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Das Schulwesen in Mülheim

Quelle: Stadtarchiv

Von: H.D. Strunck

400 Jahre Schule in Mülheim

Wenn wir von den frühen Schulverhältnissen unserer Heimatstadt sprechen, so müssen wir uns rund 400 Jahre zurückversetzen. Das Dorf Mülheim mit seinen sieben Honschaften hatte am Ende des 16. Jahrhunderts vielleicht 5.000 bis 6.000 Einwohner, die weit verstreut über das Gebiet der Herrschaft Broich, zumeist in der Nähe von Höfen, wohnten. Für diese Zeit gilt es zu berücksichtigen, dass der Krieg mit Mord und Raub den Alltag der Menschen bestimmte. Die Bevölkerung war weitgehend ungebildet, im heutigen Sinne. Selbst den Schöffen und den „Ältesten“, die aus den „vornehmen“ Kreisen der Gemeinde gewählt wurden, wird teilweise bescheinigt, dass sie des „Schreibens unerfahren“ waren. In den Mitgliedsverzeichnissen umliegender Hochschulen kamen Mülheimer Namen kaum vor.

Erste Schulordnung von 1425

Es ist bekannt, dass es bereits 1425 eine Schulordnung gab; ob sie allerdings auch in hiesigen Landen Gültigkeit hatte, ist nicht überliefert. Hans Koetzier schreibt im Mülheimer Jahrbuch 1952 u.a.: Nach der Schulordnung von 1425 konnten schon Knaben, die das achte Lebensjahr vollendet hatten, in die Lateinschule aufgenommen werden. Die Lehrer, Rektoren und Conrektoren durften wohl ausnahmsweise Unterricht in den Volksschulen, nicht aber die Lehrer der Volksschulen in den Lateinschulen unterrichten…. In einer „Sammlung preußischer Gesetze und Verordnungen 1425 – 1818“ findet sich folgender Hinweis aus dem Jahre 1537: Disse und andere nutzliche Statuta, die zu Gottes Ehre, Erbar Sitten, Zucht und guten Exemplen, dienstlich sein, und das die Jugendt ehrlich zur Kirchen gehe, Predigt höre, nicht Fluche, Lesterlichen rede, Füllerey und Buzucht meide, gebührliche Kleider, biß unter die Knie, nicht zerbawen oder sonst zu prechtig trage, und was mehr zu der Schulordnung gehörig und nötig, Werden unsere Visitatores neben dem Rathe, Pfarrer und Schulmeister, nach eines jeden Ortesgelegenheit, mit hülffe des Allmechtigen, zumachen und anzurichten wissen.

Die Reformation und deren Folgen

Wir können davon ausgehen, dass durch die Reformation ein grundlegender Wandel in der Gesellschaft eintrat, der auch den Bildungseifer weiter Bevölkerungskreise erfasste. Die Erfindung des Buchdrucks erleichterte den Unterricht zudem wesentlich. In der Reformation wird die Forderung laut, allgemeine Schulen für Jungen und Mädchen einzurichten. Grundlegend ist Martin Luthers Schrift „An die Ratsherren aller Städte deutschen Landes, dass sie christliche Schulen aufrichten und halten sollen“ (1524). Diese Forderung fand naturgemäß in den protestantischen Landesteilen Gehör, also in den meist evangelischen Reichsstädten und in den lutherischen Fürstentümern. (Wikipedia).

Wo stand das erste Mülheimer Schulhaus?

Um eine Frage vorweg zu nehmen: Wo auf Mülheimer Gebiet das erste Schulhaus stand, wissen wir nicht. Sicher werden wir es auch nicht mehr erfahren. Viele der alten Unterlagen sind im Laufe der Jahrhunderte vernichtet worden oder verschwanden auf andere Weise. Zwar können wir einer Saarner Chronik von 1825 entnehmen, dass es im Zeitraum von 1300 bis 1400 in einem Teil des Saarner Klosters eine „Kinderschule“ gegeben habe, die unabhängig von allem vom Kloster besorgt wurde. Historisch belegt ist das nicht. Ebenso bleibt unklar, was eine Kinderschule war, unabhängig davon, dass Klöster schon immer ein Hort der Bildung und Kultur waren. Auch Wilhelm Dietz berichtet im Mülheimer Jahrbuch von 1958, dass nach mündlichen Überlieferungen im Kloster Unterricht erteilt worden sein soll. Abgeleitet wird dies aus einem Vermächtnis, das allerdings erst aus dem Jahre 1755 stammt. In der „Denkschrift zur Hundertjahrfeier der Stadt Mülheim an der Ruhr 1908“ finden wir einen weiteren Hinweis auf solche Einrichtungen:

