Von: Thomas Emons
Wenn die Mülheimer heute von einer „Flotte“ reden, meinen sie in der Regel die „Weiße Flotte“, deren Schiffe Ausflügler vom Wasserbahnhof nach Kettwig und wieder zurückbringen. Der Reeder und Industriepionier Mathias Stinnes, der am 4. März 1790 als Sohn des Ruhrschiffers Hermann Stinnes in Mülheim geboren wurde, hätte über solchen Müßiggang vielleicht den Kopf geschüttelt. Vielleicht – oder das wäre noch wahrscheinlicher – hätte er die Marktlücke erkannt und die Ausflugsschifffahrt auf der Ruhr ganz groß aufgezogen.
Denn Mathias Stinnes war für die Mülheimer das, was später Aristoteles Onassis für die Griechen werden sollte, ein Großreeder. Als er 1845 starb, fuhren mehr als 60 Stinnes-Schiffe auf Rhein und Ruhr; sie transportierten nicht nur Kohle, sondern auch andere Güter, angefangen vom Getreide über Holz und Steine bis zum Schießpulver.
Heute würde man Mathias Stinnes einen Selfmademan nennen. Seine Ausbildung erfuhr er in der Volksschule und fünf Jahre lang als Schiffsjunge seines Vaters. Bei ihm lernte er nicht nur das Schifferhandwerk, sondern auch, wie man ein Kohlenmagazin verwaltet. Mathias hatte Mut und Mumm in den Knochen. Unmittelbar nach seiner Lehre machte sich der gerade 18-Jährige 1808 mit einem Kohlenhandel selbstständig und kaufte zwei Jahre später sein erstes Schiff, eine Ruhraak. Auch als Stinnes später schon ein angesehener Unternehmer war, soll er sich nie zu schade gewesen sein, selbst die Ärmel hochzukrempeln und mit anzufassen, wenn Kohle verladen werden musste. Feierabend war für ihn immer erst dann, wenn die Arbeit getan war. Seine Arbeitskraft war legendär und prägte bei den alten Mölmschen die Redensart: „Der hat Mathes in den Mauen“, will sagen: „Der kann anpacken. Der hat Mathias in den Muskeln.“
Der kaufmännische Autodidakt Stinnes hatte strategisches Gespür und einen Blick für Zusammenhänge. Frei nach der Devise: „Wer mit Kohle handelt und sie transportiert, kann sie auch zutage fördern“, beteiligte er sich an insgesamt 36 Bergwerken und wurde so in seiner Zeit zum größten Bergbauunternehmer des Ruhrgebietes. Er trieb nicht nur die moderne Tiefenförderung voran, sondern setzte auch bei seiner Schiffsflotte seit 1843 auf die schnellere und preiswerte Dampfkraft. Dampf machte Mathias Stinnes auch beim Ausbau der Mülheimer Infrastruktur, beteiligte sich finanziell zum Beispiel am Bau der Aktienstraße, des Ruhrhafens, der Pferdebahn, der Kettenbrücke, war außerdem Mitglied des Stadtrates und Mitgründer der Handelskammer. Auch für die Armen hatte Stinnes Geld übrig, weil er wusste, dass es seinem Unternehmen gut gehe, solange es auch der Stadt und ihren Bürgern gut gehe. Und so hieß es in einem Nachruf auf Mathias Stinnes: „Für die Zukunft Mülheims hat er kühn gestritten und viel gelitten.“