von: Thomas Emons
Auch heute ist die Führung einer Stadtverwaltung kein Zuckerschlecken. Zu Einzelheiten lesen Sie Ihre Lokalzeitung oder fragen Sie Ihren Oberbürgermeister und ihren Stadtkämmerer. Doch als Josef Poell am 1.April 1946 als erster Oberstadtdirektor die Leitung der Mülheimer Stadtverwaltung übernimmt, ist die öffentliche Not existenzieller als je zuvor.
Beseitigung von 1 Millionen Kubikmeter Trümmerschutt
Mülheim ist vom Krieg gezeichnet, eine Trümmerwüste, in der die Menschen hungern, frieren, kränkeln und trauern. Bei Kriegsende liegen eine Million Kubikmeter Trümmerschutt auf Mülheims Straßen. Erst in seinem letzten Amts-und Lebensjahr werden Poell und sein Stellvertreter Bernhard Witthaus die Stadt für trümmerfrei erklären. In den ersten Nachkriegsjahren organisiert Poell eine Schulspeisung durch das Schwedische Rote Kreuz, Erholungsmaßnahmen für kranke und unterernährte Kinder. Er vermittelt zwischen der für Mülheim zuständigen britischen Militärregierung, Rat und Bürgerschaft. Er muss in einer Stadt, in der zwei Drittel aller Gebäude durch den Krieg zerstört oder beschädigt sind, den Wiederaufbau von Wohnungen und Schulen managen. Darüber hinaus steht er an der Spitze der Verwaltungsbemühungen um die Beschaffung dringend benötigter Lebensmittel, Brennstoffe, Gebrauchsgegenständen und Kleidung. Als ob das nicht schon mehr als genug wäre, ist er bei der Integration ostdeutscher Vertriebener in die Mülheimer Stadtgesellschaft gefordert. Das ist viel Arbeit, zu viel Arbeit für Josef Poell.
Tod am 13. August 1953 nach 41 Jahren Dienst in der Stadt Mülheim
Die Vollendung seiner beiden Herzensprojekte, die Wiederherstellung des Rathauses und der Stadthalle wird Poell anschieben und voranbringen, aber nicht mehr erleben. Immerhin, die ersten Früchte seiner kräftezehrenden Wiederaufbauarbeit an der Mülheimer Verwaltungsspitze darf er noch sehen, ehe er am 13. August 1953 im St. Marien-Hospital stirbt. Der Mann, der nicht nur als Verwaltungschef, sondern auch als Vorstand und Aufsichtsrat, etwa im Rheinisch-Westfälischen Elektrizitätswerk, in der Rheinisch-Westfälischen Wasserwerksgesellschaft, beim Ruhrverband, bei der Rheinischen Energie AG, im Ruhrtalsperrenverein und im Rennverein Raffelberg in Sachen Wiederaufbau dicke Bretter gebohrt und große Räder gedreht hat, stirbt in seinem siebten Amtsjahr als Oberstadtdirektor an den Folgen eines Herzinfarktes. Seine Ärzte, die ihn bereits zum Jahresbeginn 1953 in eine dreimonatige Kur geschickt haben, führen sein Herzleiden auf Überarbeitung zurück. Josef Poell wird nur 61 Jahre alt. Er hinterlässt seine Ehefrau Irmgard und seine Tochter Ursula. 41 seiner 61 Lebensjahre hat der am 7. August 1892 als Sohn des Mechanikers Friedrich-Wilhelm Poell und dessen Frau Mathilde Brüggemann in Essen-Borbeck geborene Poell dem Verwaltungsdienst für die Bürgerinnen und Bürger Mülheims gewidmet. Ehe er seinen Dienst im Mülheimer Rathaus antritt, hat Poell in Gelsenkirchen und Oberhausen die Volksschule besucht und anschließend bei der Stadtverwaltung Oberhausen eine Verwaltungsausbildung absolviert. Als er im März 1912 seinen Dienst als Verwaltungsrat im Rathaus antritt, wird Deutschland noch von einem Kaiser regiert. Poell arbeitet sich rasch zum Oberverwaltungsrat hoch. Sein erster Dienstherr ist der bis 1928 amtierende Oberbürgermeister Paul Lembke. Er und sein1933 von den Nationalsozialisten abgesetzter Nachfolger Dr. Alfred Schmidt sind als vom Rat gewählte Oberbürgermeister nicht nur Stadtoberhaupt, sondern auch Chef der Stadtverwaltung.
