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Coupienne – eine Mülheimer Lederdynastie

Jean Baptiste Coupienne (bearbeitetes Foto), Quelle: Stadtarchiv Mülheim

von: Thomas Urban

Im Wappen eine Adelskrone

Jean-Baptiste Coupienne wurde 1768 als zweitältester Sohn des Nicola Jean und Ernestine Coupienne (geb.Coligny) in Dinant (Fürstentum Lüttich) geboren. Gemeinsam mit seinen zwei Brüdern und zwei Schwestern wuchs er in wohlhabenden Verhältnissen auf. Die Familie Coupienne, die ursprünglich den Adelsnamen Compien de Chalay trug, im Wappen neben Schwert und Löwe eine Adelskrone führte und französischer Herkunft war, verfügte im 17. und 18. Jahrhundert über ein ansehnliches Vermögen, das sie sich u.a. durch den Besitz eines Schieferbergwerkes in den Ardennen erworben hatte. Vermutlich war die Familie hugenottischer Abstammung; der Geburtsname der Mutter weist zudem auf den berühmten Hugenottenführer Admiral Gaspard de Coligny (1519–1572) hin, der nach dem dritten Religionskrieg des 16. Jahrhunderts im Massaker der „Pariser Bartholomäusnacht“ vom 22. August 1572 zusammen mit etwa 2.000 Reformierten umgebracht wurde.

Mit 26 Jahren ließ sich Jean-Baptiste Coupienne im Juli 1794 inmitten des „Ersten Koalitionskrieges“ (1792–1797) für die hannöversch-englische Armee anwerben und verließ mit ihr das erneut von französischen Truppen besetzte Lüttich. Durch die vor allem in Westeuropa Angst und Schrecken verbreitenden „Revolutionstruppen“ sah er offensichtlich die privilegierte Stellung seiner Familie ernsthaft gefährdet. Die Entlassung Coupiennes aus dem Heeresdienst erfolgte allerdings bereits zehn Monate später in Celle, nachdem er in der Armee den Rang eines Sergeant-Majors (Oberstabsfeldwebels) bekleidet hatte. Auf seinem Rückweg in die belgische Heimat verschlug es Coupienne nach Mülheim an der Ruhr, das als damalige Herrschaft Broich auf rechtsrheinischem Gebiet lehnsrechtlich der Landgräfin von Hessen-Darmstadt unterstellt war.

Erste Sohlledergerberei am Rumbach

Die Begegnung mit der Gerberfamilie Heinrich Peltzer, bei der Coupienne Unterkunft fand, sollte sein weiteres Leben maßgeblich bestimmen. Im Oktober 1800 heiratete er die einzige Peltzer-Tochter Caroline (ev.) und gründete vermutlich im darauffolgenden Jahr eine eigene Sohlledergerberei am unteren Lauf des Rumbaches in der heutigen Schollenstraße. Der auf der rechten Ruhrseite gelegene Bach mit seinem klaren, niedrig temperierten und schnell fließenden Wasser bot den Gerbern ideale Produktionsbedingungen und hatte sich damit neben dem Bruchbach, Bühlsbach und Speldorfer Bach zu einem bedeutenden Standort der ältesten Lohgerbereien Mülheims entwickelt. Auch Coupiennes Schwiegervater, der seit Ende des 18. Jahrhunderts zusammen mit dem Gerber Rühl nach Überwindung der engen Zunftschranken zu den ersten Mülheimer Freimeistern gehörte, hatte sich am Rumbach angesiedelt.

Coupienne, aus den an Eichenwäldern reichen Ardennen stammend, verfügte über einige Vorkenntnisse auf dem Gebiet des Gerbens. Offensichtlich hatte er sich bereits als junger Mann mit den fortschrittlichen Gerbverfahren des Ledergewerbes im Fürstentum Lüttich und in Frankreich vertraut gemacht, das über die mit Abstand größte Dichte an Gerbereien in Europa verfügte. In Frankreich waren im 17. und 18. Jahrhundert unter dem Einfluss der merkantilistischen Wirtschaftspolitik u. a. zahlreiche Manufakturen errichtet worden, die den Lederbedarf des stehenden Heeres befriedigten. Nicht erst seit der französische Gerber und Militärlieferant Armand Séguin 1794 durch seine Veröffentlichung die Schnellgerbung mit Schwefelsäure und Gerbstoffextrakten bekannt gemacht hatte, kam es dort auch auf technischem Gebiet zu unzähligen Neuerungen, die eine industrielle Lederherstellung und -verarbeitung möglich machten.