Die Verwahr- und Kleinkinderschulen

Als eine Veranstaltung für Kinder im vorschulpflichtigen Alter sind die hier bestehenden Bewahr- oder Kleinkinderschulen erwähnenswert. Ursprünglich ein Privatunternehmen der Witwe Anna Luhr um 1695, baute sich die Anstalt im Laufe des verflossenen Jahrhunderts durch die Bemühungen der ev. Pfarrer Keller und Stursberg zu drei verschiedenen Schulen aus, die in eigenen Gebäuden in der Hagedorn- und Löhstraße, sowie im ev. Vereinshause untergebracht wurden. Augenblicklich werden die beiden erstgenannten Schulen noch unterhalten: seit einigen Jahren trat auch eine katholische Kleinkinderschule hinzu. Diese Schulform taucht später nicht mehr auf. Ob daraus die späteren „Kindergärten“ erwuchsen, wissen wir nicht.

Lateinschule des Grafen Wirich VI.

Belegt ist, dass der Broicher Graf Wirich VI. von Daun-Falkenstein 1592 eine Lateinschule gründete, an der Lehrer Georg Wilck (gebürtig aus Greifenberg in Schlesien) alte Sprachen, Geschichte und Mathematik lehrte. Wilck war zuvor in Elberfeld tätig und hatte seinen Namen lateinisiert; er nannte sich hier Georgius Wilckius Gryphorius Silesius. Die Berufung zum Rektor dieser Schule erfolgte vermutlich um 1595. Vom Schicksal des Lehrers wissen wir einiges, von der Schule selbst wenig. Sicher war diese Einrichtung nicht für die Allgemeinheit gedacht. Es ist anzunehmen, dass sie 1598, als die Spanier den Grafen heimtückisch ermordeten, wieder geschlossen wurde. Wilck zog zurück nach Elberfeld.. Vom Grafen selbst wird berichtet, dass Wirich VI. zusammen mit seiner Schwester Magdalena auf Schloß Broich schulische Bildung von einem Schulmeister Heinrich genoss und von 1557 bis 1559 auch Schulen in Duisburg und Düsseldorf besuchte. Wenn es um diese Zeit höchstwahrscheinlich auch schon schulische Einrichtungen in Mülheim gab, für breite Bevölkerungsschichten werden sie keine Bedeutung gehabt haben. Auch als Graf Wirich VI. 1584 dem Mülheimer Pastor „Amtspflichten“ aufgab, ist von Überprüfung und Förderung der Schulen nicht die Rede.

Das Schulwesen als Handwerk

Das „Schulhalten“ galt eben als Handwerk wie jedes andere auch. Wenn aber bereits 1611 die Mülheimer auf der ersten Versammlung der Duisburger Synode den jämmerlichen Zustand der hiesigen Schulen beklagen, so ist es ein Beleg für „Schulen“ in unserer Stadt. Es darf daraus aber nicht geschlossen werden, dass es Schulgebäude gab. Der Unterricht der damaligen Zeit war eine Veranstaltung der Kirchengemeinde in so genannten „Pfarrschulen“ oder wurde in den Honschaften – als Neben- oder Hofschulen – in Bauernstuben oder gar Backhäusern erteilt. Aus dem Jahre 1623 ist eine Leichenprozessionsordnung überliefert, in der u.a. festgehalten wurde: Ordnung und Procession Gehalten bey begräbniß weilandt des Hochwohlgebornn Graffe nun Herren Johann Adolf von Dhaun, Grafen zu Falkenstein, Herrn zu Oberstein und Bruch etc. Meinen gnädigen Herren. 1. Sein die Schöler vorgangen, haben gesungen d. 92. psalm. 2. Ist gefolgt der Rector, nebens seinem College. 3. Sein gegangen der Pastor und Capellan. Interessant ist, dass unter den Kirchenältesten der damaligen Zeit schon ein „Meister Adam Romswinkel“ anzutreffen war. „Meister“ war die damals übliche Bezeichnung für einen Lehrer. Aus dem Jahre 1655 liegt ein Zeugnis des Richters Caspar Bergfeld über den Schulmeister Clemens Busch vor, welcher der Schule zu Mülheim zweieinhalb Jahre neben seinem Kollegen vorgestanden habe und sich anderweitig niederlassen wolle. „Er habe die liebe Jugend im Rechnen, Schreiben und Lesen unterrichtet, sich wohl verhalten und verdiene eine Verbesserung.“ (Redlich)

