Eine Weltpremiere in Mülheim: Das Schokoladenkistenrennen

Vorbereitungen für das Rennen bei nasskaltem Wetter
Vorbereitungen für das Rennen bei nasskaltem Wetter

Von: Jens Roepstorff

Im Sommer 1950 erlebt Firmenchef Karl Schmitz-Scholl, der sich zur Kur in Bad Reichenhall aufhält, ein Seifenkistenrennen von Jugendlichen und ist von dieser Veranstaltung, importiert von den in Bayern stationierten US-Soldaten, begeistert. Zurück in Mülheim überzeugt er Sportdezernent Bernhard Witthaus von seiner Idee, als Mitveranstalter wird der ADAC ins Boot geholt.

Nach Bekanntwerden der Pläne melden sich zahllose ehrenamtliche Helfer, die bereit sind, sich in die Durchführung der Veranstaltung einzubringen. Aber damit ist es nicht getan. Schätzungen ergeben, dass mit Kosten von rund 6.000 DM zu rechnen sei, die von der Stadt Mülheim allein nicht zu stemmen sind. Die Zusage des Initiators Karl Schmitz-Scholl, über seine Firma Wissoll alle Kosten für die Durchführung und zudem die Auslobung der Preise zu übernehmen, erleichtert die weiteren Planungen. Zu Ehren des großzügigen Sponsors firmiert die Veranstaltung nun unter dem Namen „Schokoladenkistenrennen“.

Der Organisationsausschuss, bestehend aus Vertretern der Polizei, des ADAC, der Stadtverwaltung und der Mülheimer Handwerkerschaft, macht sich an die Arbeit. Ein Termin für die Veranstaltung ist bald gefunden: Sonntag, der 24. September 1950. Als Rennstrecke wählt man die Reichspräsidentenstraße mit einer Startrampe auf Höhe der Witthausstraße und einer Gesamtstrecke von 500 Metern. Die Zieleinfahrt ist am Lohscheidt 39, unmittelbar vor der Einmündung zur Kluse. Während die Veranstalter die Rahmenbedingungen festzurren, wird in zahlreichen Mülheimer Kellern und Garagen bereits eifrig gebastelt. Unterstützung erhalten die Jugendlichen dabei von ihren Vätern und Großvätern, die sich von dem allgemeinen Rennfieber anstecken lassen. Von Holzkisten bis hin zu ausrangierten Kinderwagen findet alles Verwendung.

Am Donnerstag vor der Veranstaltung stehen die technische Überprüfung und Abnahme der „Rennmaschinen“ durch ein Team von Sachverständigen an. Geprüft werden die Räder, die Steuerung, die Bremsen sowie das Gesamtgewicht, das Fahrer inklusive 112 Kilogramm nicht überschreiten darf. Bei manch einem der 85 Wagen muss da nachgebessert werden. Anschließend werden die Rennwagen mit Startnummern versehen und auf dem Firmengelände von Wissoll bis zum Start eingelagert.

Am Renntag – der Start ist für 14 Uhr angesetzt – haben sich trotz strömenden Regens an die 10.000 Zuschauer vor Ort eingefunden. Mit 50 Pfennig Eintritt pro Person sind sie dabei und erhalten als Zahlungsbeleg eine Plakette mit der Aufschrift „MSR“ (= Mülheimer Schokoladenkistenrennen). Gefahren wird nach Zeit, Sieger ist jeweils der Fahrer mit höchsten Durchschnittsgeschwindigkeit. Die Teilnehmer sind in drei Altersklassen eingeteilt (10-12, 13-14 und 15-16 Jahre); zudem gibt es je nach Bereifung der Kistenwagen (Gummi oder Holz/Eisen) die Wagengruppen A und B.

Die durch den Dauerregen nasse Fahrbahn erweist sich als problematisch. In den Kurven verliert der eine oder andere Fahrer schon einmal die Kontrolle und landet in den Heuballen, die die Strecke zum Schutz von Zuschauern und Fahrern seitlich begrenzen. Die Mülheimer Zeitung schreibt am nächsten Tag: „Bis auf einige Hautabschürfungen passierte jedoch nichts. Die Sanitätskolonne brauchte kaum einzugreifen.“

Gegen 18 Uhr steht der Tagessieger steht fest: Mit 31,8 Stundenkilometern ist der 13jährige Udo Nockmann Schnellster unter allen Teilnehmern. Seine Siegprämien sind ein Fahrrad (gestiftet vom ADAC), ein 4,5 kg schweres Miniaturauto aus Schokolade (gestiftet vom Veranstalter Wissoll) sowie 25 DM von einem weiteren Sponsor. Der Rennwagen des Siegers wird acht Tage lang im Schaufenster der Firma Neuenhagen ausgestellt. Auch die weiter hinten platzierten Teilnehmer gehen nicht leer aus und dürfen sich über Wissoll-Schokoladenautos in verschiedenen Größen freuen.

Die Veranstaltung erweist sich als Publikumserfolg. Es kommt zu Wiederholungen in den Jahren 1951 und 1952, wieder mit der Firma Wissoll als großzügigem Hauptsponsor. Während die Premiere im September 1950 vom Dauerregen geprägt war, finden die zweite und dritte Auflage des Rennens bei herrlichem Sonnenschein im Juni und Juli statt.

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