Gerben nach dem „Lütticher Verfahren“

Es spricht vieles dafür, dass Jean-Baptiste Coupienne sein Sohlleder in Mülheim an der Ruhr auf der Grundlage des „Lütticher Verfahrens“ gerbte. Schließlich war das in seiner Heimat hergestellte belgische Sohlleder wegen seiner guten Qualität im In- und Ausland hochgeschätzt. Dieser Vorgang unterschied sich nur in Feinheiten von anderen Sohlledergerbverfahren. Grob vereinfacht, bestand jedes Verfahren aus

  • dem Einweichen der Häute in einem Fluss oder Wasserbecken,
  • dem Schwitzen (z.B. mit Wasserdampf),
  • dem Enthaaren und Schwellen,
  • dem Versetzen,
  • dem Gerben mit Lohe und
  • dem Trocknen.


Die Qualität des gegerbten Leders hing jedoch maßgeblich von der Dauer und Häufigkeit dieser Arbeitsschritte ab. Das noch nicht ausgereifte Schnellgerbverfahren hatte Coupienne in keinem Fall angewandt. Diese Methode fand jedoch bald auch in Mülheim Anhänger: So wurde das 1837 im Essener Baedeker Verlag erschienene „Vollständige Handbuch der gesamten Lederfabrikation“ von Friedrich Joseph Peltzer verfasst, der sich seinen Lesern als „praktischer Leder- und Leimfabrikant zu Mülheim an der Ruhr“ vorstellte und eine selbst entwickelte Schnellgerbmethode präsentierte. Die für die Branche wegweisenden Erkenntnisse zur Schnellgerbung lieferte jedoch erst der Braunschweiger Gelehrte und „Altmeister der chemischen Technologie“, Ludwig Friedrich Knapp (1814–1904), gegen Ende der 1850er Jahre.

Über die Größe und Gestalt der von Coupienne gegründeten Sohlledergerberei gibt es keinerlei Erkenntnisse; auch die Familienchronik aus den 1920er Jahren schweigt hierzu. Die Anfänge des Ledergewerbes in Mülheim an der Ruhr waren jedenfalls eher bescheiden. So lassen sich für das Jahr 1810 gerade einmal fünf Gerbereien mit zwölf Arbeitern nachweisen, die rund 2.000 Kalbfelle und 400 Häute im Werte von 5.600 Talern verarbeiteten. Von den 35 Ledermanufakturen, die sich zwischen 1750 und 1833 im Rheinland nachweisen lassen, war keine einzige in Mülheim ansässig.

Bescheidene Anfänge

Den Coupienneschen Betrieb muss man sich wie die meisten Sohlledergerbereien zu dieser Zeit als primitive Werkstätte der Lederherstellung vorstellen. Sie dürfte aus einer „Wasserwerkstatt“ zum Säubern und Einweichen der Häute sowie aus Anbauten zum Trocknen der gegerbten Häute und zum Lagern der Fleisch- und Hautabfälle bestanden haben. Über eine eigene Lohmühle zum Zerkleinern des Gerbstoffs verfügten zu dieser Zeit nur die Manufakturbetriebe. Gegerbt wurde in mit Lohe gefüllten Gruben; das Gerben in drehbaren Fässern, das eine enorme Ersparnis an Gerbdauer, Handarbeit und Lohe bedeutete, konnte sich auf deutschem Boden erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts durchsetzen. Wohn- und Arbeitsort des Gerbers waren bereits räumlich voneinander getrennt; die körperlich schweren und gesundheitsschädlichen Arbeiten verrichtete der Besitzer häufig gemeinsam mit seinen Gesellen; eine innerbetriebliche Arbeitsteilung fand noch nicht statt. Die Verarbeitung von schweren Häuten zu Sohlleder wurde mangels Maschinen als Handwerk ausgeübt. Der Rohstoff und das hergestellte Zwischenprodukt wurden vom einheimischen Bauern oder Metzger bezogen und an die umliegenden Schuhmacher verkauft, insofern produzierte man noch für den lokalen Bedarf.