Neubeginn nach dem 30-jährigen Krieg

 Nach dem Ende des verheerenden 30-jährigen Krieges galt es, ein Gemeinwesen erst einmal wieder aufzubauen. In den Versammlungen der Synodalen wurde die Unwissenheit der Menschen in der christlichen Lehre beklagt. Hiermit gab man den Schulen Gelegenheit, dem Übelstand abzuhelfen. Für Mülheim an der Ruhr wenigstens dürfen wir die Tatsache festhalten, dass der Pietismus, der mit Theodor Under Eyck in die Gemeinde eindrang, die Schule in besonderer Weise zu einer Einrichtung der kirchlichen Gemeinde machte und sie damit in der Achtung mehr und mehr aus dem Niveau des Handwerks heraushob. (Heinrich Forsthoff) 1662 wird der Mülheimer Prediger Theodor Under Eyck vom Broicher Grafen zum „Schulinspektor“ ernannt. 1663 legt er dem neu ins Leben gerufenen Kirchenrat seine Reformpläne vor, die dann 1684 zu einer „Schulordnung“ durch Arnold Siebel führten. Der Kirchenrat bestand aus den Predigern, sieben Ältesten (aus jedem der Hörner einer), zwei Kirchenmeistern und zwei Armenprovisoren. Wie wir den Protokollen dieses Kirchenrates entnehmen können, hat er sich oft mit den Angelegenheiten der Schulen und Lehrer befasst. Zum Beispiel: 1665, den 11, Junij: Demnach die Eltesten nit alle Zusammen gewesen sein, so ist gleichwohl dieses folgender gestalt beschloßen worden §3 Steine, Kalck undt alle Zubehör beyeinander zu schaffen, die schull allhie Zu verfertigen…wirdt dem zeitlichen Kirchmeister und Eltesten dieses Dorffs Mülheim anbefohlen. Dabei wird es sich um den Bau der ersten, der „alten Schule“ an der Kirchtreppe handeln. Anmerkung: Es ist das Verdienst von Jens Heckhoff und des Mülheimer Geschichtsvereins, die Konsistorialprotokolle der Evangelischen Kirchengemeinde Mülheim an der Ruhr (1663 – 1706) als Buch der Öffentlichkeit zugänglich gemacht zu haben (Heft 88/2014).

