von: Kai Rawe
In Mülheim an der Ruhr war Bismarcks 80. Geburtstag im April 1895 wie überall in Deutschland ein besonderes Ereignis. Zwar freuten sich – aus naheliegenden Gründen – Sozialdemokraten und Katholiken wohl etwas weniger als die staatstragende Schicht des Bürgertums, diese jedoch war begeistert. Und so waren es auch in unserer Stadt Vertreter der einflussreichsten gesellschaftlichen Kreise, die entsprechendes Engagement bei der Ausrichtung von Bismarckfeiern und -ehrungen an den Tag legten. Kommerzienrat Gerhard Küchen zeigte sich dabei als besonders treibende Kraft. Er hatte bereits im Februar 1895 den damaligen Oberbürgermeister von Bock und Polach eingeladen, um bei einem Glas Bier, wie es in der Einladung hieß, die anstehende Bismarckfeier vertraulich zu besprechen. Küchen war es wohl auch, der gemeinsam mit weiteren Vertretern der Mülheimer Oberschicht anregte, Bismarck aus Anlass des 80. Geburtstages die Ehrenbürgerschaft anzubieten. Dessen Sekretär bedankte sich für eine entsprechende Anfrage und teilte mit, dass sich der Fürst durch die Annahme der Ehrenbürgerschaft sehr geehrt fühlen würde. Außerdem werde sich „seine Durchlaucht […] freuen, eine Abordnung der Stadt zur Überreichung des Ehrenbürgerbriefes […] zu empfangen“. Da nun huldvoll die Annahme der Ehre in Aussicht gestellt war, konnten die Mülheimer Stadtverordneten am 19. Februar 1895 die Verleihung der Ehrenbürgerrechte und den Text der entsprechenden Urkunde beschließen. Dieser lautete wie folgt:
„In unbegrenzter Verehrung des größten Staatsmannes unseres Jahrhunderts, der seinem Könige nicht bloß ein treuer, sondern auch ein freimüthiger und furchtloser Rathgeber war, des Mannes, der unter dem Szepter des großen und unvergeßlichen Königs Wilhelm I. als Erster das deutsche Reich einigen half, der dem deutschen Gewerbefleiße, dem Handel, der Industrie und allem Guten und Nützlichem allzeit ein tatkräftiger und erfolgreicher Förderer war, der sein ganzes Sein und seine volle Kraft dem Kaiser und dem Vaterlande hingab, ernennt die Stadt Mülheim an der Ruhr Se(ine) Durchlaucht den Fürsten Otto von Bismarck zu ihrem Ehrenbürger und bestätigt durch diese Urkunde, dass es ihr zum freudigsten Stolze gereicht, einen solchen Mann einen der ihrigen nennen zu dürfen. Mülheim an der Ruhr, den 19. Februar 1895. Oberbürgermeister von Bock, Unterschriften der Beigeordneten und Stadtverordneten.“
Mülheim an der Ruhr war nicht die einzige Stadt, die Bismarck zu seinem 80. Geburtstag die Ehrenbürgerrechte verlieh. Insgesamt 378 Städte, darunter allein 58 aus dem Rheinland taten es ebenso. Entsprechend groß war dann auch die Zahl der Delegationen, in die sich im Mai 1895 auch die mehr als 30 Mülheimer Honoratioren einreihten, um Bismarck höchstpersönlich den prachtvollen Ehrenbürgerbrief der Stadt zu überreichen.
(Quelle: Mülheimer Zeitzeichen, Veröffentlichungen des Stadtarchivs Mülheim an der Ruhr, Band 1)