Gewerbefreiheit führt zum Aufschwung

Mit der Intensivierung der zu Beginn des 19. Jahrhunderts von Mathias Stinnes geprägten Ruhrschifffahrt und der zunehmenden Gewerbefreiheit trat in der neu gegründeten Stadt Mülheim an der Ruhr noch vor 1815 unter napoleonischer Herrschaft ein allmählicher Wandel ein. Es entwickelte sich ein reger internationaler Häute- und Lederhandel mit Holland und Belgien; nach dem Abbau der hinderlichen Zollschranken durch das preußische Zollgesetz von 1818 und der Gründung des Deutschen Zollvereins im Jahre 1834 verbesserten sich die Absatzbedingungen im erweiterten Wirtschaftsraum noch einmal deutlich. Überdies wuchs der Bedarf der Treidelschifffahrt, des Bergbaus und des Speditionsgewerbes nach Geschirr- und Kummetleder („Glanzvachetten“) für die dort eingesetzten Pferde. Vom Vachetten- leder, das zum Mülheimer Haupt- und Spezialartikel schlechthin avancierte, sollten auch die Nachkommen Coupiennes profitieren. Die Lohgerber zählten bereits im Mittelalter zu den vermögendsten und angesehensten Gewerbetreibenden, die zudem hohe Ämter in den Stadträten bekleideten.

Dies war beim belgischen Einwanderer Jean-Baptiste Coupienne zu Beginn des 19. Jahrhunderts nicht anders; er scheint nicht nur durch seine Heirat mit der Peltzer-Tochter, wie Ilse Barleben schreibt, „in den Familien der Mülheimer Meistbeerbten rasch Fuß gefasst zu haben“. Am 5. Februar 1808 wurde Coupienne unter französischer Herrschaft zum Munizipalrat der neu gegründeten Stadt Mülheim an der Ruhr ernannt. Er gehörte damit jenem zwanzigköpfigen beratenden Gremium an, das in der von Großherzog Joachim Murat, dem Schwager Napoleons, erlassenen Verordnung über die Munizipal Verwaltung von Oktober 1807 geschaffen wurde. Am 1. Oktober 1813 stieg Coupienne nach einem Dekret Napoleons sogar zum Zweiten Beigeordneten der Stadt auf.

Neben seinen kommunalen Mandaten gehörte der bekennende Freidenker trotz seines katholischen Glaubens seit 1812 – ebenso wie der Mülheimer Textilfabrikant Johann Caspar Troost – der 1806 zu Ehren Murats gegründeten „St. Johannis-Loge zum heiligen Joachim im Orient“ in Düsseldorf an, die sich zum größten Teil aus Deutschen sowie französischen Beamten und Offizieren zusammensetzte. Im Jahre 1820 trat Coupienne schließlich in die neu gegründete Duisburger Loge „Zur deutschen Burg“ ein. Welche Ämter der Logenbruder dort innehatte, ist nicht bekannt. Doppelmitgliedschaften in den Freimaurerlogen einer Region waren freilich nichts Ungewöhnliches; viele Gewerbetreibende und Kaufleute knüpften auf diesem Wege neue Geschäfts- und Handelsbeziehungen. Auch Coupienne wusste diese Verbindungen für sich zu nutzen.

