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Der Mülheimer Musikdirektor Hubert Engels

Hubert Engels, Quelle: Stadtarchiv Mülheim an der Ruhr

Von: Jens Roepstorff

Am 2. August 1824 wurde Hubert Engels in Bonn als Sohn des Klavierbauers Peter Engels und seiner Frau Sibilla Demmer geboren. Schon als Kind zeigte er musikalisches Talent, wurde im Geigenspiel unterrichtet und studierte anschließend Musik (Violine und Musiktheorie) an den Konservatorien von Berlin und Paris. Zu seinen Lehrern zählten bekannte Geigenvirtuosen wie Karl Friedrich Rungenhagen, Ferdinand Ries sowie der Franzose Jean-Delphin Alard. Der Komponist und Dirigent Giacomo Meyerbeer urteilte über Engels nach dem Vorspiel eines Violinkonzertes von Ludwig Spohr, dass dieser „junge Künstler ein ausgezeichnetes Talent besitze, welches zu glänzenden Hoffnungen berechtige“.

Nach seinem Musikstudium war Hubert Engels als Gastsolist ein gefragter Mann und unternahm ausgedehnte Konzertreisen ins In- und Ausland. Die erste Festanstellung fand er 1849 als Konzertmeister in London, wo er auch seine englische Ehefrau Laura Howell kennenlernte. Nach einem dreijährigen Aufenthalt in England kehrte er zunächst ins heimische Bonn zurück, um sich dann 1853 als Privatlehrer für Violine, Gesang und Klavier in Mülheim an der Ruhr niederzulassen. Er bezog ein repräsentatives Wohnhaus auf dem Dudel, gelegen direkt neben der städtischen Bleiche. Mehr als 100 Jahre später – im Jahre 1971 – sollte sich durch einen Zufall die städtische Musikschule durch den Umzug in die ehemalige Villa Zarnikow in unmittelbarer Nachbarschaft des ehemaligen Engelschen Domizils ansiedeln.

 

Postkarte Gruss aus Mülheim Ruhr, Quelle: Stadtarchiv Mülheim an der Ruhr

Das Mülheimer Musikleben des Jahres 1853 war bescheiden und spielte sich eher im Privaten ab. Hausmusik war beliebt; zudem existierten mehrere Chöre und ein kleiner Instrumentalverein. Engels übernahm die Leitung des „Gesangsvereins für gemischte Stimmen“ und vereinte 1854 die „Allgemeine Liedertafel“ sowie den „Instrumental-Verein“ unter seiner Führung. Mit der Bündelung der vorhandenen Kräfte sowie der zentralen Planung von Veranstaltungen begründete Engels erstmals ein öffentliches Musikleben in Mülheim an der Ruhr, das es bis dahin in dieser Form nicht gegeben hatte. Dabei kooperierte er eng mit den Musikdirektoren der Nachbarstädte Duisburg, Düsseldorf und Essen. Er nutzte seine guten Kontakte in die Musikwelt und holte bekannte Solisten für Gastauftritte nach Mülheim. Die von ihm initiierte Reihe von „Symphonie-Concerten“ – ingesamt vier pro Jahr – erhielt dadurch ein entsprechendes Renommee.

Der Mülheimer „Kantor“, seine „Lady“ und ihr Gartenhäuschen, das hinter dem Engelschen Wohnhaus lag und als Unterkunft für die gastierenden Musiker diente, waren weit über die Stadtgrenzen hinaus bekannt. Zum Bekannten- und Freundeskreis von Engels zählten Persönlichkeiten wie der Düsseldorfer Musikdirektor Julius Tausch, der französische Geigenvirtuose Emile Sauret, der Dirigent und Musikpädagoge Ferdinand Hiller sowie der Komponist Felix Mendelssohn-Bartholdy. Eine flüchtige Bekanntschaft während eines Aufenthalts in München verband Engels mit Franz Liszt.