Spenden der Bevölkerung zum Erhalt der Schulen

Der Unterhalt von Schulen wurde durch die Kirchengemeinde getragen. Sie konnte dabei auch auf Opfergaben der Bevölkerung zählen. Nicht nur mit der „letztwilligen“ Verfügung stifteten die Menschen zu Gunsten der Armen und Schulen. Selbst so genannte „kleinere Leute“ gaben Geld zum Erhalt der Schulen oder als Zulage für den Lehrer. So lesen wir zum Beispiel, dass N. Scheiken am 29. Januar 1679, Knecht bei Hermann Lours in Mellinghofen, je 50 Reichsthaler für die Armen und die Heißener Schule hinterlassen hat. Der Kirchenrat überwachte auch die tatsächliche Zahlung, mahnte an und verwaltete das Geld. Allerdings war der „Reichtum“ ungleich verteilt. Als arm galten die Schulen in Dümpten, Heißen und Menden, während die in Styrum, Holthausen, Eppinghofen, Saarn, Speldorf und im Dorf Mülheim weitaus besser gestellt waren. 1686 lesen wir in den Konsistorialprotokollen: Es ist geschehen eine abtheilung der gelder Von der Wittiben Wintgens Zu Duißburg unseren Schulen anno 1675 Verehret, wie oben in actis gehaltenen Conventus Consistorialis anno 1685 den 4. April [is] § 1 ist protocolliret: und ist itzo von denselben jährlichs und alle jahr Zugelegt (1) der schule Zu Sarn 45 stüber (2) der schule Zu Speldorff 45 stüber (3) der schule Zu Styrum 45 stüber (4) der schule Zu Dümten 22 ½ stüber (5) der schule Zu Ebbinghoven 1 tahler (6) der schule Zu Heißen 45 stüber (7) der schule Zu Menden 22 ½ stüber (8) der schule Zu Mülheim 1 tahler (9) der schule Zu Holthausen 15 stüber. Daraus ergibt sich, dass zur damaligen Zeit schon neun „Schulen“ bestanden, die durch die reformierte Gemeinde finanziert wurden. Klar ist, dass um die Mitte des 17. Jahrhunderts erste Gebäude errichtet wurden, die alleine der schulischen Erziehung dienten. Von Elementar- oder Volksschulen im späteren Sinne wird 1664 in Heißen, 1667 in Eppinghofen, 1672 in Styrum und 1686 in Saarn berichtet. Kommen wir zurück zum Kirchenrat, welcher der „Motor“ zur Schulentwicklung war.

Die Schulordnung des Pastors Arnold Siebel

Pastor Arnold Siebel hatte 1682 eine „Schulordnung“ erstellt, die mit Unterstützung des Kirchenrates 1684 umgesetzt wurde: 10. Augusti: $7: Die aufgesetzte Schulregulen Seind Verlesen Und approbiret worden sollen ein Jeden Schulmeister communicieret Werden, Wobey auch Ratsam erachtet dieselbe Von Wort zu Wort Zur künftigen Beständigen Nachricht dem Kirchenbuch einzuverleiben. (Es folgen 23 Punkte) Peter Schick, Mitglied im Mülheimer Geschichtsverein, hat dazu u.a. folgenden Beitrag veröffentlicht: Die Grafen von Broich standen den ersten Schulen…gleichgültig gegenüber. Wahrscheinlich betrachteten sie es als höchst überflüssig, dass die Kinder der Untertanen in Lesen und Schreiben ausgebildet wurden, in Künsten, die sie selber nur unvollkommen beherrschten.

 Deshalb halfen sie auch nicht bei der Errichtung und Ausstattung der ersten Schulen oder steuerten zur Besoldung der Schulmeister bei. Diese Besoldung musste von den Eltern der Kinder und von der Kirchengemeinde aufgebracht werden. Von daher ist es nicht verwunderlich, dass die erste Mülheimer Schulordnung nicht aus der Broicher Kanzlei erlassen wurde, sondern von einem reformierten Geistlichen verfasst wurde: Arnold Siebel, von 1672 bis 1687 Pfarrer in Mülheim, brachte diese Schulordnung – bezeichnender Weise 2 Jahre nach Wilhelm Wirichs Tod im Jahr 1682 – im Einvernehmen mit dem Kirchenrat heraus. Dieser Kirchenrat hatte die Schulordnung 1684 eingehend geprüft und bestimmt, dass sich alle Kinder und Schulmeister danach zu richten haben. Die Schulordnung hat 23 Punkte und befasst sich zunächst mit der Unterrichtszeit. Von 8 bis 11 Uhr vormittags und von 12 bzw. 1 bis 4 Uhr nachmittags wurde unterrichtet. Mittwochs und samstags musste die Schule von 8 bis 1 Uhr besucht werden. Die Schulmeister in den Honschaften durften den Unterricht am Freitag ganz oder teilweise ausfallen lassen, um der Wochenpredigt beiwohnen zu können. Die Zahl der täglichen Unterrichtsstunden betrug also bis zu sieben, die Wochenstunden im Dorf Mülheim bis zu 38