Aus der Ehe Jean-Baptiste Coupiennes mit Caroline, geb. Peltzer (1777–1853) gingen sechs Kinder hervor, wobei die drei Söhne Christian Gilbert (1801–1876) Heinrich (1810–1889) und Ernst Jean (1818–1868) nach katholischem Glauben und die drei Töchter Katharina (1805–1857), Louise (1812–1900) und Ernestine (1813–1865) nach evangelischem Glauben erzogen wurden. Nach dem Tod des Familienoberhaupts, das, wie es in der Familienchronik heißt, im März 1825 „an den Folgen eines Unglücksfalles“ verstorben war, führte Jean-Baptistes ältester Sohn Christian Gilbert die Gerberei unter den wachsamen Augen seiner Mutter zunächst etwa zehn Jahre lang im Interesse der Familie und danach auf eigene  Rechnung weiter. Das Coupiennesche Sohlleder erfreute sich immer größerer Verbreitung und Beliebtheit; nicht nur auf den Messen in Frankfurt am Main und Leipzig war es ein hoch gehandeltes Produkt. Wegen seiner Ämterfülle als preußischer Landtagsabgeordneter der Fortschrittspartei und als langjähriger Präsident der Mülheimer Handelskammer konnte sich der ledige und kinderlose Christian Coupienne jedoch seit den 1850er Jahren kaum noch um seinen Betrieb kümmern. Lange bevor sich Coupienne 1871 auf seinen Alterssitz am Rhein zurückzog, verfiel die alte Sohlledergerberei an der Schollenstraße und wurde bald nach seinem Tode abgerissen.

Heinrich Coupienne führt die 2. Generation

Sein jüngerer Bruder Heinrich Coupienne, der 1839 in die alteingesessene Mülheimer Familie des Tabakfabrikanten Johann Wilhelm von Eicken einheiratete, gründete ein Jahr zuvor in der Bachstraße eine eigene Gerberei zur Kalbsledererzeugung und legte damit den Grundstein für die spätere Lederfabrik H. Coupienne, die 1914 in eine Aktiengesellschaft umgewandelt wurde. Zunächst auf die Herstellung von Vachettenleder für Wagenverdecke, später auf das vom Militär benötigte braune  Blankleder spezialisiert, wurde die mehrfach erweiterte Fabrik bis zu ihrer „Abwicklung“ 1939/40 am selben Standort betrieben. Seinen Wohnsitz hatte Heinrich Coupienne, wie aus dem Mülheimer Adressbuch von 1860 hervorgeht, lange Jahre in der Kettenbrückstraße 6 (ab 1911 Schloßstraße) im Herzen der Stadt und in direkter Nachbarschaft zum Kaufmann Ernst Nedelmann. Heinrich Coupienne, der dem ersten Verwaltungsrat der Gewerkschaft Friedrich Wilhelms-Hütte angehörte, zwischen 1858 und 1874 die Mülheimer Kohlenzeche „Vereinigte Wiesche“ leitete und der insgesamt für den Kuxenverkehr im Raum Mülheim eine zentrale Stellung einnahm, erlebte in seiner aktiven Zeit als Unternehmer, wie sich das Ledergewerbe u.a. durch den Einsatz der Dampfmaschine seit Mitte des 19. Jahrhunderts von einem Handwerks- in eine Fabrikbetrieb umzuwandeln begann.

Der Einsatz der Spaltmaschine

Von einer Lederindustrie wird man für Mülheim an der Ruhr jedoch erst ab den 1880er Jahren sprechen können, nachdem Heinrich Coupienne seine Gerberei Anfang der 1870er Jahre seinen Söhnen Eugen (1843–1907) und Jean-Baptiste (1847–1892) übergeben hatte. Der Einsatz der Spaltmaschine galt in diesem Zusammenhang als Meilenstein: Mit Hilfe dieser Maschine war der Gerber künftig in der Lage, die zu verarbeitenden Häute mehrfach horizontal zu spalten und damit seine Rohstoffmenge zu vergrößern. Bei Coupienne und Lindgens in Mülheim an der Ruhr wurden zu Beginn der 1880er Jahre die ersten Bandmesserspaltmaschinen im Deutschen Reich in Betrieb genommen, womit sich beide Werke einen beachtlichen Wettbewerbsvorteil verschafften. In der Folge wurden in der Lederindustrie weitere Maschinen u.a. zum Falzen der Häute in den Betriebsablauf integriert.

Über mögliche Vereins- und Logenmitgliedschaften Heinrich Coupiennes in Mülheim an der Ruhr ist wenig bekannt. Man kann aber davon ausgehen, dass er als Unternehmer zumindest der Bürgergesellschaft „Casino“ angehörte, die 1842, also im selben Jahr, in dem die Stadt ein neues Rathaus, die Kettenbrücke und eine Sparkasse erhielt, von Bürgermeister Carl Weuste gegründet worden war und in der sich die wohlhabendsten Mülheimer zum Gedankenaustausch trafen.

