Mülheims erste Bundestagsabgeordnete Gisela Praetorius

Die CDU-Politikerin Gisela Praetorius (1902-1981) | Quelle: Stadtarchiv

von: Thomas Emons

Ministerpräsidentin, Oberbürgermeisterin, Bundeskanzlerin. Alles schon mal dagewesen. Und doch bleibt die Gleichberechtigung der Geschlechter in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft bis heute ein Thema. Als die Christdemokratin Gisela Praetorius 1953 als erste Frau für Mülheim in den zweiten Deutschen Bundestag gewählt wurde, waren Frauen in der Politik noch die Ausnahme. Mit der christdemokratischen Juristin Dr. Elisabeth Schwarzhaupt sollte erst 1961 erstmals eine Frau, in ihrem Fall als Bundesgesundheitsministerin, Teil einer Bundesregierung werden. Dank der vier Mütter des Grundgesetzes, Elisabeth Selbert, Helene Müller, Helene Wessel und Frieda Nadig war die Rechtsgleichheit von Frau und Mann damals seit vier Jahren im Artikel 3 des Grundgesetzes verankert.

Aber die gesellschaftliche Wirklichkeit sah noch anders aus. Von Rechtswegen war der Ehemann und Vater das Oberhaupt der Familie. Nur mit seiner Zustimmung durften Ehefrauen und Mütter ein eigenes Konto eröffnen oder einen Arbeitsvertrag unterschreiben. Und nichtverheiratete Paare bekamen weder ein Hotelzimmer, geschweige denn eine Wohnung. Das sollte sich erst Mitte der 1970er Jahre ändern.

Vor diesem gesellschaftlichen Hintergrund trat die damals 51-jährige CDU-Landtagsabgeordnete Gisela Praetorius am 6. September 1953 bei der zweiten Bundestagswahl im Wahlkreis Mülheim an. Der wurde damals von dem Sozialdemokraten Otto Striebeck in Bonn vertreten. Die aus Ostdeutschland stammende Berufsschullehrerin und fünffache Mutter hatte sich dort vor allem um die Jugend und Familie gekümmert. Gisela Praetorius, die in den 1920er Jahren an der Berliner Hochschule für Politik studiert hatte und ihr Mann, der Pfarrer Wilhelm Praetorius, gehörten während der NS-Zeit zur regimekritischen Bekennenden Kirche und standen deshalb unter ständiger Beobachtung und Repression der Geheimen Staatspolizei.

Vor allem die Erfahrung der NS-Diktatur und die von den deutschen Christen fast widerstandlos hingenommene Verfolgung und Ermordung ihrer jüdischen Nachbarn motivierte Prätorius dazu, nach dem Kriegsende in der CDU politisch aktiv zu werden, die sich, anders als die Zentrumspartei der Weimarer Republik, als überkonfessionelle christliche Volkspartei aufgestellt hatte. Neben Christ-, Sozial- und Freien Demokraten standen bei der zweiten Bundestagswahl am 6. September auch die 1956 vom Bundesverfassungsgericht verbotene Kommunistische Partei Deutschlands, die konservative Deutsche Partei, die Gesamtdeutsche Volkspartei und der Bund der Heimatvertriebenen und Entrechteten auf dem Wahlzettel.

Zwar konnten die Christdemokraten auf Bundesebene vom einsetzenden westdeutschen Wirtschaftswunder und von ihren populären Spitzenkandidaten, Bundeskanzler Konrad Adenauer und Bundeswirtschaftsminister Ludwig Erhard profitieren. Hinzu kam, dass der von der Roten Armee und der SED am 17. Juni 1953 blutig niedergeschlagene Volksaufstand in der DDR Adenauers Politik der Westbindung in der Öffentlichen Meinung als alternativlos erscheinen ließ. Doch in Mülheim rechnete niemand mit dem Sieg der damals in Düsseldorf lebenden Christdemokratin Praetorius. Denn bei der Kommunalwahl 1952 hatten die Mülheimer Sozialdemokraten mit ihrem beliebten Oberbürgermeister Heinrich Thöne die politischen Früchte des Wiederaufbaus einfahren können. Sie waren mit 46,9 Prozent der Stimmen zur stärksten Partei geworden, während die CDU mit 27,2 Prozent der Stimmen abgeschlagen auf Platz zwei der Wählergunst gelandet war.

Doch am Wahlabend des 6. September 1953 konnte Gisela Praetorius mit 42,6 Prozent der Erststimmen das Mülheimer Direktmandat gewinnen. Der amtierende SPD-Bundestagsabgeordnete Otto Striebeck ging diesmal mit 40,9 Prozent der Stimmen nur als zweiter durchs Ziel. Auch bei den Zweitstimmen hatten die Christdemokraten mit 40,5 Prozent die Nase vorn. Die Sozialdemokraten errangen 39,8 Prozent der Zweitstimmen und folgten mit knappem Abstand auf Platz zwei.

Die Mülheimer Christdemokraten chauffierten ihre unerwartete Wahlsiegerin mit einer Autokolonne zum Gesellenhaus an der Pastor-Jakobs-Straße und ließen dort bei ihrer Wahlparty die Sektkorken knallen.

Für Gisela Praetorius blieb das Mülheimer Bundestagsmandat nur ein politisches Intermezzo. Bei der dritten Bundestagswahl schickten die Mülheimer Christdemokraten ihren Kreisvorsitzenden Max Vehar ins Rennen um das Mülheimer Direktmandat, dass dieser mit nur 844 Stimmen Vorsprung gewinnen sollte. Gisela Praetorius wechselte 1958 als Abgeordnete erneut in den Landtag. Sie starb 1981 im Alter von 79 Jahren. Bis heute sind Gisela Praetorius und Max Vehar die einzigen Christdemokraten geblieben, die das Mülheimer Direktmandat gewinnen konnten. Max Vehar, Helga Wex, Andreas Schmidt und Astrid Timmermann-Fechter sind später jeweils über die Landesliste der CDU in den Deutschen Bundestag eingezogen.

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