Eröffnung des Unterrichts mit einem Gebet

Der Unterricht wird mit einem Gebet eröffnet. Wer danach kommt, hat sich zu entschuldigen. Können für die Verspätung keine genügenden Gründe angeführt werden, wird das Kind bestraft. Doch wird der Lehrer darauf verwiesen, die Verhältnisse zu berücksichtigen. Auch soll man schlechtes Wetter in Betracht ziehen. Ferner wird darauf aufmerksam gemacht, dass bei weiten Entfernungen die Glocke, die den Beginn des Unterrichts anzeigte, überhört werden könnte. Versäumnis des Unterrichts ohne Gründe wird bestraft, besonders dann, wenn die Kinder eigensinnig und mutwillig die Schule schwänzen. Beim Austreten hat der Lehrer darauf zu achten, dass die Schüler nicht zu lange ausbleiben und draußen kein Allotria treiben. Der Schulbetrieb ist einfach, verglichen mit dem Lehrstoff aus allen möglichen Wissensgebieten, den heute schon die Volksschulen vermitteln. Ganz besonderes Gewicht aber wird auf fleißiges Katechisieren gelegt. Die Schulmeister sollen die Kinder „mit allem Sanftmut und Bescheidenheit und unverdrossenem Eifer“ zu wahrer Erkenntnis, zur Furcht und Liebe Gottes führen. Es wird von den Lehrern und ihren Angehörigen ein unsträflicher, stiller, christlicher und erbaulicher Lebenswandel verlangt.

Charaktereigenschaften der Lehrer

Die Schulmeister haben sich zeitig in der Schule einzufinden und dürfen sich nur dann, wenn es unbedingt nötig ist, der Hilfe größerer Kinder oder anderer Personen zum Anlernen der kleinen Kinder bedienen. Den Lehrern kann nicht gestattet werden, dass sie nach eigenem Gefallen neue Bücher in der Schule einführen. Es sind die üblichen Lehrbücher zu benutzen. Sollte aber in einem Buche etwas Anstößiges sein, so ist es auszutilgen oder das ganze Blatt auszureißen. Der Schulmeister wird angehalten, die Kinder in strenge Zucht zu nehmen. Faulheit und Ungehorsam, Lügen, Stehlen und Fluchen, ungebührliche Worte, Zanken und Balgen, Stoßen und Schlagen müssen „scharf und ernstlich, doch nicht in auflaufendem Zorn und mit Verschonung des Hauptes und Angesichts“ bestraft werden. Die Lehrer sollen auch außerhalb der Schule ein Auge auf ihre Kinder haben und sie zu Reinlichkeit, Höflichkeit und Sittsamkeit anhalten. Die Kinder sind darauf hinzuweisen, dass sie Personen der Obrigkeit, Predigern, Ältesten, Vorstehern der Gemeinde und besonders den alten Leuten durch Hutabnehmen und Verneigen die gebührende Achtung erweisen. Der Schulmeister hat die Verpflichtung, an Sonn- und Feiertagen am Gottesdienst teilzunehmen. Die Kinder sind „fein ordentlich und in aller Stille“ in die Kirche zu führen und zu ermahnen, sich dort aufmerksam, still und andächtig zu verhalten. Nicht minder interessant ist das Fazit, das der Verfasser in diesem Zeitungsartikel 1939 zieht: Die Schulordnung leuchtet in eine Zeit, als die Schule noch ganz auf kirchliche Zwecke zugeschnitten war. Sonntags und werktags mussten die Schulmeister im Dienst von Kirche und Schule tätig sein. Für ihre persönlichen Angelegenheiten werden sie kaum Zeit übrig gehabt haben. Ferien scheinen damals noch ein unbekannter Begriff gewesen zu sein; wenigstens sind sie in der Schulordnung nicht erwähnt. Was Zucht und Ordnung anbelangt, war der Schulbetrieb vor 250 Jahren aber schon mustergültig. Der Unterricht selbst vermittelte dagegen nur ein bescheidenes und dürftiges Wissen.