Eugen Coupienne macht Mülheim zur bedeutendsten Leder- stadt Deutschlands

Es sollte Eugen Coupienne vorbehalten bleiben, nicht nur als Lederfabrikant, sondern auch als Verbandsfunktionär Anerkennung in der Branche zu erlangen. Der Enkel des Stammvaters und Onkel von Hugo Stinnes avancierte gegen Ende des 19. Jahrhunderts zur zentralen Persönlichkeit für die gesamte deutsche Lederindustrie. Nach einer gründlichen Ausbildung in der väterlichen Gerberei konnte er sein Fachwissen durch längere Aufenthalte in Frankreich und England vertiefen. Aus seiner Lehrzeit in Paris brachte er eine Rezeptur zur Herstellung von Lackleder mit nach Mülheim, wo er 1873 die Firma H. Coupienne durch eine Lacklederfabrik an der heutigen Kaiserstraße erweiterte. Nachdem sein Bruder Jean-Baptiste als Teilhaber ausgeschieden war, führte Eugen Coupienne ab 1889 die Firma allein weiter, die ein Jahr zuvor durch einen Fabrikbrand einen schweren Rückschlag erlitten hatte. Viel Zeit widmete er jedoch auch dem Aufbau des Verbandswesens m die Ein- und Ausfuhr von Häuten und Ledererzeugnissen nach deutschen Interessen effektiv und einheitlich zu regeln, gründete Eugen Coupienne auf regionaler Ebene zunächst den „Verein der Niederrheinischen Lederindustriellen“ mit Sitz in Mülheim an der Ruhr und war 1881 maßgeblich an der Errichtung des „Börsenvereins der Häute-, Fell- und Lederbranche für Rheinland und Westfalen“ in Köln beteiligt. Von 1884 an bis zu seinem Tod übernahm Eugen Coupienne den Vorsitz des „Börsenvereins“. In einer im Mülheimer Ledermuseum ausgestellten „Lederurkunde“ von 1888 würdigten Vertreter beider Vereine die unternehmerische und verbandspolitische Tatkraft Coupiennes, seinen „hohen Gerechtigkeitssinn“ und seine „unermüdliche Hingebung“ für die „Aufgaben unserer Socialgesetzgebung“. Die größten Verdienste erwarb sich der Kommerzienrat, der auch dem Vorstand der Berufsgenossenschaft der Lederindustrie angehörte, jedoch als langjähriger Vorsitzender des 1891 in Frankfurt am Main gegründeten „Centralvereins der deutschen Lederindustrie“ – ein Amt, das er ebenfalls bis zu seinem Tode im Jahre 1907 innehatte.

Mülheimer Vereinsleben

Noch stärker als sein Großvater  sich Eugen Coupienne im Mülheimer Vereins- und Logenwesen. So trat er kurz nach dem Tod seines Vaters Heinrich 1889 in die fünfzig Jahre zuvor gegründete Freimaurerloge „Zur verklärten Luise im Orient“ ein, wo er 1900 schließlich zum „Meister vom Stuhl“ gewählt wurde. Dieses hohe Amt behielt er ebenfalls bis zu seinem Lebensende. Darüber hinaus gehörte er Mitte der 1870er Jahre dem Vorstand der so genannten „Delawaren-Gesellschaft Wigwam“ zu Mülheim an der Ruhr und Ende der 1880er Jahre dem Direktorium der „Casino“-Gesellschaft an.

Haus Urge, Bismarckstraße, Quelle: Stadtarchiv Mülheim
Unternehmervilla "Haus Urge" von Jean Baptiste und Martha Coupienne, 1938

 

