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Jahrzehntelang eine Institution in Mülheim: Die Handelsschule Schwenzer

Schreibmaschinenunterricht in der Privatschule Schwenzer, um 1910 (Quelle: Stadtarchiv)

von: Jens Roepstorff


„Man geht in Mülheim nicht zur Handelsschule, man geht zu Schwenzer!“

Mit diesem Satz machte der Vorsitzende des Verbandes Deutscher Privatschulen, Dr. Paul Scheid, bei einer Feierstunde in der Stadthalle zu Ehren von Max Schwenzer auf die Bedeutung aufmerksam, die dieser Privatschule in Mülheim zukam. Es war Ende Dezember 1967, als diese Worte fielen, und der Anlass war in der Tat denkwürdig. Nach über 70 Jahren sollte die Schule zum 1. Januar 1968 von dem Privatmann Max Schwenzer junior auf die Stadt Mülheim an der Ruhr übergehen.

Unter dem Namen „Erstes deutsches Schön- und Schnellschreib-Institut Hoepfner & Schwenzer“ wurde die Schule als kaufmännische Privatschule am 6. März 1896 in Düsseldorf gegründet. Der Lehrplan enthielt anfangs nur drei Unterrichtsfächer: Schönschreiben, Buchhaltung und Briefwechsel, wobei Schönschreiben eine besondere Rolle spielte und von dem Schulgründer bewusst an die erste Stelle des Fächerkanons gesetzt worden war. Nach Meinung von Max Schwenzer senior (1877-1933) habe nur derjenige Erfolg in seiner kaufmännischen Laufbahn, der über eine schöne Handschrift verfüge. In diesem Zusammenhang war auch das Fach „Kunst- und Plakatschrift“ für ihn von großer Bedeutung, da „im ständigen Wettbewerb um den Kunden die wirkungsvolle Schaufensterreklame eine dringende Notwendigkeit für jeden Geschäftsmann“ sei.

1897 verlegte Schwenzer den Sitz seines Instituts von Düsseldorf nach Duisburg, wo der Standort der Unterrichtsräume häufiger wechselte. In dem Bemühen um Anpassung an die veränderten Anforderungen im Bürobetrieb ergänzte Max Schwenzer, der mittlerweile die Schule als alleiniger Inhaber führte, 1899 den Lehrplan um das Fach Maschinenschreiben. Dieses noch junge Fach wurde von den Kaufleuten der damaligen Zeit zunächst noch abgelehnt. Sie empfanden die Maschinenschrift als zu unpersönlich und somit ungeeignet für ihre geschäftliche Korrespondenz. Die vorherrschende Meinung um die Jahrhundertwende war, dass „Ergebenheit und Höflichkeit gerade durch die Handschrift zum Ausdruck gebracht werden“.

Die steigende Nachfrage nach kaufmännischen Fertigkeiten führte dazu, dass die Handelsschule Schwenzer ab 1897 kaufmännische Lehrgänge erstmals auch in Mülheim an der Ruhr anbot. Diese fanden in der notdürftig für diese Zwecke eingerichteten Gaststätte „Jägerhof“ statt. Dort brachte man nicht nur junge Schulabgängern, sondern auch gestandenen Handwerkern das kaufmännische Einmaleins bei. So unterwies Max Schwenzer etwa verschiedene Schneidermeister aus Saarn in Buchführung.

Die ersten festen Unterrichtsräume in Mülheim befanden sich ab 1904 zunächst im Notweg 57 (heutige Friedrich-Ebert-Straße), dann in der Kurzen Straße und zuletzt in der Bachstraße. 1910 fand die Wanderschaft von einem Standort zum nächsten ein vorläufiges Ende, als die Schule im Siepmannschen Geschäftshaus, Notweg 26, ein dauerhaftes Domizil fand. Nach der Schließung der Duisburger Filiale im Jahre 1911 konzentrierte sich der Schulleiter auf die Mülheimer Niederlassung, die einen großen Zulauf verzeichnete und inzwischen das gesamte Gebäude am Notweg belegte. Ein weiterer Standort in Duisburg-Ruhrort, gegründet 1911, wurde mit dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs 1914 aus Mangel an Lehrkräften aufgegeben.

Mit dem Einzug in das Gebäude am Notweg wurden dem Lehrplan weitere kaufmännische Fächer hinzugefügt. Auch das neu aufgekommene 10-Finger-Blindschreiben (Tastschreiben) stand ab dem Sommer 1911 auf dem Lehrplan. In drei Räumen wurde ein Musterkontor eingerichtet, in dem die Schüler neben dem theoretischen Unterricht ganz praxisnah Bürodienst leisten mussten. Durch den Verzicht auf die Einrichtung einer städtischen Höheren Handelsschule unterstützte die Stadt Mülheim indirekt die Schwenzersche Privatschule und ermöglichte somit einen Schulbetrieb, der keine Konkurrenz aus dem öffentlichen Sektor zu fürchten hatte.

