Mülheim wird Garnisonsstadt

Postkarte mit Motiv der Garnisonsstadt Mülheim an der Ruhr (Quelle: Stadtarchiv)

Von: Thomas Emons

Tausende von Schaulustigen bevölkern die Innenstadt. Besonders Waghalsige haben sich in Fenstern und auf Dächern positioniert, um einen besonders guten Ausblick auf die großen Ereignisse zu haben, die da kommen sollen. Die Gaststätten im Stadtzentrum sind schon am frühen Vormittag bis auf den letzten Platz besetzt. Die Kinder haben schulfrei. An diesem Mittwoch, dem 29. März 1899, herrscht in Mülheim eine Stimmung wie an Rosenmontag. 

Auslöser dieser Euphorie sind die Soldaten des 8. Lothringischen Infanterie-Regiments Nr. 159, das an diesem Tag in seine neue Garnisonskaserne an der Kaiserstraße einzieht. Dort haben Kaufleute und Anwohner einen Ehrenbogen für die neuen Nachbarn errichtet. Die Innenstadt ist ein Fahnenmeer in Schwarz-Weiß-Rot. Einige Geschäftsleute haben die Schaufenster mit Kaiserbüsten geschmückt, um ihre patriotische Gesinnung unter Beweis zu stellen und des Kaisers Soldaten gebührend zu empfangen. 

Garnisonsstadt zu werden, ist im Wilhelminischen Deutschland ein Ritterschlag, der sich für Mülheim auszahlen soll. „In finanzieller Hinsicht sind sowohl von der Stadt als auch von Privaten große Aufwendungen gemacht worden, in der Aussicht, dass die Garnison eine merkliche Belebung von Handel und Wandel des Tagesumsatzes mit sich bringt“, betont die Mülheimer Zeitung, warnt aber auch vor überzogenen Erwartungen. 

Von Geld ist an diesem Mülheimer Feiertag allerdings nicht die Rede. Um die Mittagsstunde nehmen die 159er Aufstellung in den Ruhranlagen, um von dort aus mit Musik auf den Rathausmarkt zu marschieren und, wie die Mülheimer Zeitung schreibt, dabei „ein gefährliches Gedränge“ hervorzurufen, weil zu viele Zaungäste dabei sein wollen. Außerdem rahmen 25 Kriegervereine sowie Abordnungen von Feuerwehr und Polizei den Rathausmarkt ein. 

Und Oberbürgermeister Karl von Bock und Pollach, der selbst mal Offizier war, spart bei seiner Begrüßungsansprache auf dem Rathausbalkon nicht mit patriotischem Pathos, beschwört die „Treue und unwandelbare Liebe zu unserem Kaiser, König und Herrn“ und das „Freundschaftsbündnis“ zwischen den Mülheimern und ihrem neuen Regiment. Gemeinsam wird die Nationalhymne gesungen und dann erschallen Hochrufe auf den Kaiser und seine Soldaten. 

Ehe das Regiment, das seinerseits Hochrufe auf die Stadt und den Oberbürgermeister ausbringt, zur Kaserne an der Kaiserstraße zieht, ermahnt sein Kommandeur die Soldaten „vor allem heute abend in den Vereinen sich so aufzuführen, wie es jungen Soldaten gebührt“. 

Während 150 Offiziere und Honoratioren der Stadt den Feiertag mit einem Festmahl im Kasino der Kaserne ausklingen lassen, „ergoß sich“, wie die Mülheimer Zeitung berichtet, „eine Menschenmenge in die Straßen der Stadt und in die Wirtschaftslokale, wie wir es noch nicht beobachtet haben.“ Dass die 159er schon 15 Jahre später von der Kaserne an der Kaiserstraße in den Krieg und damit oft in den Tod ziehen sollten, ist schon wieder eine ganz andere Geschichte.

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