Bei den letzten Teilhabern der 1939/40 „abgewickelten“ Lederfabrik H. Coupienne AG handelte es sich um Eugen Coupiennes Söhne Ernst (1870– 1945) und Jean-Baptiste (1877–1938). Jean-Baptiste Coupienne ließ sich und seiner Frau Martha (geb. Schmidt-Leverkus) ein Jahr vor Beginn des Ersten Weltkrieges vom bekannten Mülheimer Architekten Franz Hagen mit dem „Haus Urge“ eine repräsentative Unternehmervilla errichten, die heute zu den Sehenswürdigkeiten der Stadt zählt. Nachdem das Gebäude bereits 1923 in den Besitz der Familie Stinnes übergegangen war, diente die Villa seit Mitte der 1970er Jahre dem Max-Planck-Institut für Kohlenforschung als Gästehaus. Im Sommer 2004 wurde das denkmalgeschützte Gebäude schließlich an die Unternehmensberatung ZENIT GmbH vermietet, die dort seither ihren Geschäftssitz hat. Ernst Coupienne, der Verfasser der Familienchronik, starb wenige Monate nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs im August 1945, sein einziger Sohn Heinrich Anfang 1970, womit der „Mülheimer Zweig“ der Familie endgültig verschwunden ist. Auch wenn für Jean-Baptiste Coupienne und dessen Ehefrau keine entsprechenden Katasterdaten vorliegen, steht fest, dass auch sie wie die meisten Angehörigen der Familie Coupienne in der Familiengruft auf dem Alten Friedhof in Mülheim an der Ruhr ihre letzte Ruhestätte gefunden haben.

Die Bedeutung der Coupiennes für Mülheim an der Ruhr

Der belgische Einwanderer Jean-Baptiste Coupienne nimmt sowohl in der Literatur als auch in der Mülheimer Stadtgeschichte als „Vater der Lederindustrie“ einen festen Platz ein. Erich Meyer begründet dies in seiner 1937 erschienenen Dissertation zur Entwicklung der Lederherstellung in Mülheim an der Ruhr damit, dass durch ihn und seine das Lederwesen im 19. Jahrhundert prägenden Nachkommen ein „ganz neue[r] Zug“ in dieses Gewerbe gekommen sei. In der Tat übte gerade die mehrmals erweiterte und früh auf Großfertigung ausgerichtete Gerberei Heinrich Coupiennes eine gewisse Vorbildfunktion für die Gründung zahlreicher Lederfabriken, von denen hier nur Lindgens (1861), Abel (1864), Funcke (1868), Hammann (1879), Möhlenbeck (1889) und Rühl (1890) genannt werden sollen, in der Hochindustrialisierungsphase aus. Jean Baptiste Coupienne und seine Nachkommen schufen somit die Voraussetzungen dafür, dass sich Mülheim an der Ruhr bis Mitte der 1920er Jahre zur Stadt mit der größten Lederindustrie im Gesamten Deutschen Reich entwickelte, bevor man gegenüber anderen Produktionsstätten wie Offenbach an Bedeutung verlor. In welcher Weise Jean-Baptiste Coupienne nach der Gründung seiner Sohlledergerberei das Mülheimer Ledergewerbe reformierte, bleibt letztlich im Dunkeln.

Sehr wahrscheinlich ist jedoch, dass er dem Mülheimer Ledergewerbe wichtige Impulse geben konnte. Hierfür sprechen auch seine hugenottischen Wurzeln: Bereits im 17. Jahrhundert waren etliche Gerbereibetriebe in Frankreich in den Händen der „Reformierten“ gewesen, bevor mit der Aufhebung des Edikts von Nantes im Jahre 1685 viele geschickte Handwerker das Land verließen. Für Brandenburg-Preußen lassen sich um das Jahr 1700 insgesamt 42 von Hugenotten betriebene Gerbereien und Lederhandlungen nachweisen, von denen sich allein 18 in Berlin befanden (vor der Aufnahme der Glaubensflüchtlinge soll sich ein einziger Lohgerber in Berlin niedergelassen haben).

Die Familie Coupienne integrierte sich im 19. Jahrhundert äußerst rasch in das politische, gesellschaftliche und wirtschaftliche Leben Mülheims. Dies lässt sich nicht nur an der Zahl und Wichtigkeit der ausgeübten (Ehren-) Ämter und Mitgliedschaften, sondern auch an dem für das bürgerliche Zeitalter typischen planvollen Heiratsverhalten ablesen. Insgesamt gilt die Unternehmerfamilie Coupienne als Paradebeispiel für den hohen Grad an familialer, generationenübergreifender Tradition, die das Ledergewerbe wie kaum ein anderes Handwerk bestimmte: Berufsvererbung und Betriebsübergabe waren dort überaus stark ausgeprägt.

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