von: Thomas Emons
Der Volksmund sagt: „Wo man singt, da lass dich ruhig nieder.“ Diesen Rat befolgen heute leider immer weniger Menschen. An der Frage nach dem Warum scheiden sich die Geister. Tatsache ist: Die Zahl der aktiven Sänger im Mülheimer Chorverband geht zurück.
Angesichts einer solchen Bestandsaufnahme in Moll tut es gut, sich an einen Auftakt in Dur zu erinnern. Denn am Silvesterabend 1851 trafen sich 34 sangesfreudige Männer zu einem Fest im Rheinischen Bauernhaus an der Delle. Und weil man so fröhlich beieinander saß und sang, entschloss man sich im Laufe der Nacht: Wir gründen einen Chor und nennen ihn Frohsinn. Und da man natürlich auch auf das neue Jahr 1852 anstieß, verewigte man es im Namen des neuen Männergesangsvereins Frohsinn 1852.
Welche Lieder sie unter der Stabführung ihres ersten Dirigenten Heinrich Kufferath anstimmten, lässt sich in der Chronik nachlesen. „Es ist bestimmt in Gottes Rat“ und „Jägerleben, immer froh“ sind da als Konzertbeiträge eines Sängerfestes notiert, mit dem im September 1853 an der Eppinghofer Straße die Mülheimer Tonhalle eingeweiht wurde. Das Fest fand offensichtlich Anklang. Denn die Rhein-Ruhr-Zeitung schrieb damals: „Das erste Sängerfest des Ruhrsängerbundes gehört zu den schönsten Festen, denen wir je beigewohnt haben.“ Und selbst die Lokalpresse der Nachbarstadt Essen gestand ein: „So ein Fest mag nur Mülheim zu veranstalten.“
Dabei waren die Gesangsvereine, auch wenn sie Namen wie Frohsinn, Harmonie oder Eintracht trugen, der preußischen Obrigkeit suspekt. Wenige Jahre nach der gescheiterten Revolution von 1848/49 kamen Gesangsvereine auch deshalb in Mode, weil die Bürger hier das einige und freie deutsche Vaterland besingen konnten, das damals von den Monarchen des Deutschen Bundes gar nicht gewollt wurde. Und wo politische Parteien nicht erwünscht waren, wurden eben auch Gesangsvereine zum Treffpunkt der bürgerlichen Gesellschaft, wo Gedankenfreiheit herrschte und die Geselligkeit groß geschrieben war. Auch in späteren Zeiten, als in Mülheim von 1923 bis 1925 französische und dann 1945 erst amerikanische und danach britische Soldaten den Ton angaben, wurden die Chöre ob ihres deutschen Liedgutes politisch beargwöhnt. Tatsächlich spiegeln sich in ihren Chroniken die Wechselfälle der Stadtgeschichte wider.
Als 1873 auf dem Rathausmarkt ein Kriegerdenkmal für die Gefallenen des Deutsch-Französischen Krieges von 1870/71 eingeweiht wurde, sang der MGV Frohsinn ebenso wie bei der Einweihung der Schlossbrücke (1911) oder der Stadthalle (1926). Als der Erste Weltkrieg 1914 begann, sang man zugunsten des Roten Kreuzes und als er 1918 zu Ende ging, für die Kriegsblinden. Zwei Weltkriege ließen auch beim Frohsinn keinen Platz mehr für den Frohsinn. Die Chorchronik berichtet etwa von gefallenen Sangesbrüdern, vom Luftalarm während der Chorproben oder vom vollständigen Verlust der Notenliteratur während des großen Luftangriffs im Juni 1943. Doch nach dem Krieg erlebte der Frohsinn in Zeiten des westdeutschen Wirtschaftswunders eine Wiederauferstehung. Nicht nur glanzvolle Konzerte mit großen Sängern wie Rudolf Schock, Ivan Rebroff und René Kollo oder das Gastspiel bei den Bundespräsidenten Karl Carstens (1981) und Horst Köhler (2009) zeigten: Man(n) war wieder wer.
Doch der Zeitgeist zeigt auch gegenüber altehrwürdigen Traditionsvereinen keinen Respekt. Aufgrund fehlenden Nachwuchses mussten die Chorbrüder des Frohsinn im Jahr 2018 die Auflösung des Vereins bekanntgeben.