 

Casino Delle, Quelle: Stadtarchiv Mülheim an der Ruhr

 

Ferdinand Hiller, ein bekannter Dirigent und Komponist seiner Zeit, schrieb 1863 über seinen Freund und Musikerkollegen: „Herr Musikdirektor Engels ist mir als sehr ausgezeichneter Musiker bekannt. Tüchtiger Geiger, begabter kenntnisreicher Komponist, hat er sich namentlich auch als Leiter des Gesangvereins in Mülheim bewährt und mit den dortigen, aus Dilettanten bestehenden Kräften Aufführungen schwieriger Werke ermöglicht, die in Anbetracht der Verhältnisse vortrefflich genannt werden müssen und allen vernünftigen Ansprüchen genügten.“ Zu den anspruchsvollen Werken, die Engels mit seinen Mülheimer Sängern auf die Bühne brachte, gehörten etwa Haydns „Schöpfung“ und – als musikalischer Höhepunkt des Konzertjahres – die Aufführung von Beethovens Neunter Sinfonie am 28. August 1869. Das erst wenige Jahre zuvor gegründete Orchester der Stadt Düsseldorf sowie der Düsseldorfer Männergesangsverein wurden dabei als Unterstützung für die Mülheimer Sänger verpflichtet. Es war das erste Mal überhaupt, dass dieses monumentale Werk Beethovens in Mülheim an der Ruhr zu hören war – eine Premiere. Aufführungsorte für die Engelschen Veranstaltungen waren das Casino in der Delle, der Saal des Bürgervereins – die spätere Aula des Städtischen Gymnasiums – sowie der Saalbau von Mathias Kirchholtes, der von den Mülheimern wegen der dort veranstalteten Konzerte den Beinamen „Sinfoniescheune“ erhielt. Die zu dieser Zeit noch nicht vorhandene Stadthalle sollte nach der Fertigstellung und Eröffnung im Januar 1926 die bisherigen Spielstätten ablösen.

Hubert Engels musizierte mit allen Mülheimern und für alle Mülheimer ungeachtet des Bildungshintergrunds, wobei er sich seine Konzerte von den wohlhabenden Bürgern der Stadt – meist Mitglieder der Casino-Gesellschaft – finanzieren ließ. Der ihm 1879 verliehene Titel eines „Königlichen Musikdirektors“ darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass Hubert Engels keinesfalls durch die öffentliche Hand finanziert wurde. Das musikalische Leben in Mülheim war zu dieser Zeit eine rein private Angelegenheit. Nicht wenige der geldgebenden Mäzene spielten selbst ein Instrument. So trafen sich der Unternehmer Gerhard Küchen senior (Bratsche), der Augenarzt Johann Hermann Leonhard (Cello) und Hubert Engels (Geige/Klavier) regelmäßig zu hausmusikalischen Abenden.

 

Hubert Engels, Quelle: Stadtarchiv Mülheim an der Ruhr

 

Spannungen zwischen den einzelnen Musikvereinen wusste Engels mit Fingerspitzengefühl und der ihm eigenen ausgleichenden Art zu begegnen. So gab es eine ausgeprägte Rivalität zwischen der „Casino-Gesellschaft“ und dem „Bürger-Verein“.  Während sich in ersterer die wohlhabenden Honoratioren der Stadt Mülheim zusammengeschlossen hatten, wurde letzterer von Handwerkern und Arbeitern dominiert. Beide Vereine stellten Hubert Engels ihre Räumlichkeiten für Konzerte zur Verfügung und wetteiferten um seine Gunst. Die Mülheimer hatten somit die Wahl zwischen zwei Veranstaltungsorten, wobei die sogenannten „Casino-Concerte“ sowohl aufgrund der hohen Eintrittspreise als auch wegen des anspruchsvollen Programms von Mitgliedern des Bürgervereins und vielen anderen Mülheimern boykottiert wurden. Mit dem Boykott verhielt es sich umgekehrt genauso, wobei erschwerend hinzukam, dass die Casino-Gesellschaft den Mülheimer Konzertbetrieb finanziell maßgeblich unterstützte, während der Bürgerverein nicht über entsprechende Mittel verfügte. Mit der Senkung der Eintrittspreise und der Verlagerung der Konzerte in den „neutralen“ Veranstaltungssaal von Mathias Kirchholtes (die „Sinfonie-Scheune“) fand dieser Konflikt im Jahre 1886 ein Ende. „Mit großer Freude können wir konstatieren, dass die letzteren größeren Aufführungen des hiesigen Instrumental- und Gesangvereins nicht nur einen durchschlagenden Erfolg, sondern auch einen recht zahlreichen Besuch aufzuweisen hatten. Es ist dies letztere unstreitig dem Umstande zuzuschreiben, daß der billigere Eintrittspreis von 1 Mark und der neutralere Boden dem größeren Teile unseres Publikums angenehmer ist als die früher geübte Praxis, in der hohes Entrée und Abhaltung im Saale der Casino-Gesellschaft üblich waren“, so die Mülheimer Zeitung vom 29. September 1886. Dennoch sind bis ins Jahr 1889 Konzerte im Casino an der Delle belegt, bei denen bis zu 3 Mark – der Standard lag dort bei 2 Mark – verlangt wurden.