Neben seinen Aufgaben als Schulleiter und Lehrer engagierte sich Max Schwenzer auch anderweitig. So gründete er 1903 den Verband Deutscher Handelslehrer mit dem Ziel der Schulung und Weiterbildung seiner Mitglieder. In seiner Freizeit tüftelte er herum und erfand 1928 die sogenannte Leuchttastei; ein elektronisches Hilfsmittel, das ihm helfen sollte, seinen Schülern die 10-Finger-Blindschreibmethode beizubringen.

Der Ausbruch des Ersten Weltkriegs brachte neue Anforderungen an die Schule mit sich. Nachdem die waffenfähigen Männer aus den Büros abgezogen und zum Militär eingezogen worden waren, sollten junge Mädchen die entstandenen Lücken schließen und mussten somit im Eiltempo die kaufmännische Ausbildung durchlaufen. Auch zahlreiche Lehrer des Instituts waren eingezogen worden, so dass das verbliebene, nicht wehrfähige Personal stärker belastet war als zuvor. Nach Kriegsende bot man eigene Kurse für Kriegsbeschädigte an, außerdem Kurse im Schreiben für diejenigen, die im Krieg den rechten Arm verloren hatten.

1928 wurde der Schulbetrieb in die Stinnes-Villa, Ruhrstraße 52, verlegt, da das bisherige Gebäude in der Hindenburgstraße aufgrund des Durchbruchs der Schloßstraße zum Abriss vorgesehen war. Das neue Domizil war jedoch nicht von Dauer: Bereits sechs Jahre später, im Februar 1934, zog die Handelsschule einige Häuser weiter in die Bispincksche Villa (Ruhrstraße 38). Diesen zweiten Umzug innerhalb der Ruhrstraße erlebte Max Schwenzer senior nicht mehr. Sein Sohn, Max Schwenzer junior, der seit 1924 bereits als Diplom-Handelslehrer an der Schule tätig war, übernahm mit dem Tod des Vaters im Mai 1933 die Leitung des Instituts. Drei Jahre später konnte er mit seiner Familie und der Lehrerschaft das 40jährige Bestehen der Schule feiern.

Werbeanzeige in der Mülheimer Zeitung (1934)


Unter Beteiligung von Vertretern der Stadtverwaltung, der Industrie- und Handelskammer, der Schülerschaft samt Eltern sowie vieler Ehemaliger wurde das runde Jubiläum mit einem zweitägigen Festakt am 14./15. März 1936 in der Stadthalle gebührend gefeiert. Auf die Familienfeier mit Tanz im großen, eigens dafür umgebauten Theatersaal am Samstag folgte am Sonntag die offizielle Feier im kleineren Kammermusiksaal, wo unter anderem Schülerarbeiten im Rahmen einer Ausstellung präsentiert wurden.

1937, ein Jahr nach dem großen Jubiläum, konnte die Handelsschule einen weiteren Erfolg für sich verbuchen. Durch eine Verfügung des Düsseldorfer Regierungspräsidenten wurde der Besuch der Schwenzerschen Tagesschule als Ersatz zum Berufsschulunterricht offiziell anerkannt. Damit war diese für junge Lehrlinge eine Alternative zu der kaufmännischen Berufsschule der Stadt Mülheim.

Mit dem Tod von Max Schwenzer senior übernahm seine Schwiegertochter Irene die administrative Verwaltung der Schule und entlastete somit ihren Mann, dem jetzt die Leitung der Einrichtung oblag. Während der Kriegsjahre ruhte der Schulbetrieb weitgehend, da sowohl der Schulleiter als auch die meisten Lehrkräfte zur Wehrmacht eingezogen wurden. In dieser Zeit lag die Verantwortung für die Schule alleine bei Irene Schwenzer. Sie war es auch, die 1945/46 während der Kriegsgefangenschaft ihres Mannes den Wiederaufbau der Einrichtung tatkräftig vorantrieb. Im März 1946, zwei Tage vor dem 50jährigen Jubiläum seiner Schule, kehrte Max Schwenzer junior aus der Gefangenschaft nach Mülheim zurück.

1950 erfolgte die staatliche Anerkennung der zweijährigen Handelsschule, das Abschlusszeugnis der Absolventen entsprach fortan dem Zeugnis der mittleren Reife. 1953 begann die Subventionierung der Schule durch die Stadt Mülheim und das Land NRW. Die Lehrkräfte wurden in Planstellen eingewiesen und damit den Lehrern an öffentlichen Schulen gleichgestellt. Die Zahlung von Schulgeld entfiel (ab 1958).

