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Der Pietist, Mystiker und Menschenfreund Gerhard Tersteegen (1697-1769)

Gerhard Tersteegen, Quelle: Stadtarchiv Mülheim an der Ruhr

Von: Thomas Emons

Das Leben hat der Mystiker, Dichter und Menschenfreund Gerhard Tersteegen stets als Pilgerschaft in die Ewigkeit Gottes begriffen. Sein irdischer Pilgerweg geht am 3. April 1769 zu Ende. Er stirbt 73-jährig in dem Haus, das er ab 1746 bewohnt hat und das wir seit 1950 als Heimatmuseum Tersteegenhaus kennen. Zu Tersteegens Lebzeiten ist das Haus eine Pilgerstätte. Tersteegen soll aus seiner kleinen Wohnstube heraus gepredigt haben, während die Bürger zum Teil Leitern anlegten, um ihn durch das Fenster sehen zu können. Doch die Menschen kamen nicht nur zu ihm, um ihren Glauben zu stärken, sondern auch, weil sie Hunger hatten oder krank waren. Weil der selbst lebenslang kränkelnde Tersteegen ein Menschenfreund war, baten sie nicht vergebens. Durch Selbststudium mit der Naturheilkunde vertraut, konnte er mit Arzneien helfen. Reiche Gönner des charismatischen Predigers, dessen geistlicher Einfluss weit über Mülheim hinausreichte, versetzten ihn in die Lage, auch materielle Not lindern zu können.

Tersteegen selbst kannte die Not. Sicher hätte er nach dem Besuch der Lateinschule in seiner Geburtsstadt Moers lieber studiert. Doch weil der Mutter das Geld fehlte, musste er 1713 zu seinem Mülheimer Schwager in die Kaufmannslehre gehen. Dieser Beruf überforderte seine schwache Gesundheit und widersprach seiner Neigung. Mehr schlecht als recht lebte und arbeitete er als Bandmacher, ehe er – von Wilhelm Hoffmann gefördert – zu einem der bekanntesten Dichter und Prediger der pietistischen Erweckungsbewegung wurde. Nach einem Erweckungserlebnis verschrieb er sich am Gründonnerstag 1724 Jesus Christus mit seinem eigenen Blut. Er bekräftigte dies, indem er diese symbolische Handlung 1731 und 1738 noch einmal wiederholte.

Fünf Jahre nach seinem ersten Blutsbrief erschien 1729 sein „Geistliches Blumengärtlein“, das schon zu seinen Lebzeiten sieben Auflagen erlebte. Die geistlichen Lieder des Mystikers, der sich über allen Religionen und Konfessionen stehend begriff, fanden Eingang in die Gesangsbücher vieler christlicher Konfessionen. Sein wohl bekanntestes Lied: „Ich bete an die Macht der Liebe“ wird heute bei jedem Großen Zapfenstreich der Bundeswehr intoniert.
Als Pietist hatte Tersteegen ein distanziertes Verhältnis zur Amtskirche. Konfessionsgrenzen waren für Tersteegen ohne Bedeutung, da er nur zwischen Menschen unterschied, die zu Gott wollten oder nicht zu Gott wollten. Die gute Predigt eines evangelischen Pfarrers war ihm genauso lieb, wie die gute Predigt eines katholischen Pastors. An der Frage, ob er die Petrikirche, in deren Schatten er ohne Grabstein und Schmuck begraben wurde, nie oder erst in seinen letzen Lebensjahren betreten hat, scheiden sich die Geister seiner Biografen. Ihm selbst war es, wie er einmal sagte, gleich, welches „Religionsröcklein ein Mensch anhabe, solange er Recht tue und Gott fürchte“. Schon 1813, als russische Soldaten während der Kriege gegen Napoleon durch Mülheim kamen und das Grab Tersteegens sehen wollte, konnte es ihnen niemand mehr zeigen. Erst 1838 stellten seine Anhänger im Schatten der Petrikirche einen Gedenkstein auf, der bis heute an Gerhard Tersteegen erinnert, ebenso wie ein 1903 im Witthausbusch aufgestellter Tersteegen-Stein. An diesem Ort soll der Mystiker und Dichter oft innere Einkehr gehalten haben. Daran erinnerte einst auch die im Witthausbusch gelegene Gaststätte Tersteegens Ruh, die im Krieg von alliierten Bomben zerstört wurde.

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