von: Jens Roepstorff
Das 1960 gebaute Ruhr-Reeder-Haus an der Reichspräsidentenstraße ist heute ein markanter Punkt im Mülheimer Stadtgebiet. Nicht jeder weiß jedoch, dass sich am höchstem Punkt Mülheims lange vor der Bebauung eine große Freifläche befand, die einige Jahre lang von einem höchst umstrittenen Denkmal geziert wurde. Nach dem Ende des Ersten Weltkriegs hatten sich überall im Deutschen Reich Verbände von ehemaligen Soldaten gebildet.
Verband der ehemaligen 159er
So gab es auch in Mülheim an der Ruhr den Verband der ehemaligen 159er, bestehend aus vormaligen Soldaten des in Mülheim stationierten Infanterie-Regiments Nr. 159. Um das Andenken an die rund 2.500 gefallenen Kameraden lebendig zu halten, kam man auf die Idee, ein Kriegerdenkmal auf der Witthaushöhe zu errichten. Die Nähe zur ehemaligen Kaserne des Regiments an der Kaiserstraße wurde dabei bewusst gewählt. Carl Moritz Schreiner, ein Bildhauer aus Düsseldorf, wurde mit der Ausführung beauftragt. Der Entwurf eines 6 Meter hohen, bronzenen Fackelträgers war zuvor vom städtischen Denkmalausschuss abgesegnet worden. Zur Grundsteinlegung am 1. Juli 1928 hielt Oberstleutnant Steneberg als Vorsitzender des Offiziersvereins vor den versammelten Honoratioren eine Rede.
“…ein Denkmal, das weit in die Ruhrlande hineinragen wird”
Die Mülheimer Zeitung vom 2. Juli zitiert daraus wie folgt: „An dieser Stelle soll ein Denkmal erstehen, das weit in die Ruhrlande hineinragen wird. Wie eine Fackel soll es in die Nacht Deutschlands hineinleuchten. Ewig mahnen soll die Fackel, bis es wieder hell wird in unserem Vaterland […]“ Verbunden mit der Grundsteinlegung war die Einmauerung einer verplombten Kassette, die neben der üblichen Urkunde eine Gedenkschrift mit den Namen der Gefallenen, Münzen, ein Fotoalbum mit Ansichten der Kaserne sowie eine aktuelle Ausgabe der Mülheimer Zeitung enthielt. Zur Feier des Tages trat der Mülheimer Gesangsverein „Frohsinn“ auf, begleitet von der Musikkapelle der ehemaligen 159er.
Dreitägige Feier zur Einweihung des Denkmals
Die Enthüllung des Denkmals sollte dann rund anderthalb Monate später–am 16. September–folgen, eingebettet in eine dreitägige Feier mit Paraden, Militärkonzerten und einem Regimentsappell. Das neue Denkmal mit dem Namen „Der Fackelträger“ sorgte von Anfang an für heftige Diskussionen. Für die Bevölkerung war es einfach nur der „Nackte Heinrich“, die Rheinisch-Westfälische Zeitung nannte die Figur den „Koloss von Mülheim“ und verglich sie mit einem Neanderthaler. Nach und nach verstummten die Schmährufe, um mit dem Aufkommen des Nationalsozialismus wieder lauter zu werden. Ein anonymer Leserbrief in der Mülheimer Zeitung vom 26. August 1933 kritisierte:„ Ein Denkmal soll meines Erachtens der Ausdruck einer Volksseele sein […] Jeder Beschauer, ob vom Platz oder von auswärts, muss zugeben, dass es ihm sehr schwer fallen wird, aus dieser Figur ein Kriegerdenkmal herauszulesen. Außerdem liegt in der Nacktheit ein dem Deutschen wesensfremder Zug, ganz abgesehen von der Plumpheit und Unnatürlichkeit der Gliedmaßen.“
Mit einem Traktor vom Sockel geholt
Im September 1933 wurde die Skulptur von Unbekannten in einer Nacht-und-Nebel-Aktion mit einem Traktor und Ketten vom Sockel geholt und weggeschleift. Kurz darauf tauchte der „Nackte Heinrich“ bei einem Mülheimer Schrotthändler wieder auf. Der weitere Weg ist nicht bekannt: Vermutlich wurde die Figur einfach eingeschmolzen. Die Kassette aus dem Sockel des Denkmals wurde entnommen, aufbewahrt und 1958 bei der Anbringung einer Gedenktafel für die 159er am Schloß Broich erneut eingemauert. Sanierungsarbeiten an der Schlossmauer brachten 2014 die mittlerweile vergessene Zeitkapsel wieder zum Vorschein. Sie wurde geborgen und dem Stadtarchiv zur dauerhaften Verwahrung übergeben.