von: Thomas Emons
Oft wird Vorfreude auf Weihnachten angesichts von Rezessionsängsten getrübt. Auch im Dezember 1918 fragen sich die Mülheimer: „Was soll aus Deutschland werden?“ Der Erste Weltkrieg ist verloren. Der Kaiser hat abgedankt, die Republik ist ausgerufen, der kaiserliche Reichsadler aus dem Titelkopf der Mülheimer Zeitung verschwunden und durch das Stadtwappen ersetzt. Einen Friedensvertrag gibt es noch nicht, aber klar ist: Seine Bedingungen werden hart sein. In dieser Situation kehren die Soldaten des Infanterieregiments 159 am 13. Dezember 1918 in ihre Garnisonskaserne an der Kaiserstraße zurück. 3500 ihrer Kameraden kommen nicht wieder nach Hause. Sie haben, wie es in Todesanzeigen immer wieder heißt, „ihr Leben dem Vaterland geopfert“. Die Nachrufe auf Väter, Söhne und Brüder füllen im Herbst 1918 Zeitungsseiten.
Doch an diesem 13. Dezember 1918 wollen die Mülheimer den Krieg und seine Folgen verdrängen, empfangen die Soldaten ihrer Garnison wie Sieger. Tausende von Menschen warten in strömendem Regen vor dem Bahnhof, auf dem Rathausmarkt und an den Innenstadtstraßen, um das Infanterieregiments 159 mit Hochrufen zu begrüßen. Kaum ein Haus, das nicht mit Blumen und Fahnen geschmückt ist. Die Mülheimer müssen lange warten. Die Regimentszüge kommen mit mehrstündiger Verspätung an. Doch dann gibt es kein Halten mehr. Jugendliche klettern zu den Soldaten in die Waggons. Die Kirchenglocken läuten und eine Militärkapelle intoniert Marschmusik.
Oberbürgermeister Paul Lembke und Mitglieder des Vereins der ehemaligen 159er sind als Begrüßungskommando am Bahnsteig angetreten. Der nach der November-Revolution auch in Mülheim gebildete Arbeiterrat will den Regimentszug vom Bahnhof zum Rathausmarkt mit einer roten Fahne anführen. Das lehnen die immer noch kaisertreuen Soldaten ab. Künftige Konflikte kündigen sich an.
Oberbürgermeister Lembke beschwört in seiner Ansprache auf dem Rathausmarkt die Einheit zwischen Bürgern und Soldaten: „Trauer hat uns daheim gemeinsam mit dem Regiment betroffen“, sagt der OB und fügt hinzu: „Aber heute ist ein Freudentag. Wir reichen euch die Hand und denken dabei daran, wie ihr mit eurem Blut jeden Einzelnen daheim geschützt habt. Schlagt ein und fühlt euch wohl in der Garnisonsstadt Mülheim.“
Doch die Rede des Regimentskommandeurs Siegfried Schulz gibt zu denken, betont er doch, dass man nur deshalb vor dem Feind zurückweichen musste, weil in der Heimat die Munition gefehlt habe. Schulz und einige Soldaten wollen die Niederlage nicht wahrhaben. 1920 müssen sie ihre Kaserne verlassen. Das Ruhrgebiet wird entmilitarisiert. 1000 Regimentssoldaten kämpfen jetzt im Freikorps Schulz, das sich gegen revolutionäre Arbeiter und die junge Republik richtet.