Seit 1934 befanden sich Verwaltung und Unterrichtsräume in der Bispinckschen Villa, ein großbürgerliches Wohngebäude, das für die Zwecke der Schule adaptiert worden war. Max Schwenzer machte sich Anfang der 1950er Jahre daran, an einem neuen Standort ein modernes Schulgebäude zu planen, das zweckmäßiger sein sollte als das bisherige. Mit dem brachliegenden Gelände der ehemaligen Teutonenbrauerei an der Friedrichstraße fand er den passenden Ort. Baubeginn für das sogenannte Schwenzer-Haus in der Friedrichstraße 48/50 war im März 1954, die Einweihung fand im Januar 1955 statt. Im gleichen Jahr erhielt die Schule die staatliche Anerkennung der einjährigen Höheren Handelsschule durch das Kultusministerium; die Privatschule Schwenzer wurde per Namensänderung zu „Private Handelslehranstalten“.

Schon wenige Jahre nach dem Bezug des neuen Gebäudes erwies sich dieses als zu klein. Mit finanzieller Unterstützung des Landes NRW wurde ein Erweiterungsbau hinzugefügt, der weitere Klassenräume, ein Übungskontor, einen Filmvorführraum, ein Elternsprechzimmer sowie eine Schülerbibliothek beherbergte. Im Oktober 1961 konnte der Anbau eingeweiht werden.

Der letzte Schritt in der schulischen Entwicklung war 1964 die staatliche Anerkennung der zweijährigen Höheren Handelsschule. Die Absolventen dieses Zweiges waren den Abiturienten gleichgestellt, wenn sie sich im Öffentlichen Dienst bewarben. Als zwei Jahre darauf das nächste runde Jubiläum anstand, konnte man auf eine Erfolgsgeschichte zurückblicken.

Nachdem 1946 die Feiern zum 50jährigen Bestehen aufgrund der Umstände ausgefallen waren, war 1966 allen Beteiligten durchaus zum Feiern zumute. Am 11. März wurde ins Hotel Noy eingeladen, um das Bestehen und die Geschichte der Lehranstalt zu würdigen und zu feiern. Bis zu diesem Zeitpunkt hatten 31.569 junge Mülheimer und Mülheimerinnen die Schule besucht. Eine von der Schule zwei Jahre zuvor durchgeführte statistische Erhebung hatte ergeben, dass eine große Anzahl ehemaliger Schülerinnen später als Chefsekretärinnen, Auslandskorrespondentinnen und Sachbearbeiterinnen im Ausland tätig waren. Dieser internationale Aspekt wurde von der Schulleitung besonders betont und erfüllte Max Schwenzer offenbar mit großem Stolz. In seiner Festrede lobte der Vorsitzende des Verbandes deutscher Privatschulen Dr. Scheid die Schule über alle Maßen:

 „Viele Anregungen in den Privatschulen sind von Schwenzer ausgegangen. Die Mülheimer Anstalt wirkte wie Sauerteig auf das öffentliche Schulwesen. Sie war stets eine Pionierschule im Sinne des deutschen Privatschulgedankens.“

Bis Mitte der 1960er Jahre war Mülheim die einzige deutsche Großstadt ohne eine städtische Handelsschule. Die Mülheimer Stadtväter waren rundum zufrieden mit der Schwenzerschen Privatschule und sahen keinen Anlass, diese durch eine städtische Neugründung zu ersetzen. Da es jedoch Vorgaben vom Land NRW gab, die diese Gründung vorschrieben, hatte man bereits 1959 mit Max Schwenzer junior vereinbart, dass die Privatschule Schwenzer nach seiner Pensionierung auf die Stadt Mülheim übergehen würde. Am 1. Januar 1968 war es dann soweit: Max Schwenzer wurde als Studiendirektor in den Ruhestand versetzt, gleichzeitig erfolgte die Angliederung der drei Ersatzschulen mit insgesamt 325 Schülern an die Kaufmännischen Schulen der Stadt Mülheim. Die Ergänzungsschulen, die Tagesklassen der einjährigen Handelsschule, die umfangreiche Abendhandelsschule sowie die Fremdsprachenschule mit insgesamt rund 700 Schülern wurden durch das neu gegründete Kaufmännische Bildungswerk, einen gemeinnützigen Schulverein, weitergeführt.

70 Jahre lang hatte die Handelsschule Schwenzer in Mülheim an der Ruhr den kaufmännischen Nachwuchs ausgebildet. Mit der Auflösung dieser privaten Lehranstalt und der Eingliederung in das städtische Schulwesen ging eine Ära zu Ende.

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