Die Zeit des Nationalsozialismus und der Wiederaufbau
Das gilt auch für den ersten nationalsozialistischen Oberbürgermeister Wilhelm Maerz, der 1933 sein Amt antritt, um es drei Jahre später, wegen offensichtlicher Unfähigkeit im Amt, an den aus Rheydt importierten Verwaltungsfachmann Edwin Hasenjaeger abzugeben. Der parteilose Josef Poell, der zuvor die Personalverwaltung geleitet hat, wird als Bürgermeister und Sozialdezernent zum Stellvertreter Hasenjaegers, der 1937 in die Staatspartei NSDAP eintritt. Seit 1934 gilt auch in Mülheim die Deutsche Gemeindeordnung, die mit dem Führerprinzip die demokratisch legitimierte kommunale Selbstverwaltung der Weimarer Republik ablöst. Poell muss sich, wie alle Mitarbeitenden der Verwaltung, an den braunen Zeitgeist anpassen. Aber, wie es in einem Nachruf auf ihn heißen wird, „ gehörte er in einer Zeit der Ordnungsfeindlichkeit zu den besonnenen Beamten der Stadtverwaltung. “Auch „Arbeitsfreude und Leistungsbereitschaft“, „soziales Gespür“ Selbstverantwortung“, „Lauterkeit“, „Energie und Leistungsbereitschaft“ bescheinigen die öffentlichen Nachrufer der Stadtverwaltung, des Rates und der Lokalpresse dem ersten Oberstadtdirektor, der sich mit seiner Arbeit um Mülheim verdient, aber auch gesundheitlich aufgerieben hat.
Verwaltung darf niemals Selbstzweck werden
Festzuhalten bleibt, dass die amerikanischen und britischen Militärregierungen, die im April bzw. im Juni 1945 in Mülheim das Regiment übernahmen, Poell für politisch und fachlich amtswürdig hielten, indem sie ihn am 11. Mai 1945 zum Bürgermeister und am 1. April 1946 zum Oberstadtdirektor ernannten. Poell, der 1950 vom Rat der Stadt für weitere zwölf Jahre in seinem Amt bestätigt wurde, war der erste Verwaltungschef der Stadt, der nicht auch Stadtoberhaupt und Vorsitzender des Stadtrates war. Letztere Aufgaben übernahm 1946 der Christdemokrat Wilhelm Diederichs und ab 1948 dessen sozialdemokratischer Amtsnachfolger Heinrich Thöne. Anders als Poell und seine ebenfalls hauptamtlichen Nachfolger, sollten die Oberbürgermeister nach dem Vorbild der britischen Kommunalverfassung ehrenamtliche und direkt gewählte Mitglieder des Stadtrates und damit Vertreter der Bürgerschaft sein. Dieses in Großbritannien und damit auch in Mülheims nordenglischer Partnerstadt Darlington bis heute praktizierte System der Machtteilung an der Stadtspitze sollte in Mülheim bis zur ersten Direktwahl für das Amt des Oberbürgermeisters, im Jahre 1999, die politischen Entscheidungsprozesse in unserer kommunalen Demokratie prägen.
Poells im Juni 1950 im Rat der Stadt verkündetes Credo: „Verwaltung darf niemals Selbstzweck werden, sondern muss immer dem Wohl der Menschen und der Förderung der örtlichen Wirtschaft dienen“, hat nichts an Aktualität verloren.