Neben seiner Tätigkeit als Musikdirektor führte Hubert Engels seit 1874 eine private Musikschule, um mit einer soliden Ausbildung in Musiktheorie und Instrumentalunterricht junge Mülheimer an die Musik heranzuführen und den Nachwuchs für Chor und Orchester zu sichern. Die Mülheimer Musikerfamilie Kufferath gehörte zu seinem Freundeskreis; öffentliche Konzerte mit deren Sohn Wilhelm – einem bekannten Cellisten – waren regelmäßig angesagt. Und auch Theodor Allekotte, Bratschist im damals nicht unbekannten Heckmannschen Streichquartett und gebürtiger Saarner, gehörte zu den Musikgrößen, die regelmäßig gemeinsam mit Hubert Engels auftraten.

Auch als Komponist war Engels – in einem bescheidenen Umfang –  aktiv. Sein Oratorium „Der Untergang von Keris“, die Vertonung eines Gedichts von Moritz Hartmann, wurde 1861 in Mülheim uraufgeführt. Weitere von ihm verfasste Werke sind „Der 8. Psalm für Soli, Chor und Orchester“, ein Zyklus von 9 Wanderliedern nach Texten von Ludwig Uhland, sowie diverse Streichquartette.

1889 musste Hubert Engels seine Tätigkeit als Mülheimer Musikdirektor wegen eines schweren Augenleidens aufgeben. Er starb zwei Jahre später am 8. September 1891 im Alter von 68 Jahren. Auf dem Altstadtfriedhof wurde er neben seiner schon früh verstorbenen Frau – sie war 1866 bei einer Cholera-Epidemie in Mülheim ums Leben gekommen – beigesetzt. Er hinterließ drei erwachsene Kinder. Die Töchter Constanze (1853-1943) und Selma (1856-1931), beide unverheirat, hatten bis zuletzt unter dem Dach ihres Vaters gelebt und ihm den Haushalt geführt. Sie blieben nach dem Tod des Vaters vorerst im väterlichen Hause wohnen, zogen im fortgeschrittenen Alter jedoch in das Klönnestift und verbrachten dort ihren Lebensabend. Engels Sohn Hubert junior (1854-1945) erhielt schon zu Lebzeiten seines Vaters einen Ruf als Professor für Bauingenieurwesen zunächst nach Braunschweig, später nach Dresden, wo er sich als gefragter Experte für Wasserbau einen Namen machte.

Durch das Wirken von Musikdirektor Hubert Engels, von dem Zeitgenossen sagten, er habe „in vier Jahrzehnten die Mülheimer zur Sinfonie erzogen“, erlebte die Stadt Mülheim an der Ruhr eine bis dahin nicht gekannte Fülle musikalischer Aufführungen von höchster Qualität. Das Musikleben in unserer Stadt prägte Engels über 35 Jahre lang und setzte dabei bleibende Akzente.

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