Reden wir über Hugo Stinnes

Der Wirtschaftshistoriker Prof. Dr. Horst A. Wessel (Foto: Emons)

Der Wirtschaftshistoriker Prof. Dr. Horst A. Wessel, Herausgeber der Buchreihe „Pioniere der Mülheimer Wirtschaft“, sprach 100 Jahre nach dem Tod von Hugo Stinnes vor 130 Geschichtsinteressierten im Haus der Stadtgeschichte an der Von-Graefe-Straße. Der Geschichtsverein dokumentiert zentrale Aussagen seines Vortrages.



„Hugo Stinnes bezeichnete sich als Kaufmann aus Mülheim. Er hat nur eine Auszeichnung angenommen, die Ernennung zum Kommerzienrat 1905, und das auch nur auf Drängen des damaligen Oberbürgermeisters Paul Lembke. Er überzeugte Stinnes davon, dass seine Ablehnung dieses Titels all jene Honoratioren aus der Mülheimer Wirtschaft brüskieren würde, die ebenfalls zum Kommerzienrat ernannt worden waren. Als Stinnes in einem Hotel einmal als Herr Generaldirektor begrüßt wurde, antwortete er: Ich bin Hugo Stinnes, ein Kaufmann aus Mülheim. Ich bin kein Generaldirektor. Ich ernenne Generaldirektoren.“

„Ich bin Hugo Stinnes, ein Kaufmann aus Mülheim. Ich bin kein Generaldirektor. Ich ernenne Generaldirektoren!“

„Stinnes selbst wollte kein Diktator werden. Aber er konnte sich eine Diktatur auf Zeit vorstellen, weil er der Ansicht war, dass die Mühlen der Weimarer Demokratie zu langsam mahlten. Den Kapp-Putsch hat er 1920 verurteilt, dessen Anführer Wolfgang Kapp aber Asyl auf seinem Landgut in Schweden gewährt. 1923 hatte Stinnes auch ein Gespräch mit Adolf Hitler. Anschließend sagte er: Mit einem solch gefährlichen politischen Fantasten will ich nichts zu tun haben!“

„Hugo Stinnes war für die extreme Linke und für die extreme Rechte ein rotes Tuch. Für die meisten seiner Zeitgenossen war er ein unfassbares Fabelwesen. Karikaturen seiner Zeit zeigten ihn zum Beispiel als politischen Marionettenspieler, an dessen Fäden der damalige Reichspräsident Friedrich Ebert hing, als Götterboten Hermes, der über der Industrie schwebte oder als Gott Stinnes. Sein Konzern, zu dem fast 1.600 Unternehmen gehörten, die weltweit 600.000 Menschen beschäftigten, war für viele Menschen so unvorstellbar, dass sie ihn für fast gottgleich hielten und deshalb sagten: Das walte Hugo! Während ihn die New York Times 1920 als Erzkapitalisten beschrieb, charakterisierte ihn das US-Magazin Time 1923 als Pionier des Sozialismus.“

Das walte Hugo!

„Hugo Stinnes interessierte sich als Schüler des Königlichen Realgymnasiums, der heutigen Otto-Pankok-Schule, auch für Naturwissenschaften und Medizin. Doch auf seinem Abiturzeugnis aus dem Jahr 1888 stand: Er geht als Kaufmann ab. In seinem Abiturzeugnis bescheinigten ihm seine Lehrer ein strenges Pflichtgefühl und eine löbliche Allgemeinbildung. Seine schriftlichen Abiturleistungen waren so gut, dass er von der mündlichen Abiturprüfung dispensiert wurde. Nach seinem Abitur machte er eine sechsmonatige Kaufmannslehre und studierte zwei Semester an der Technischen Hochschule in Berlin. Danach fuhr er als Bergmann in die Zeche Wiesche ein und erkannte dort den Reformbedarf. Als Nachfolger seines 1887 verstorbenen Vaters Hermann Hugo Stinnes trat er in die Leitung des Familienunternehmens ein, ehe ihm seine aus der Lederfabrikantenfamilie Coupienne stammende Mutter Adeline Stinnes 1892 mit 50.000 Mark das Startkapital für die Gründung seines eigenen Unternehmens lieh. Wenn man diese Summe mal 10 nimmt, hat man ungefähr den heutigen Kaufwert dieser Summe.“