Schule und Bildung – ein Entwicklungsprozess

Doch können wir die Schule vor 250 Jahren nicht mit heutigen Augen betrachten. Sie war ein Kind ihrer Zeit und hat das Verdienst, die erste Grundlage für Schulen gebildet zu haben, die sich in unserer Zeit zu erstklassigen Lehranstalten entwickelten. Soweit bekannt, stand der Graf von Broich dem Schulwesen gleichgültig gegenüber. Dies, obwohl er 1670 bereits zweimal hintereinander (26. April und 11. Mai) ein „Verbot des Konventikelwesens (Quäker)“ erließ: „Alß will Unß als Ihrer von Gott vorgesetzter Obrigkeit obliegen und gebühren, dem gefährlichen, einschleichenden Werk bey Zeiten vorzukommen, deßwegen allen Schuldiehnern /: vorbehaltlich deme in Unßerem Dorff Mülheimb, dahin Sie inßgesambt bis auf weitere Verordnung hingewießen werden:/ bey Poen 50 Goltgl. befehlent, mit ihrer Lehr- und Ampt einzuhalten, biß Wir sie erst durch gelehrte Leutte examinieren lassen, ob ihre Lehr Gotteß Wortt und der reformirten Kirchen conform und ähnblich;

Schulaufsicht durch die Herren von Broich

Eine Aufsicht in Schulsachen stand ausschließlich dem Herrn von Broich zu. So verordnete dieser am 26. April und 11. Mai 1670 ein Examen der Schullehrer. Er setzte im Jahre 1670 einen Schullehrer zu Eppinghofen ab und einen anderen an dessen Stelle. Er verbot am 22. September 1738, 10. April und 12. Mai 1739, 23. Juli 1740 und 13. Januar 1756 die Winkelschulen (Privatschulen). Von ihm mussten die von der Gemeinde erwählten Schullehrer ihre Bestätigung erhalten (lt. Kirchenordnung 1675,1672,1739,1769,1775). In den letzten Zeiten vor 1806 wird jedoch die Bestätigung der Schullehrer bei der Herrschaft nicht mehr eingeholt. In Mülheim wählte und bestellte das Konsistorium allein die Schullehrer; alle Mitglieder unterschrieben die Berufsurkunde. In allen übrigen Honschaften wurden sie von den Einwohnern und dem Vorsitzenden der Kirchenbehörde gewählt. Nach der Wahl erteilte das Konsistorium dem Schullehrer eine Berufsurkunde, unterschrieben von den Pfarrern, den Kirchenältesten und etlichen Deputierten der Honschaft. Allem Anschein nach ist nur in jüngerer Zeit während der Abwesenheit der Broicher Herrschaft der Brauch eingerissen, die Bestätigung der Schullehrer durch diese einzuholen, denn seit der französischen Okkupation musste auch hier zur Anstellung eines Schullehrers die Genehmigung im Einzelfall durch die großherzoglichen und seit der königlich-preußischen Regierungszeit durch königliche Behörden eingeholt werden.

Erste Schule für katholische Kinder 1757

Steigende Bevölkerungszahlen in den folgenden Jahrzehnten machten den Neubau vieler Schulen erforderlich. Mitte des 18. Jahrhunderts waren überall in Mülheim Schulen nachweisbar und mit der Industrialisierung im 19.Jahrhundert stieg die Anzahl der Einwohner und damit die Anzahl der Schulen. Auch wenn bis 1800 der Anteil der katholischen Bevölkerung gering war, wurde 1757 die erste Schule für die Kinder katholischen Glaubens auf dem Kirchenhügel errichtet. Die Schule befand sich etwa dort, wo heute der Turm der Marienkirche steht. Nachdem die reformierte Gemeinde 1783 die vorgenannte „Alte Schule“ verkauft hatte, erwarb sie das Grundstück am so genannte „Schlüter’sche Erbe“. Es lag zwischen Hölle und Marienkirche. Diese zweite evangelische Schule (zweiklassig) an der Petrikirche, bestand bis 1835 und wurde dann von der Notwegschule abgelöst. Neben den Schulen der reformierten Kirchengemeinde errichtete die lutherische Gemeinde in der Delle neben der neuen Kirche 1793 eine eigene Schule. Entsprechend war die Entwicklung der Schulen in den Vororten. Wilhelm Dietz berichtet darüber im Jahrbuch 1952 u.a. wie folgt:

