenem Erfolg; die Gewinne gingen zurück.

1927 erlag Wilhelm Schmitz-Scholl jun., der die Leitung der Rheinischen Zuckerwarenfabrik schon vor längerer Zeit abgegeben hatte, mit 66 Jahren einer schweren Krankheit. Im selben Jahr musste sich Karl Schmitz-Scholl aufgrund seiner angegriffenen Gesundheit (Gelenkrheuma, Diabetes, Herzbeschwerden) allmählich aus dem Geschäft zurückziehen; sein 31-jähriger Sohn Karl jun. zog in die Geschäftsführung ein. Das Unternehmen stand vor großen Problemen. Das Filialnetz war veraltet und Renovierungsarbeiten längst überfällig. Darüber hinaus machten sich nun die Folgen des raschen Expansionstempos und die Einführung neuer Steuern bemerk-bar. Insgesamt drückte ein Schuldenberg von drei Mio. RM.

Von Karl-Schmitz-Scholl Senior zu Karl Schmitz-Scholl Junior: Die dritte Generation

Der neue Geschäftsführer, der die dritte Generation im Familienunternehmen repräsentierte, leitete einen Sanierungskurs ein. Die Produktion wurde gestrafft, die Warenbelieferung der Filialen dezentralisiert und – soweit möglich – Rationalisierungsmaßnahmen durchgeführt. Schließlich wurde mit der neu eingeführten Marke „WISSOLL“ (abgeleitet vom Namen des Stammhauses Wilh. Schmitz-Scholl) mit dem Vertrieb an Fremdfirmen begonnen. 1930 trug der eingeschlagene Kurs erste Früchte; die Bilanz der Firmengruppe war erstmals wieder ausgeglichen. Im selben Jahr musste der schwerkranke Vater jedoch endgültig aus der Geschäftsführung ausscheiden, und sein Sohn wurde Generalbevollmächtigter. Karl jun. trieb die Modernisierung der Verkaufsstellen voran und machte, um die Kundenbindung zu erhöhen und sich gegen die zahlreiche Konkurrenz zu behaupten, verstärkt von der Werbung und Rabattierung Gebrauch. Die erste Tengelmann-Filiale in Mülheim wurde erst 1932, im Kohlenkamp 23, eröffnet. Um die einheimischen Einzelhändler und Gastronomen, die von ihnen en gros versorgt wurden, nicht zu verprellen, hatten die Schmitz-Scholls diesen Schritt bislang vermieden.

Am 11. April 1933 erlag Karl Schmitz-Scholl sen. Mit 64 Jahren seinem Herzleiden, nachdem ihm zuletzt auch das Gehen und Sprechen immer schwerer gefallen waren. An der Beisetzung nahmen neben dem Mülheimer Wirtschaftsbürgertum einige Wegbegleiter Schmitz-Scholls aus der Stadtverordnetenversammlung, der Handelskammer und des Verwaltungsrats der Sparkasse teil.

Außerdem gaben dem Kommerzienrat, der das kulturelle und soziale Leben in seiner Stadt mit Spenden unterstützt hatte, die Vertreter zahlreicher Vereine (u. a. verschiedene Kriegervereine und der Männer-Gesangverein Frohsinn) das letzte Geleit. Paul Reusch, der Vorsitzende des „Vereins zur Wahrung der gemeinsamen wirtschaftlichen Interessen im Rheinland und Westfalen“, würdigte den Verstorbenen als „Persönlichkeit“ und als „leuchtendes Beispiel dafür, was weitblickende Tatkraft und umfassendes Können für die deutsche Wirtschaft und ihre Entwicklung bedeuten“.

Der Beginn der Ära Haub

Karl Schmitz-Scholl jun. und seine Schwester Elisabeth Haub wurden zu gleichen Teilen persönlich haftende Gesellschafter der Firma Schmitz-Scholl/Tengelmann, wobei Karl allein vertretungsberechtigt war. Nachdem den Nationalsozialisten im Januar 1933 die Macht im Deutschen Reich übertragen worden war, sah Karl jun. die Zukunft der Firmengruppe alsbald ernstlich gefährdet. Schließlich maß die NS-Wirtschaftspolitik dem Rüstungssektor immer mehr Bedeutung bei, während die Konsumgüterindustrie kaum noch mit staatlicher Unterstützung rechnen konnte. Nach dem Beginn des Zweiten Weltkriegs wurden überall im Deutschen Reich Süßwarenfabriken und Kaffeeröstereien stillgelegt; die Belegschaften und Werkshallen wurden für die Fertigung von Kriegsgerät genutzt. Karl Schmitz-Scholl konnte indes das wirtschaftliche Überleben u. a. dadurch sichern, dass er am Stammsitz, dem WISSOLL-Werk in Mülheim-Speldorf, wichtige Nährmittel wie Bratlingspulver oder spezielles Sojapulver herstellen ließ, die ohne Lebensmittelkarten gekauft werden konnten. Im weiteren Kriegsverlauf produzierte das Werk aber auch für die Heeresverpflegung. Dabei wurde eine größere Zahl von Zwangsarbeitern eingesetzt, deren angemessene Ernährung und Unterbringung für Karl Schmitz-Scholl jedoch ein wichtiges Anliegen war.

Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges stand das Haus Schmitz-Scholl/Tengelmann vor großen Schwierigkeiten. Da sich Karl Schmitz-Scholl jun. noch längere Zeit in britischer Kriegsgefangenschaft befand, wurde bis Ende des Jahres 1947 ein Kurator eingesetzt. Ein Teil der Produktionsanlagen und Filialen war zerstört; das Mülheimer WISSOLL-Werk hatte die Kampfhandlungen hingegen relativ unbeschadet überstanden. Nach der Währungsreform und der politischen Stabilisierung in der jungen Bundesrepublik ging es auch mit der Firmengruppe wieder langsam aufwärts. 1953 konnte in München das erste Tengelmann-Selbstbedienungsgeschäft eröffnet werden; zahlreiche weitere folgten.

Expansion und Internationalisierung: Die vierte Generation

Als im März 1969 der kinderlose Karl Schmitz-Scholl jun. starb, ging die Firmenleitung auf seinen Neffen Erivan Haub über. Der studierte Volkswirt, der im Einzelhandel bereits seine Ausbildung absolviert hatte, strukturierte die Firma grundlegend um, wobei er seine in den USA gemachten Erfahrungen auf dem Gebiet des Marketings und Merchandising einbrachte. Durch eine kontinuierlich vorangetriebene Eigenexpansion und gezielte Aufkäufe baute Haub das Unternehmen sukzessive zu einer international operierenden Gruppe aus. 1971 konnte der einstige Erzrivale vom Niederrhein, die „Kaiser’s Kaffee-Geschäft AG“, als selbstständiges Unternehmen in die Firmengruppe aufgenommen werden. Ein Jahr später begann der rasante Aufstieg des Lebensmittel-Discounters „Plus“.  Mitte der achtziger Jahre setzte im Hause eine Phase der Diversifikation ein, die nach der deutschen Wiedervereinigung von 1990 intensiviert wurde.
1993 zum 100 Geburtstag erzielte Tengelmann unter der Führung von  Erivan K. Haub einen Gruppenumsatz von über 50 Mrd. DM. Das Mülheimer Unternehmen zählte in dieser Zeit zu den größten Lebensmittelfilialbetrieben der Welt. Erivan Haub starb m 6. März 2018 im Alter von 85 Jahren auf seiner Ranch in Wyoming.

Der Abschied vom Lebensmittel-Einzelhandel: Die fünfte Generation

Zum 1. Januar 2000 gab Eriwan Haub die Geschäftsführung ab an seine Söhne Karl-Erivan W. Haub, der bereits seit 1997 für das europäische Geschäft verantwortlich war und Christian W. E. Haub, der die amerikanische Beteiligungsgesellschaft A & P leitete. Von 2000 bis 2012 war Erivan Haub Vorsitzender des Beirats der Firmengruppe.

Zu Beginn des neuen Jahrtausends änderten sich die Bedingungen im Einzelhandel. Das Engagement im Lebensmittel-Geschäft wurde zurückgefahren. Die Marken PLUS, KAISERS`und TENGELMANN verschwanden. Die Holding-Gesellschaft Tengelmann Twenty-One KG hält Beteiligungen an mehr als 50 verschiedenen Firmen in Nordamerika und Europa. Sowohl Handelsunternehmen (OBI, KiK), als auch Immobilien- und Versicherungsgesellschaften gehören zum Portfolio. Über Tochtergesellschaften investiert Tengelmann außerdem in Venture Kapital und Start Ups weltweit.

Verschwunden in den Schweizer Alpen

Karl-Erivan W. Haub ist im April 2018 in den Schweizer Alpen verschwunden. Eine intensive Suche blieb erfolglos. Inzwischen wurde er für tot erklärt. Viele Details bleiben bis heute ungeklärt. Es gibt Erkenntnisse, die das Verschwinden von Karl-Eriwan Haub mit unternehmensinternen und familiären Konflikten in Verbindung bringen.

Den Vorsitz der Geschäftsführung der Tengelmann Twenty-One KG hat Christian W.E. Haub. Der Sitz der Holding- und Venture Kapital Gesellschaften ist München. Nach mehr als 150 Jahren hat das Unternehmen heute am Gründungs-Standort Mülheim keine unternehmerischen Aktivitäten mehr.

Thomas Urban

Quellen: Firmenarchiv der Unternehmensgruppe Tengelmann, Stadtarchiv Mülheim an der Ruhr, Bestand 1320

Literatur: Ein Jahrhundert Tengelmann. Geschichte, Gegenwart und Zukunft, Mülheim/Ruhr 1993, 125 Jahre Wissoll 1867-1992, Mülheim/Ruhr 1992., Müller, Edgar: Kaffee und Rösten. Ein Handbuch, Hamburg 1929., Wilh. Schmitz-Scholl, in: Mülheimer Jahrbuch 1952, S. 116-119.

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