/

Die Wolfsburg

Kurhaus Wolfsburg, 1907; Stadtarchiv Mülheim
Kurhaus Wolfsburg, 1907, Quelle: Stadtarchiv Mülheim an der Ruhr

Von: Stephan Bitter

Vor 100 Jahren gab es in Mülheim an der Ruhr nach den Eingemeindungen von 1904 eine rege Bautätigkeit. Dem Wachstum der Industriestädte in der Kaiserzeit entsprach einzunehmendes Verlangen der Menschen nach Freiräumen, nach Erholungsgebieten in der Nähe der Städte, Ausflugsorten im Walde mit guter Luft, ja nach einer Ansiedlung außerhalb der Stadt. In diesem Sinne ließ Fritz Böllert in dem damals stillen Waldgebiet zwischen Duisburg und Mülheim das Hotel „Kurhaus Wolfsburg“ errichten. Das Gebäude trägt an der Westfassade die Jahreszahl 1906, und so findet man diese Jahresangabe in allen Veröffentlichungen zur Wolfsburg als ihr „Geburtsjahr“. Erst am 25. Juni 1907 gibt jedoch es einen Beleg dafür, dass das Kurhaus eröffnet ist, nämlich die bescheidene Annonce in der Rhein-und Ruhrzeitung:

 Kurhaus Wolfsburg. Dienstag, den 25. Juni, von nachmittags 4 Uhr ab: Kaffee-Konzert. Eintritt frei. Programm 10 Pfg.“
Nun also, Ende Juni 1907, ist die Wolfsburg fertig und kann zu einem unterhaltsamen Nachmittag einladen. Dieses Datum müssen wir nun also, sofern sich nicht noch andere Nachrichten finden, als den Anfang des Lebens im Kurhaus werten.

Über der Jahreszahl „1906“ an der Westseite der Wolfsburg sieht man heute eine leere Wappenkartusche, in der einst der Name „Böllert“ in Erinnerung an den Erbauer und ersten Eigentümer gestanden hat. Bei dem Bauherrn handelte es sich um den Ziegeleibesitzer Gottfried Matthias – genannt Fritz – Böllert (1850-1937), dessen Vater Johann Matthias Böllert (1814-1887) und Bruder Matthias Böllert (1852-1933) Brauereibesitzer waren. Wohl als Erbe des Vaters gehörte den Brüdern Fritz und Matthias Böllert das große Grundstück in Speldorf, auf dem die Wolfsburg entstand, zunächst gemeinsam. Die als Kurhaus gebaute Wolfsburg bot ihrem Bauherrn in der oberen Etage einen ländlichen Wohnsitz zusätzlich zu seiner Stadtwohnung in Duisburg.

Bereits zwei Jahre zuvor ließ sich sein Bruder, der neben seinem Duisburger Brauereigelände bereits ein Haus besaß, dort das so genannte „Waldhaus“ errichten. Dieses hatte er nach der Überlieferung der Familie auf einer Weltausstellung – vermutlich in Lüttich 1905 – gesehen, dort erworben und schließlich hier aufbauen lassen. Das Waldhaus existiert heute nicht mehr, da es im Zweiten Weltkrieg während eines Bombenangriffs zerstört wurde.

Die weitere Nachbarschaft: Gartenstadt und Solbad

Man kann von den Brüdern Matthias und Fritz Böllert und von dem Kurhaus Wolfsburg nicht sprechen, ohne an die „Broich-Speldorfer Wald-und Gartenstadt AG“  zu erinnern, die beide Böllerts, der Bankier Walter Hammerstein und andere zusammen mit der Stadt Mülheim Ende 1906 gegründet hatten. Fritz Böllert war in den Jahrzehnten, in denen die Gesellschaft bestand, der stellvertretende Vorsitzende des Aufsichtsrats. Die Aktiengesellschaft warb für ihr Unternehmen mit folgenden Worten:

„Nichts ist sicherer, als dass wir Menschen von heute viel schneller verschleißen, dass unsere Lebenskraft und Lebensfreude viel kürzer bemessen ist, als diejenige unserer Vorfahren. Es ist eine Pflicht gegen uns selbst und unsere Familien, bei Zeiten Mittel zu ergreifen, die dieser frühzeitigen Aufreibung unserer körperlichen und geistigen Kraft Einhalt tun. Dazu aber ist nichts geeigneter als die Schaffung eines ruhigen, gesunden Heims im Frieden des Waldes.“

Die hier ausgesprochenen Motive einer Wald-und Gartenstadt verdanken sich der englischen Gartenstadtbewegung, die in Deutschland und auch in Mülheim einflussreiche Fürsprecher in dem Berliner Architekten Hermann Muthesius (1861-1927) und dem Düsseldorfer Gartenbaudirektor Walter Baron von Engelhardt (1864-1940) hatte. Durch Zusammenlegung vieler Parzellen wurde im Uhlenhorst am Rande Mülheims eingeschlossenes Waldgebiet geschaffen, das für die einheitliche Anlage einer Wald- und Gartenstadt zur Verfügung stand. Das große Gelände ist noch heute eine Garten-und Waldstadt. Neben einzelnen Villen entstanden im Broich-Speldorfer Wald das Restaurant Uhlenhorst und das Haus Hammerstein, am Rande des Areals die Böllertsche Wolfsburg und nur wenige hundert Meter von dort entfernt das 1910/11 errichtete „Burgschloss“ Haus Hartenfels des Duisburger Industriellen Peter Klöckner (1863-1940).