Änderung des Schulwesens durch Napoleon

 Eine grundlegende Änderung der Mülheimer Schulverhältnisse trat unter der Verwaltung der Franzosen im Jahre 1808 ein. Nicht nur, dass das Kirchspiel Mülheim a. d. Ruhr zur Stadt erhoben wurde, sondern die rechtliche Stellung der Volksschule wurde auf anderen Grundlagen aufgebaut. Man hatte erkannt, dass die kirchlichen Gemeinden sich nur der Pfarrschulen annahmen, die Honschaftsschulen oder Nebenschulen aber sich selbst überlassen wurden und dadurch verkümmerten, weil die kleinen Landgemeinden bzw. Höfe für Bauten und Gehalt nicht leistungsfähig waren Darum befreite die französische Verwaltung die kleinen Schulträger von der allgemeinen Schulverpflichtung und legte die Lasten der Schulbauten und der Unterhaltung auf die stärkeren Schultern der bürgerlichen Gemeinden, wobei für die Schulinteressenten nur das monatliche Schulgeld bestehen blieb…..

Das preußische Volksschulwesen

 Von grundlegender Bedeutung für das preußische Volksschulwesen waren das Schulaufsichtsgesetz vom 11.03.1872 (dieses Gesetz war Ausfluss des Kulturkampfes, den Preußen vornehmlich gegen die katholische Kirche führte. Mit der Übernahme der Schulaufsicht sollten die Kirchen Macht und Einfluss verlieren) und für das Volksschulwesen in Mülheim die Schulordnung für die Stadt Mülheim a. d. Ruhr vom 22. 12. 1873. Damit gewannen die bürgerlichen Gemeinden den schulischen Einfluss, der ihnen als Schullastenträger zustand. Die Mülheimer Schulordnung regelte und bestimmte die Zusammensetzung der örtlichen Schulbehörden, der Schulkommission und der Schulvorstände. Die Schulordnung betont in Artikel I, dass die vorhandenen Schulen „Anstalten der Stadt Mülheim a. d. Ruhr sind, die die Stadt nach Artikel II erhält und verwaltet unter der unmittelbaren Aufsicht der Kgl. Regierung.“ Es würde zu weit führen, all die einschlägigen Änderungen und Bestimmungen hier anzuführen, sie sind zu umfangreich. Doch eine, für die Mülheimer Verhältnisse interessante Bestimmung und Durchführung soll nicht unerwähnt bleiben, sie betrifft die Schulvorstände. Sie setzten sich seit 1873 zusammen aus einem Lokalschulinspektor und zwei Bürgern der Stadt. Dabei blieb es, bis 1900 die Pfarrer der evangelischen Gemeinde wegen Überlastung mit Amtsgeschäften bei der Kgl. Regierung den Antrag stellten, die Ortsschulinspektion den Hauptlehrern der betreffenden Systeme zu übertragen, wogegen die zuständigen Bezirkspfarrer in den Schulvorstand eintreten sollten. Die Regierung entsprach diesem Antrag dahin, dass die Hauptlehrer der Schulen im Nothweg, in der Bergstraße, am Rahmen und in der Heißener Straße zu Rektoren und Ortsschulinspektoren der betreffenden Schulen ernannt wurden. In den späteren Jahren folgten weitere Systeme, und damit trat der Rektor als Schulleiter der Mülheimer Volksschule ins Licht der neuen Regelung.

