Von: Johannes Fricke
Nur wenige Mülheimer wissen, dass in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, noch vor der Entwicklung der Schwerindustrie, eine Textilfabrik das größte Unternehmen in Mülheim war. Im Jahr 1790 beantragte Johann Caspar Troost (1759-1830), dessen Vater aus einer Elberfelder Unternehmerfamilie nach Mülheim zugewandert war, die Genehmigung für eine mechanische Spinnerei. Zunächst gab es erhebliche Bedenken und Widerstände gegen dieses Projekt. Zum einen befürchtete man Konflikte mit dem Unternehmer Brügelmann, der im damals technisch führenden England eine Fabrik ausspioniert und nach diesem Vorbild seine Fabrik „Cromford“ in Ratingen aufgebaut hatte. Dieser hatte sich für den Betrieb ein Privileg seines Landesherrn gesichert, um Konkurrenz auszuschalten. In Mülheim protestierten die alteingesessenen Familien von Eicken und Vorster gegen eine Beeinträchtigung der von ihnen betriebenen Mühlen in Broich durch eine Wasserableitung für die neue Textilfabrik.
Die letzte Herrin von Broich, Landgräfin Marie Luise Albertine, entschied sich aus wirtschaftlichen Gründen für Troost. Ihr ging es darum, Arbeitsplätze zu schaffen und soziale Unruhen zu verhindern, da zu dieser Zeit ein zeitweiser Rückgang der bedeutenden Mülheimer Kohlenschifffahrt für zahlreiche Arbeitslose gesorgt hatte. Das Privileg zur Errichtung einer Baumwollspinnerei wurde am 18. Februar 1791 an Johann Caspar Troost verliehen. Er wurde aber verpflichtet, Rücksicht auf die Mühlen zu nehmen.
Troost errichtete sein Spinnereigebäude auf einem Gelände in Höhe des Schleusenkanals, das er, nicht ungeschickt, Louisenthal nannte. Das Gebäude glich weitgehend der Textilfabrik Brügelmanns in Ratingen. Über einen Fabrikkanal leitete er Wasser von der Ruhr ab, um über ein Mühlrad seine Maschinen anzutreiben. Die Firma erlebte trotz jahrelanger Auseinandersetzungen um die Wasserableitung einen kräftigen Aufschwung, der nur während der französischen Herrschaft ab 1806 unterbrochen wurde. Von einem Englandbesuch sollen die Söhne Troosts ihrem Vater geschrieben haben: „Lieber alter Herr, verbrenne deine Maschinen und lass dir englische bauen“, ein wohl nicht ganz authentisches Zitat, das aber zeigt, wie versucht wurde, den enormen Vorsprung der englischen Industrie aufzuholen. Bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts befanden sich die durch Weberei und Textildruckerei erweiterten Troost´schen Firmen auf ihrem Höhepunkt; in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts erlebten sie einen Niedergang.
Auf einem Gemälde von 1828 präsentiert sich die Familie Troost in einem Park; das Fabrikgebäude steht wie ein Schloss im Zentrum des Bildes. 1826 hatte der Firmengründer Johann Caspar Troost als erster Mülheimer den Titel „Kommerzienrat“ verliehen bekommen; die Troosts waren eine der führenden Familien Mülheims geworden. Das Bild deutet an, dass diese bürgerlichen Fabrikinhaber eine Bedeutung erlangt hatten, die bisher nur dem Adel vorbehalten gewesen war.
(Quelle: Mülheimer Zeitzeichen, Veröffentlichungen des Stadtarchivs Mülheim an der Ruhr, Band 1)