Im Zusammenhang mit ihrer Beteiligung an der Broich-Speldorfer Wald-und Gartenstadt AG bemühte sich die Stadt Mülheim schon früh um eine Verlegung des Solbads Alstaden nach Speldorf (Gut Raffelberg), kam aber erst einige Jahre später zum Ziel. 1909 konnten ein Solbad, ein Kindersolbad und auch ein Kurhaus eröffnet werden. In seiner Blütezeit gab das Solbad, das bis 1989 bestand, auch Gäste zur Unterbringung an die Wolfsburg ab.

Das Kurhaus in den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg und sein Ende in den 1930er Jahren

Das Projekt der Broich-Speldorfer Wald-und Gartenstadt war anfangs nicht nur auf Zustimmung gestoßen. Es erschien manchem als elitäres Vorhaben für wenige Reiche. Ein Waldbrand im Uhlenhorst könnte ebenso wie jener in unmittelbarer Nähe der in Bau befindlichen Wolfsburg aus Protest gelegt worden sein. Noch von einem anderen makabren Ereignis in der Nähe der Wolfsburg berichtet die Mülheimer Zeitung am 13. April 1907, also noch vor Fertigstellung des Bauwerks:

In dieser Woche bot sich den Besuchern des Waldes ein schauerlicher Anblick dar. In einem Baume, in unmittelbarer Nähe der ‚Wolfsburg’, fand man einen Erhängten. Das Motiv, das ihn zu der unseligen Tat getrieben hat, ist unbekannt, ebenso wie sein Name, denn es war eine–Puppe. Diese war so naturgetreu hergestellt, dass der Schreiber dieses, der den‚ Erhängten’ selbst gesehen hat, unwillkürlich auf den Gedanken kam, dass der Verfertiger oft Zeuge einer solchen Szene gewesen ist.“

Die Wolfsburg in den 1940er und 1950er Jahren

Im Zweiten Weltkrieg nutzte die Luftwaffe die Wolfsburg als Luftwarnzentrale für das gesamte westdeutsche Reichsgebiet, als Bodenleitstelle sowie zur Stationierung des Stabes der IV. Flak-Division und einer (Luftwaffenhelfer-) Flakstellung. Auf den angrenzenden Geländen wurden Bunker, Baracken und ein Offizierskasino errichtet. Von der Wolfsburg aus gingen die Warnungen vor Einflügen feindlicher Maschinen an den Drahtfunk, den die Menschen im Revier mit ihren Radios empfingen. Zugleich wurden von der Wolfsburg aus die Einsätze der deutschen Nachtjagdabwehr gelenkt. Die Bombentrichter im Duisburger und Broich-Speldorfer Wald zeugen noch heute von den Angriffen der Alliierten, denen auch das „Waldhaus“ zum Opfer fiel. Den Bunker zerstörten die Deutschen noch vor Kriegsende selbst.

Am 12. April 1945 rollten amerikanische Panzer unterhalb der Prinzenhöhe auf der Duisburger Straße nach Duisburg. Damit endete hier der Krieg und die Jahre englischer Besatzung folgten. Am 25. August 1951 meldet die Mülheimer Morgenpost die baldige Wiedereröffnung des Ausflugslokals nach langer militärischer Nutzung:

„Zunächst war es die deutsche Flak, die dann von Einheiten der Besatzung abgelöst wurde. Zuletzt waren es die Kinder der Besatzungsangehörigen, die hier jeden Morgen mit dem Autobus hingebracht wurden, um in der ‚Englischen Schule’ ihren Unterricht zu erhalten. In diesen Tagen hat nun der Eigentümer, Ferdinand Bermes, den offiziellen Bescheid erhalten, dass die Besatzung dieses Gebäude wieder freigegeben hat. So liegen nun die 52 Räume des früheren Ausflugslokals und Hotels öde und verlassen da.“

Tatsächlich konnten Ferdinand Bermes d. J. (1905-1995) und seine Frau Helene, geb. Büchsenschütz (1907-1995) den Restaurant-und Hotelbetrieb bald wieder aufnehmen. Unten wurden Gaststätte und Café eingerichtet, während in den oberen Etagen bis auf eine vermietete Wohnung Hotelgäste untergebracht wurden. Es zeigte sich indes bald, dass das Gebäude einer anderen Nutzung bedurfte, da durch den stetig wachsenden Autotourismus entferntere Ziele attraktiv wurden und damit das Interesse an nahe liegenden Ausflugsorten nachließ.

Die Wolfsburg, im Duisburger Walde
Die Wolfsburg, im Duisburger Walde, Quelle: Stadtarchiv Mülheim an der Ruhr

Katholische Akademie „Die Wolfsburg“

1959 wurde die Wolfsburg ohne die Remise von Bischof Franz Hengsbach (1910-1991) für das neu gegründete Bistum Essen erworben. Nach entsprechendem Umbau und Erweiterung durch einen neuen Gebäudetrakt konnte sie am 9. Juli 1960 zunächst als „Haus für Erwachsenenbildung des Bistums Essen“ ,später als „Katholische Akademie Die Wolfsburg“ eingeweiht werden. Erster Direktor des Hauses war Dr. Georg Scherer (1960-1980), später als Professor für Philosophie in Essen tätig. Ihm folgte Dr. Paul Hoffacker (1981-1995), seit 1995 leitet Dr. Michael Schlagheck die Akademie. Das Tagungsprogrammkennt viele Höhepunkte und kann viele illustre Namen aufweisen. Auch die traditionellen „Essener Gespräche“ zum Verhältnis zwischen Kirche und Staat finden hier statt.

Anm. d. Red.: weiterführende Informationen finden Sie auf der offiziellen Website Katholische Akademie Die Wolfsburg

Cookie Consent Banner von Real Cookie Banner