Der Staat übernimmt die Schulaufsicht

Seit 1872 übte die Regierung ihre staatlichen Schulaufsichtsrechte durch eine Kreisschulinspektion und durch die Lokalschulinspektion aus. Dieser staatliche Auftrag an die Stadtschulinspektion wurde durch Ministerialerlass vom 8. Mai 1883 zurückgezogen und die staatliche Schulaufsicht am 01. 01. 1884 einem Kgl. Kreisschulinspektor übertragen. Letzter Kgl. Kreisschulinspektor war bis kurz vor dem 1. Weltkrieg Schulrat Dr. Heidingsfeld. Zurück in der Zeit: 1819 sind in der Herrschaft Broich gemeldet: 11.057 Evangelische (Reformierte und Lutheraner) 2.546 Katholiken 208 Juden. Schulen sind in der Herrschaft folgende: in der Stadt Mülheim vier Bürgerschulen, eine Knaben- und Töchterschule der Reformierten, eine Knaben- und Töchterschule der Evangelischen Augsburger Konfession, eine Knaben- und Töchterschule der Katholiken. Die Juden in Mülheim haben einen Privatlehrer. In den fünfzehn Ortschaften finden sich elf Volksschulen.

Die Preußen gründen die Schulpflicht

1826 erließ die preußische Regierung die allgemeine Schulpflicht, der allerdings in manchen Orten mehr zögerlich gefolgt wurde. 1871 erstrebte die Stadtverwaltung gegen den Protest der Kirchengemeinde die Bildung einer Bürgerschule, um begabten Kindern, die weder Realschule noch Gymnasium besuchen wollten oder konnten, eine weitergehende Bildung zu vermitteln. Am 03. Januar 1871 wurde diese Schulgattung im Schulgebäude Auerstraße mit 234 Schülern eröffnet. Die Bürgerschule sollte aus fünf Klassen bestehen, von denen die 3., 4. und 5. Klasse dem bestehenden Elementarschulsystem in der Schule am Notweg entsprechen sollte. Die 1. und 2. Klasse dagegen sollte dazu dienen, die Unterrichtsgegenstände der Elementarschulen zu erweitern… Die drei unteren Klassen sollten für Kinder beiderlei Geschlechts, die beiden oberen Klassen nur für Knaben sein. Die Aufnahme in eine der beiden oberen Klassen konnte nur aufgrund einer bestandenen Prüfung geschehen. Der Kursus für jede der beiden oberen Klassen war ein zweijähriger. An Schulgeld für die die drei unteren Klassen wurde von jedem Kinde monatlich 5 Sgr., später 7 ½ Sgr. erhoben. Das monatliche Schulgeld für die beiden oberen Klassen war nach der Klassensteuer abgestuft und betrug zwischen 7 ½ Sgr. und 1 Tlr. (Thaler). 1873 wurden in Mülheim an der Ruhr die Schulen durch eine „Schulordnung“ zu Anstalten der Stadt Mülheim an der Ruhr erklärt. Die Kosten dieser städtischen Schulen waren durch den Gemeindeetat mit den übrigen Gemeindelasten aufzubringen. 1894 erfolgte nach langen und schwierigen Verhandlungen die Übertragung der evangelischen Schule von der Kirchengemeinde Saarn auf die politische Gemeinde Saarn, die ja – neben Broich und Speldorf – Teil der Bürgermeisterei Broich war. Die Kirchengemeinde hatte sich über einen langen Zeitraum der Übertragung widersetzen können. Die Kirchengemeinde Saarn erhielt mit der Übertragung, durch die sie ja künftig nicht mehr die Kosten des Schulbetriebes aufzubringen hatte, 9.114 Mark Entschädigung.

Neue  Rechtschreibung ab 1902  

Die „große Schulkonferenz“ 1901 beschloss (für das Deutsche Reich), dass ab 1902 eine neue Rechtschreibung eingeführt werden sollte. Zu der Neuregelung gehörte u.a. der Wegfall des „th“ in Thür, lediglich das Wort „Thron“ wurde aus Respekt gegenüber dem Herrscherhaus auf Bitten des Prof. Duden weiterhin mit th geschrieben. Vom 01. April 1908 an schrieb das Schulunterhaltungsgesetz vor, dass die bisherigen (kirchlichen) Schulvorstände durch Schuldeputationen, die sich aus den Lehrpersonen bildeten, ersetzt wurden. Wir wissen heute, dass das Schulwesen, seine Inhalte und Methoden einem dauernden Prozess unterliegt, der auch und im Besonderen durch politische Einflüsse geprägt wird. Insofern bildet die Zeit vor dem ersten Weltkrieg einen gewissen Abschluss in der Entwicklung – nicht nur für unsere Stadt.

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