von: Jens Roepstorff
Selbst unter Musikliebhabern ist wenig bekannt, dass der berühmte Dirigent und Wagner-Interpret Hans Knappertsbusch seine Karriere in Mülheim an der Ruhr begann. Am 12. März 1888 als Sohn eines Fabrikanten in Elberfeld geboren, feierte er im Schulorchester erste Dirigiererfolge und studierte ab 1908 – gegen den Willen seiner Eltern – am Konservatorium in Köln Musik. Bereits während des Studiums assistierte er in Bayreuth dem damaligen Festspielleiter Siegfried Wagner sowie dem Dirigenten Hans Richter. Diese Jahre hatten einen prägenden Einfluss auf seine musikalischen Interpretationen und begründeten seine Entwicklung zum Wagner-Dirigenten von internationalem Rang.
Um das Jahr 1900 gab es in Mülheim bereits eine Abonnementsreihe für klassische Konzerte. Als Veranstaltungsort diente der Saal der Gaststätte Mathias Kirchholtes, von der Bevölkerung auch scherzhaft als „Symphoniescheune“ bezeichnet, mit einer Kapazität von beachtlichen 1.300 Sitzplätzen. Der Kölner Opernsänger Louis Bauer hatte 1910 die Idee, in Mülheim neben den Sinfoniekonzerten auch einen Opernbetrieb zu etablieren und stellte einen Antrag an die Stadtverordnetenversammlung. In geheimer Sitzung und gegen den Widerstand einer starken Minderheit wurde am 28. Dezember (!) beschlossen, dem Veranstalter pro Jahr 12 Opernaufführungen sowie eine Einnahme von 800 Mark pro Aufführung zu garantieren. Als Orchester wurde die Militärkapelle des hier stationierten Infanterieregiments 159 verpflichtet, als Dirigent der damals noch unbekannte 22jährige Nachwuchskünstler Hans Knappertsbusch.
Nach einem umfangreichen Umbau des Kirchholtesschen Saals feierte das Ensemble am 24. Januar 1911 Premiere mit Rossinis „Barbier von Sevilla“. Es folgten 11 weitere Aufführungen, darunter Inszenierungen von „Fidelio“, „Carmen“ sowie der „Lustigen Weiber von Windsor“. Die Zeitungen waren voll des Lobes und der Bewunderung für den jugendlichen Kapellmeister Knappertsbusch, der es verstand, die organisatorischen und bühnentechnischen Mängel der Veranstaltungsreihe durch eine beeindruckende Umsetzung der Werke in den Hintergrund treten zu lassen. Trotz der positiven Kritiken und der finanziellen Unterstützung durch die Stadt Mülheim stand das junge Unternehmen jedoch bereits nach der ersten Saison vor dem Aus. Bescheidene Besucherzahlen hatten Louis Bauer und seinem Ensemble bis zum April 1911 einen Verlust von mehreren tausend Mark beschert. Ein Versuch, zur Sanierung der Finanzen neben Mülheim auch die Städte Duisburg, Oberhausen, Hamborn und Recklinghausen zu bespielen, blieb ohne Erfolg. So war der kurze Ausflug Mülheims in die Opernwelt vorerst beendet.
Für Hans Knappertsbusch jedoch war es das Sprungbrett zum großen Erfolg. Nachdem er unter anderem durch die Leitung der niederländischen Wagnerfestspiele auf sich aufmerksam gemacht hatte, führte ihn sein Weg über Dessau, wo er 1919 Deutschlands jüngster Generalmusikdirektor wurde, nach München. Dort wurde er 1922 Nachfolger von Bruno Walter als Leiter der Bayerischen Staatsoper und behielt dieses Amt 13 Jahre lang bis zu Absetzung durch die Nationalsozialisten. Nach dem Krieg kehrte Knappertsbusch zu seinen Anfängen zurück: Der neue Festspielleiter von Bayreuth, Wieland Wagner, hatte ihn 1951 zur Wiedereröffnung der Festspiele engagiert. Bis 1964 trat er dort regelmäßig auf, dirigierte meist den „Ring des Nibelungen“ sowie seine Lieblingsoper „Parsifal“ – so auch bei seinem letzten Auftritt im August 1964. Am 25. Oktober 1965 starb er in München an den Folgen eines Oberschenkelhalsbruches.
(aus: Mülheimer Zeitzeichen, Veröffentlichungen des Stadtarchivs Mülheim an der Ruhr, Band 1)