„Wie sein Großvater, der Kohlenhändler, Reeder und Bergwerksbesitzer Mathias Stinnes, sollte auch Hugo Stinnes nur 54 Jahre alt werden. Nach einer misslungenen Gallenblasenoperation lebte er noch zehn Tage in dem Bewusstsein, dass es mit ihm zu Ende ging. Er versammelte seine Familie an seinem Sterbebett und mahnte sie: Meine Kredite sind Eure Schulden. Hugo Stinnes hatte seine Frau Cläre Wagenknecht als Alleinerbin eingesetzt. Das war vielleicht keine weise Entscheidung. Denn obwohl sie selbst aus einer Kaufmannsfamilie kam und ihm auch in Unternehmensangelegenheiten eine gute Ratgeberin und Zuhörerin war, ließ sie sich von ihrem zweitgeborenen Sohn Hugo Stinnes junior dazu überreden, den letzten Willen ihres Mannes in den Wind zu schlagen und den vertikalen Stinnes-Konzern zusammenzuhalten, statt ihn durch Firmenverkäufe und die Beschränkung auf seine Kerngeschäfte Bergbau, Kohlenhandel und Schifffahrt zu entschulden und damit zu konsolidieren. Schon 1925 platzte der erste Wechsel. Zwar bekam Stinnes amerikanische Kredite, doch der Konzern zerfiel in drei Unternehmen, wobei Hugo Stinnes junior mit seinen Unternehmen zweimal in die Pleite ging.“

„Als Mitgründer des Rheinisch-Westfälischen Kohlensyndikates war Hugo Stinnes 1893 davon überzeugt, dass Kartelle mit Eigenbedarfsquoten nicht nur für Unternehmer, sondern auch für die Arbeiter und die gesamte Wirtschaft besser waren als eine ruinöse Konkurrenz!“

„Als Hugo Stinnes 1898 zusammen mit August Thyssen und dem Mülheimer Bankier Leo Hanau den Mülheimer Bergwerksverein gründete, galten dessen heruntergekommenen Zechen Wiesche, Humboldt und Rosenblumendelle im Volksmund als Jammer, Kreuz und Elend.“

„Als Hugo Stinnes 1905 die 1811 von Johann Dinnendahl gegründete Friedrich Wilhelms-Hütte kaufte, war es um sie nicht gut bestellt. Doch er kaufte neue Koks- und Hochöfen für die Hütte und machte sie so wieder gewinnbringend. Damals war Hugo Stinnes, der ab 1910 auch dem Mülheimer Stadtrat angehörte, nach August Thyssen, der sein Unternehmen 20 Jahre früher gegründet hatte, der zweitgrößte Steuerzahler Mülheims.“

„Bis 1914 interessierte sich Stinnes nicht für Politik. Er unterstützte den pazifistischen liberalen Politiker Ludwig Quidde, weil er den Frieden als Voraussetzung für eine produktive internationale Arbeitsteilung ansah. Doch im Ersten Weltkrieg trat er in die Nationalliberale Partei ein, die einen deutschen Siegfrieden forderte. Nach dem Ersten Weltkrieg gehörte er als Reichstagsabgeordneter der von Gustav Stresemann gegründeten Deutschen Volkspartei an. Mit Stresemann hatte Stinnes aber viele Kontroversen. Seine Unterschrift steht auch unter dem Versailler Friedensvertrag und er nahm als Mitglied der deutschen Delegation in Spa an den Reparationsverhandlungen teil.“

„Im Winter 1918 wurde er vom Arbeiter- und Soldatenrat verhaftet und von Mülheim nach Berlin deportiert, ehe der damalige Mülheimer Oberbürgermeister Paul Lembke seine Freilassung und Rückkehr nach Mülheim erreichte. Während der Novemberrevolution 1918/19 brachte er seine Familie auf seinen Besitz in die Oberlausitz, weil er sie in Mülheim nicht als  sicher ansah. Angesichts der linken Revolutionäre finanzierte er auch einen antibolschewistischen Fonds, aus dem die Soldaten der nationalistischen Freikorps bezahlt wurden.“

„Stinnes ging sehr skrupellos gegen streikende Arbeiter vor. Er war aber auch ein sozialer Arbeitgeber, der talentierten Arbeiterkindern durch seine Stipendien den Besuch der Weiterführenden Schule ermöglichte und mit der heutigen Mausegattsiedlung Wohnungen für seine Bergleute und deren Familien baute. 1918 überzeugte er seine Arbeitgeberkollegen davon, die Gewerkschaften und ihr Streikrecht anzuerkennen und der Einführung des Achtstundentages zuzustimmen, weil er wusste, dass man nur so die Sozialisierung der gesamten deutschen Wirtschaft und damit die Enteignung der Unternehmer verhindern konnte.“

„Mit dem Argument ‚Wir können als Industrielle Strom billiger produzieren, als ihr das könnt, und als Aktionäre könnt ihr von unseren Gewinnen profitieren‘, überzeugte Hugo Stinnes 1898 auch seine Heimatstadt Mülheim, sich an der von August Thyssen und ihm mitbegründeten RWE AG zu beteiligen, wovon Mülheim bis heute profitiert.“


 

Hören Sie zum Thema auch: WDR-Podcast zu Hugo Stinnes mit Prof. Dr. Horst A. Wessel (2019)


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