von: Thomas Emons
Stadterhebung. Das ist ein großes Wort. Die Wirklichkeit sah im Falle Mülheims vor 200 Jahren bescheidener aus. Seine Stadtwerdung war Ergebnis eines französischen Verwaltungsaktes, der über mehrere Etappen am 18. Februar 1808 zur ersten Sitzung eines Mülheimer Stadtrates führte. Der Stadtrat hieß damals Munizipalitätsrat und Mülheims erster Bürgermeister Hermann Vorster trug zunächst den Titel Directeur und wurde später zum Maire.
Die Begrifflichkeiten zeigen: Damals hatten in Mülheim die Franzosen das Sagen. Infolge der Napoleonischen Eroberungskriege gehörte Mülheim seit 1806 zum Großherzogtum Berg, das von Napoleons Schwager Joachim Murat regiert wurde.
Der Mann war ehrgeizig und wollte sein Großherzogtum zum Modellstaat machen. Schritte in diese Richtung waren moderne Verwaltungsstrukturen. Deshalb ordnete Murat im Herbst 1807 an, dass alle Gemeindeverbände (Munizipalitäten) mit mehr als 5000 Einwohnern einen Directeur, zwei Beigeordnete, einen Polizeikommissar und einen Munizipalitätsrat bekommen sollten, um die öffentlichen Belange regeln zu können. Allerdings dachte der Herrscher von Napoleons Gnaden nicht an kommunale Selbstverwaltung. Denn der Directeur und die zunächst 20 Mitglieder des Mülheimer Munizipalitätsrats wurden nicht von unten gewählt, sondern von oben ernannt. Mit der Ernennung der Ratsmitglieder, denen ausschließlich ein politisches Vorschlagsrecht zugebilligt wurde, bekräftigte Murat am 28. Januar 1808 Mülheims Stadtwerdung.
Der Begriff Stadt darf nicht zu wörtlich genommen werden. Die neue Munizipalität, die zunächst aus dem Kirchspiel Mülheim und Holthausen bestand, zählte gerade einmal rund 6000 Einwohner und machte alles in allem einen eher dörflichen Eindruck. Unter den Munizipalitätsräten, die am 13. Februar 1808 vom Provinzialrat Graf von Spee vereidigt wurden, waren Honoratioren wie Kaufleute, Advokaten, Apotheker, Reeder, Fabrikanten und Grundbesitzer, die sich das unentgeltliche Ehrenamt für das neue Gemeinwesen leisten konnten. Das Gleiche galt auch für den Directeur und seine beiden Beigeordneten. Der bekannteste Munizipalitätsrat war wohl der Textilfabrikant Johann Caspar Troost, dessen Baumwollspinnerei im Luisental 300 Menschen Arbeit gab. Damit war er damals Mülheims größter Arbeitgeber. Auch mit Fischerei, Schifffahrt und Mühlen wurde damals in Mülheim Geld verdient, während der später bedeutende Bergbau noch in den Kinderschuhen steckte.
Schon bei ihrer ersten Sitzung am 18. Februar 1808 war den Munizipalitätsräten klar, das mit dem vergleichsweise kleinen Gemeindeverband aus Alt-Mülheim und Holthausen keine „Stadt“ zu machen war, weil zwei Drittel der Bürger als arm oder mäßig begütert einzustufen waren. Kurz gesagt, ging es in Mülheims erster Ratssitzung angesichts des neu zu schaffenden Verwaltungs- und Polizeiwesens um die Frage: „Wer soll das bezahlen?“ Dabei sollte man mit Blick auf Polizei und Stadtverwaltung keine heutigen Maßstäbe anlegen. Anno 1808 brauchte man neben dem hauptamtlichen Polizeikommissar nur drei Polizeidiener, einen Verwaltungssekretär und einen Verwaltungsdiener. Aber auch dieser Verwaltungsaufwand war aus Sicht der ersten Stadträte finanziell nur dann zu stemmen, wenn das Stadtgebiet um sechs weitere Ortschaften der alten Herrschaft Broich erweitert würde. In diesem Sinne beauftragten sie den Directeur, bei den vorgesetzten Behörden vorstellig zu werden und hatten Erfolg, so dass an der zweiten Ratssitzung am 18. März 1808 bereits sechs weitere Ratsherren teilnehmen konnten.
Jetzt repräsentierte der Munizipalitätsrat insgesamt rund 11.000 Bürger der alten Herrschaft Broich, die im Grunde bereits dem heutigen Stadtgebiet entsprach.